Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Umfasst der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL auch die Erteilung von Schwimm­unterricht?

2. Kann sich die Anerkennung einer Einrichtung im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung wie bei Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit den Aufgaben der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, des Schul- und Hochschulunterrichts, der Aus- und Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung betraut sind, daraus ergeben, dass es sich bei dem von dieser Einrichtung erteilten Unterricht um die Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit (hier: Schwimmen) handelt?

3. Bei Verneinung der zweiten Frage: Setzt die Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraus, dass der Steuerpflichtige Einzelunternehmer ist?

 

Normenkette

§ 4 Nr. 21, § 4 Nr. 22 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine von X und Y gegründete GbR, betreibt eine Schwimmschule. Die GbR führte im Wesentlichen Kurse für Kinder ("Goldfisch", "Seepferdchen" und "Kaulquappe") durch, die von den Kursteilnehmern oder ihren Eltern vergütet wurden.

Beim Schwimmkurs "Kaulquappe" wurden Kindern ab vier Jahren die Grundlagen der Brust‐ und Rückenschwimmlage vermittelt. Bei den beiden weiterführenden Kursen "Seepferdchen" und "Goldfisch" wurden die erlernten Grundlagen und Techniken des Schwimmens vertieft.

Die Klägerin sah ihre Leistungen als umsatzsteuerfrei an. Demgegenüber ging das FA von einer Umsatzsteuerpflicht aus. Die Klage zum FG hatte Erfolg, da dies von einer unionsrechtlich begründeten Steuerfreiheit ausging (FG München, Urteil vom 13.9.2018, 3 K 1868/17, Haufe-Index 12204835, EFG 2018, 1920).

 

Entscheidung

Der BFH hat Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Unionsrechts und hat daher ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Klärung der in den Leitsätzen bezeichneten Fragen gerichtet.

 

Hinweis

1. Der EuGH hat kürzlich in seinem Urteil A & G Fahrschul-Akademie GmbH (EuGH, Urteil vom 14.3.2019, C-449/17, BFH/NV 2019, 511) die Anforderungen für die Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL verschärft. Für den danach steuerfreien Schul- und Hochschulunterricht soll es ankommen auf:

  • „ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten,
  • in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen,
  • sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten, je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen”.

Zudem versagt der EuGH die Steuerfreiheit für "spezialisierten Unterricht". Das Urteil betraf unmittelbar den Unterricht zur Erlangung des Pkw-Führerscheins.

2. Auch Schwimmunterricht, den der BFH bislang zwar nicht nach nationalem Recht, aber nach Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL als steuerfrei angesehen hat (BFH, Urteil vom 5.6.2014, V R 19/13, BFH/NV 2014, 1687, BFH/PR 2014, 401), könnte als "spezialisierter Unterricht" steuerpflichtig sein. Gleichwohl ist zu bedenken, dass an der Erlernung der elementaren Grundfähigkeit des Schwimmens ein ­ausgeprägtes Gemeininteresse besteht, das bei dem Erwerb einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge fehlt. Der BFH bittet daher den EuGH um Klärung, ob Schwimmunterricht steuerfrei nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL erteilt werden kann.

3. Dabei soll sich der EuGH auch zu den unternehmerbezogenen Voraussetzungen der Befreiungstatbestände äußern. Insoweit geht es im Rahmen von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL um die dort erforderliche Anerkennung. In Bezug auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL ist zu entscheiden, ob sich die dort vorgesehene Steuerfreiheit für ­Privatlehrer auf Einzelunternehmer beschränkt oder ob die Steuerfreiheit rechtsformneutral auch auf Leistungen durch Gesellschaften anzuwenden ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 27.3.2019 – V R 32/18

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