Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass er dem danach nicht zuständigen Mitgliedstaat, in den ein Arbeitnehmer entsandt wird und der auch nicht der Wohnmitgliedstaat der Kinder des Arbeitnehmers ist, jedenfalls dann die Befugnis nimmt, dem entsandten Arbeitnehmer Familienleistungen zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer durch seine Entsendung in diesen Mitgliedstaat keinen Rechtsnachteil erleidet?

2. Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird:

Ist Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass der nicht zuständige Mitgliedstaat, in den ein Arbeitnehmer entsandt wird, jedenfalls nur befugt ist, Familienleistungen zu gewähren, wenn feststeht, dass in dem anderen Mitgliedstaat kein Anspruch auf vergleichbare Familienleistungen besteht?

3. Falls auch diese Frage verneint wird:

Stehen dann gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Vorschriften einer nationalen Rechtsvorschrift wie § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 65 Abs. 2 EStG entgegen, die einen Anspruch auf Familienleistungen ausschließt, wenn eine vergleichbare Leistung im Ausland zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre?

4. Falls diese Frage bejaht wird:

Wie ist die dann gegebene Kumulation des Anspruchs im zuständigen Staat, der zugleich Wohnmitgliedstaat der Kinder ist, und des Anspruchs im nicht zuständigen Staat, der auch nicht Wohnmitgliedstaat der Kinder ist, zu lösen?

 

Normenkette

§§ 62ff., § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 EStG, Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a, Art. 14 Abs. 1 Buchst. a, Art. 76 VO Nr. 1408/71, Art. 10 VO Nr. 574/72, Art. 39, 42 EG

 

Sachverhalt

Der Kläger hat die polnische Staatsangehörigkeit, wohnt zusammen mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter in Polen und ist dort auch sozialversichert. Seine Ehefrau war im Streitzeitraum in Polen ausschließlich gesundheitsversichert und erhielt Kindergeld i.H.v. monatlich 48 Zloty.

Von Februar bis Dezember 2006 arbeitete der Kläger als entsandter Arbeitnehmer in Deutschland. Für das Jahr 2006 wurde er hier zusammen mit seiner Ehefrau zur ESt veranlagt. Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Gewährung von Kindergeld ab.

Die Klage hatte keinen Erfolg (Vorinstanz: FG Düsseldorf, Urteil vom 22.12.2008, 10 K 404/08 Kg, Haufe-Index 2119678, EFG 2009, 497).

 

Entscheidung

Der BFH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die aus dem Leitsatz ersichtlichen gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Fragen zur Klärung vorgelegt.

 

Hinweis

1. Nach der Rechtsprechung des EuGH bilden die u.a. für das Kindergeld als Familienleistung geltenden Vorschriften der VO Nr. 1408/71 ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, das den nationalen Gesetzgebern die Befugnis nimmt, in diesem Bereich zu bestimmen, welche Personen ihren nationalen Bestimmungen unterliegen. Demzufolge hat jemand, der nach Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 in das soziale Sicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats eingegliedert ist, auch dann keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld, wenn er die Voraussetzungen der §§ 62ff. EStG erfüllt.

2. Zweifelhaft ist, inwieweit das Bosmann-Urteil des EuGH den Grundsatz der Einordnung in lediglich ein soziales Sicherungssystem aufgeweicht hat. Frau Bosmann wohnte mit ihren volljährigen Kindern in der Bundesrepublik. Nachdem sie eine Beschäftigung in den Niederlanden aufnahm und daher nun niederländischen Rechtsvorschriften unterlag, die für volljährige Kinder kein Kindergeld vorsehen, verlor sie – infolge der Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts und dem damit verbundenen Wechsel des Sozialrechtsstatuts – ihren deutschen Kindergeldanspruch. Der EuGH entschied dazu, dass das Gemeinschaftsrecht die deutschen Behörden nicht verpflichte, Frau Bosmann Kindergeld zu gewähren, es ihnen jedoch auch nicht verbiete.

3. Nach Auffassung des BFH sind die Grundsätze des Bosmann-Urteils nicht auf nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer übertragbar, deren Familien im Heimatland bleiben. Art. 14 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 schütze ihr Interesse, während der vorübergehenden Auslandsbeschäftigung in der bisherigen Sozialversicherungsordnung zu verbleiben. Durch die Entsendung verlören sie keine ihnen bislang zustehenden Rechte, sondern seien lediglich am Erwerb neuer Rechte (in Deutschland) gehindert. Zudem könnten sich Ansprüche wegen des Wohnsitzes der Kinder nur gegen den (ausländischen) Wohnsitzstaat richten.

4. Die Vorlagefragen 2 bis 4 beziehen sich nur auf den Fall, dass die Gewährung von Kindergeld an entsandte Arbeitnehmer nicht von vorneherein ausscheidet, und sollen die sich dann ergebenden Folgefragen klären, ob ein ausländischer Kin­dergeldanspruch der Gewährung deutschen Kin­dergeldes entgegensteht, ob der Ausschlusstatbestand des § 65 EStG mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist und welcher Staat die vom anderen Staat erbrachte Leistung mindernd zu berücksichtigen hat.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 21.10.2010 – III R 5/09

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