Leitsatz

Umfasst die Steuersatzermäßigung für die Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen nach Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in Verbindung mit Anhang III Nr. 12 MwStSystRL auch die Vermietung von Bootsliegeplätzen?

 

Normenkette

Art. 98 Abs. 1, Abs. 2 Anhang III Nr. 12 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1, § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG, Art. 3 Abs. 1 GG, § 121 Satz 1, § 74 FGO, Art. 20, Art. 52 Abs. 1 EUGrdRCh, Art. 267 AEUV

 

Sachverhalt

Der Kläger, ein gemeinnütziger Verein, unterhält in seinem Hafen etwa 300 Liegeplätze. 50 % der Liegeplätze stehen Gästen uneingeschränkt zur Verfügung. Das Finanzamt beanstandet die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Einspruch und Klage zum Finanzgericht (Niedersächsisches FG, Urteil vom 15.6.2017, 5 K 210/15, Haufe-Index 11197830, EFG 2017, 1481) hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH setzte das Verfahren aus und legte die im Leitsatz bezeichnete Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Die Rechtssache ist nunmehr beim EuGH unter dem Az. C-715/18, Segler-Vereinigung Cuxhaven, anhängig.

 

Hinweis

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG ermäßigt sich die Steuer für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 98 MwStSystRL i.V.m. Anhang III Nr. 12 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten eine Steuerermäßigung für die Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen anordnen.

2. Der BFH sieht es als möglich an, einen Freizeithafen wie einen Campingplatz zu behandeln. Sowohl ein "Wohnmobilist" als auch ein "Bootsführer" nutzen danach mit ihren auch zur Übernachtung ausgeleg­ten Fahrzeugen einen "Wohnmobilhafen" oder einen (Boots‐)Hafen, der zur Versorgung der Passagiere und Fahrzeuge Strom, Wasser, Entsorgungseinrichtungen und Sanitäranlagen zur Verfügung stellt. Nicht der Untergrund, auf dem das Fahrzeug steht oder schwimmt, kennzeichne die Leistung, sondern die Infrastruktur. Im Kern werde wie durch den Betreiber eines "Wohnmobilhafens" eine Beherbergung mit Übernachtungsmöglichkeit im eigenen Fahrzeug gewährt. Dass der Wohnmobilist sein Ziel über das öffentliche Straßennetz erreiche, der Bootsführer demgegenüber hierzu Wasserstraßen nutze, sei ohne Bedeutung. Das ergebe sich schon daraus, dass Camping nicht durch die Form der Anreise, sondern durch das Verhalten am Zielort gekennzeichnet sei.

3. Ob Freizeithafen und Campingplatz gleich zu behandeln sind, erscheint gleichwohl fraglich. Denn jeder Hafen – und damit auch der Freizeithafen – dient vorrangig dazu, von einem Boot oder Schiff an Land oder umgekehrt auf ein Boot zu gelangen. Diese Anlandungsfunktion unterscheidet jede Art von Hafen grundlegend von einem Campingplatz. So dürfte z.B. auch kaum jemand auf die Idee kommen, einen Campingplatz gegen Zahlung einer Übernachtungsgebühr ausschließlich als Fahrzeugabstellmöglichkeit für einen Stadtbummel zu benutzen.

Gegen eine Gleichbehandlung sprechen auch die sich dann ergebenden Abgrenzungsfragen. So ist völlig unklar, wonach sich die Annahme eines Freizeithafens richten soll: ob eine Aufteilung in Bezug auf Segelboote ohne Übernachtungseinrichtung erforderlich ist oder wie zu verfahren ist, wenn eine Übernachtung auf dem Boot zwar möglich wäre, aber – z.B. aufgrund einer Anwohnereigenschaft in Hafennähe – nicht erfolgt. Der EuGH wird all das sicherlich bei der ihm überantworteten Entscheidung berücksichtigen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 2.8.2018 – V R 33/17

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