Leitsatz

1. Eine Hochschule (Universität) ist nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen, auch wenn diese häufig über einen längeren Zeitraum hinweg zum Zwecke eines Vollzeitstudiums aufgesucht wird (Änderung der Rechtsprechung in BFH-Urteilen vom 10.4.2008, VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825 und vom 22.7.2003, VI R 190/97, BFHE 203, 111, BStBl II 2004, 886).

2. Fahrtkosten von Studentinnen und Studenten zur Hochschule (Universität) sind deshalb nicht mit der Entfernungspauschale, sondern in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5, § 52 Abs. 12, 23d und 30a EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

 

Sachverhalt

Die 1968 geborene K hatte 1995 ein Studium als Diplom-Sozialpädagogin erfolgreich abgeschlossen und war für eine Lehramtstätigkeit an Berufskollegs qualifiziert. Sie wurde 2005 arbeitslos und begann darauf ein Lehramtsstudium, das sie 2009 erfolgreich beendete. K machte für dieses (Zweit-)Studium 5.787 EUR als (vorab entstandene) Werbungskosten geltend. Darunter 145 Fahrten zur Hochschule, berechnet mit 0,30 EUR je gefahrenem Kilometer = 3.915 EUR. Das FA berücksichtigte als Fahrtkosten nur die Entfernungspauschale (145 Fahrten × 45 km × 0,30 EUR = 1.957,50 EUR), weil auch eine Ausbildungsstätte regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. EStG sei. Die Klage war nur insoweit erfolgreich, als das FG 157 Fahrten anerkannte, allerdings ebenfalls nur die Entfernungspauschale ansetzte (FG Köln, Urteil vom 28.4.2010, 7 K 2486/09, Haufe-Index 2365523, EFG 2010, 1616).

 

Entscheidung

Der BFH gab der Klage statt. Dabei berücksichtigte er die Fahrtkosten aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen nicht lediglich i.H.d. Entfernungspauschale, sondern nach allgemeinen Reisekostengrundsätzen.

 

Hinweis

Sowohl mit dem hier als auch mit dem nachstehenden besprochenen Urteil (VI R 42/11) hat der BFH seine Rechtsprechung zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Fahrtkosten an Ausbildungsstätten geändert. Denn solche Einrichtungen qualifiziert er jetzt nicht mehr als regelmäßige Arbeitsstätte, sodass die Fahrtkosten dorthin nunmehr nach allgemeinen Grundsätzen in der tatsächlich entstandenen Höhe als Werbungskosten abziehbar sind.

1. Bildungsaufwendungen – soweit als Werbungskosten zu berücksichtigen – entstehen regelmäßig als vorab entstandene Werbungskosten und sind abziehbar, sofern ein hinreichend konkreter, objektiv feststellbarer Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen besteht.

2. Die mit dem Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BeitrRLUmsG vom 7.12.2011, BGBl I 2011, 2592) eingeführte neue Rechtslage, die rückwirkend ab 2004 gelten soll, stand hier einem Abzug der Berufsausbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Denn K hatte als Diplom-Sozialpädagogin bereits eine erste Berufsausbildung absolviert. Dazu einschlägig ist insbesondere die Entscheidung zum Rettungssanitäter (BFH, Urteil vom 27.10.2011, VI R 52/10, BFH/NV 2012, 323, BFH/PR 2012, 86).

3. Angesichts dessen ging es im Streitfall nur noch um die Höhe der grundsätzlich als Werbungskosten abziehbaren Fahrtkosten. Denn wie im (erfolgreichen) Vorlagebeschluss zur Pendlerpauschale (BFH, Beschluss vom 10.1.2008, VI R 17/07, BFH/NV 2008, 469, BFH/PR 2008, 105) ausführlich dargelegt, sind beruflich veranlasste Fahrtkosten grundsätzlich Werbungskosten. Allerdings ist das objektive Nettoprinzip durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG insoweit eingeschränkt, als Kosten für spezielle Fahrten, nämlich die zwischen Wohnung und (regelmäßiger) Arbeitsstätte, nur nach Maßgabe der Entfernungspauschale steuerlich abziehbar sind. Im Hinblick darauf, dass sich ein Arbeitnehmer jedenfalls auf eine, aber auch nur auf eine Arbeitsstätte einrichten kann, indem er dorthin die immer gleichen Wege wählen, Fahrgemeinschaften bilden, öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder sogar gezielt den Wohnsitz aussuchen kann, um so seine Wegekosten zu mindern, sieht der Lohnsteuersenat in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG eine sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip. Beachten Sie: Dieser Rechtsgedanke war auch die wesentliche Grundlage für die Rechtsprechung, dass ein Arbeitnehmer nur eine regelmäßige Arbeitsstätte haben kann (BFH, Urteil vom 9.6.2011, VI R 55/10, BFH/NV 2011, 1764, BFH/PR 2011, 411).

4. Auf dieser Grundlage können Bildungseinrichtungen keine regelmäßige Arbeitsstätten sein, selbst wenn diese über längere Zeit im Vollzeitunterricht aufgesucht werden. Denn insoweit kommt der Rechtsgedanke zur Anwendung, dass eine Bildungsmaßnahme regelmäßig vorübergehend und eben nicht auf Dauer angelegt ist und deshalb ein Steuerpflichtiger bei typisierender Betrachtung auch keine Möglichkeit hat, seine Wegekosten gering zu halten. Beachten Sie: Als Konsequenz aus der typisierenden Betrachtung kommt es insoweit nicht darauf an, dass der betroffene Steuerpflichtige für die Zeit der Ausbildung individuelle Kosteneinsparungs-Maßnahmen (Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsm...

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