Leitsatz

1. Ermittlungen der Strafsachen- und Bußgeldstelle des FA stellen keine Ermittlungen der mit "der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden" i.S.d. § 171 Abs. 5 S. 1 AO dar und führen daher nicht zur Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift.

2. Wurde die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts bestimmter, in der Einleitungsverfügung ausdrücklich genannter Steuerstraftaten dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben, dann ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 5 S. 2 AO nur für diejenigen Steueransprüche gehemmt, wegen deren vermeintlicher Verletzung das Strafverfahren tatsächlich eingeleitet und die Einleitung dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wurde.

3. Der zeitlich auf ein Jahr begrenzte Umfang der Ablaufhemmung, die durch die Erstattung einer Selbstanzeige gem. § 171 Abs. 9 AO ausgelöst wird, kann durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden.

 

Normenkette

§ 371 Abs. 1, § 171 Abs. 5, § 171 Abs. 9 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger, der unstreitig Einkünfte aus Kapitalvermögen verschwiegen hatte, reichte kurz vor Ablauf der regulären (wegen Steuerhinterziehung zehnjährigen) Festsetzungsfrist eine Selbstanzeige ein. Noch vor Ablauf dieser regulären Festsetzungsfrist forderte die Strafsachen- und Bußgeldstelle des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung zur steuerlichen Auswertung Unterlagen des Klägers an. Nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist, aber innerhalb eines Jahrs nach der Selbstanzeige, nahm die Steuerfahndung ihre Ermittlungen auf und erließ später (länger als ein Jahr nach der Selbstanzeige) einen darauf begründeten Änderungsbescheid.

Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 14.12.2006, 15 K 4744/05 E, Haufe-Index 1748396, EFG 2007, 735).

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA zurück. Es sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei im Streitfall allein durch den Eingang der Selbstanzeige gem. § 171 Abs. 9 AO für die Dauer eines Jahrs gehemmt worden. Bei Erlass des streitigen Änderungsbescheids sei die Jahresfrist jedoch bereits abgelaufen gewesen. Andere Hemmungstatbestände seien nicht verwirklicht worden.

 

Hinweis

Die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung sind in ihrer jeweiligen Grundstruktur recht gut systematisch durchgeformt und daher durchaus handhabbar. Schwierig wird die Rechtsanwendung indessen dann, wenn sich verschiedene Gesetzestatbestände überlagern. Im Einzelnen:

1. Nach der Grundnorm des § 169 Abs. 2 AO beträgt die normale steuerliche Festsetzugsverjährung vier Jahre, im Fall der Steuerhinterziehung 10 Jahre.

2. Es gibt eine Reihe von Sondertatbeständen, die den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmen:

a) Beginnt die Steuerfahndung vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit (tatsächlichen und für den Steuerpflichtigen erkennbaren) Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Das Gleiche gilt, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 S. 1 und 2 AO).

b) Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Selbstanzeige (§ 371 AO), so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahrs nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO).

3. Was passiert, wenn verschiedene Hemmungstatbestände zusammentreffen?

a) Geht die Selbstanzeige länger als ein Jahr vor dem normalen Ende der Festsetzungsfrist ein, so ändert sich nichts. Die Festsetzungsfrist läuft regulär, im Fall der Steuerhinterziehung nach 10 Jahren ab.

b) Geht die Selbstanzeige weniger als ein Jahr vor dem normalen Ende der Festsetzungsfrist ein, so verlängert sich die Festsetzungsfrist über das reguläre Fristende hinaus bis zum Ablauf eines Jahrs nach der Selbstanzeige.

c) Ist dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist die Einleitung des Steuerstrafverfahrens eröffnet worden oder hat die Steuerfahndung vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist mit Ermittlungen begonnen, so läuft die Festsetzungsfrist erst dann ab, wenn die aufgrund der Ermittlungen erlassenen Steuerbescheide bestandskräftig sind. Das kann sehr lange dauern. Eine zwischenzeitliche Selbstanzeige ändert daran nichts. Die Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO ist insoweit bedeutungslos.

Man kann zweifeln, was in diesem Zusammenhang die "mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen" i.S.d. § 171 Abs. 5 S. 1 AO sind, zumal es eigene FÄ für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung gibt. Da das Gesetz (§ 208 Abs. 3, § 404 AO) streng zwischen Steuerfahndung und sonstigen Dienststellen unterscheidet, können die Ermittlungen der Strafsachen- und Bußgeldstelle nicht als Ermittlungen "der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen" angesehen werden. Für die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist kommt es also darauf a...

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