Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerlager, keine gesamtschuldnerische Haftung des Lagerhalters für MwSt-Schulden, Gutgläubigkeit des Lagerhalters

 

Leitsatz (amtlich)

Art. 21 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten danach nicht bestimmen können, dass der Inhaber eines anderen Lagers als eines Zolllagers für die Mehrwertsteuer, die auf eine Lieferung von Waren aus diesem Lager gegen Entgelt durch den mehrwertsteuerpflichtigen Eigentümer der Waren anfällt, selbst dann gesamtschuldnerisch haftet, wenn er gutgläubig ist oder ihm weder ein Fehler noch eine Nachlässigkeit vorgeworfen werden kann.

 

Normenkette

EWGRL 388/77 Art. 21 Abs. 3

 

Beteiligte

Vlaamse Oliemaatschappij

Vlaamse Oliemaatschappij NV

FOD Financiën

 

Verfahrensgang

Rechtbank van eerste aanleg te Brugge (Belgien) (Urteil vom 13.10.2010; ABl. EU 2011, Nr. C 13/19)

 

Tatbestand

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Steuerschuldner ‐ Gesamtschuldnerisch haftender Dritter ‐ Regelung für andere Lager als Zolllager ‐ Gesamtschuldnerische Haftung des Lagerinhabers und des steuerpflichtigen Eigentümers der Güter ‐ Gutgläubigkeit oder Abwesenheit eines Fehlers oder einer Nachlässigkeit des Lagerinhabers“

In der Rechtssache C-499/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank van eerste aanleg te Brugge (Belgien) mit Entscheidung vom 13. Oktober 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2010, in dem Verfahren

Vlaamse Oliemaatschappij NV

gegen

FOD Financiën

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Malenovský sowie der Richter G. Arestis (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Vlaamse Oliemaatschappij NV, vertreten durch T. Leeuwerck, advocaat,

‐ der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und B. Burggraaf als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 21 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 (ABl. 2002, L 15, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vlaamse Oliemaatschappij NV (im Folgenden: VOM) und dem FOD Financiën (Bundesbehörde für Finanzen) über die Zahlung der Mehrwertsteuer durch diese Gesellschaft auf Brennstofflieferungen, die einer ihrer Kunden aus ihrem Lager durchgeführt hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 Teil B Abs. 1 Buchst. e Abs. 1 der Sechsten Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28c Teil E Abs. 1 erster Gedankenstrich haben die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, die Lieferungen von Gegenständen, die einer anderen Lagerregelung als der Zolllagerregelung unterliegen sollen, nicht der Mehrwertsteuer zu unterwerfen.

Rz. 4

Nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28c Teil E Abs. 1 erster Gedankenstrich wird abweichend von Art. 21 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 1 dieser Richtlinie die nach Unterabs. 1 dieses Art. 16 Abs. 1 geschuldete Steuer von der Person geschuldet, die veranlasst, dass die Gegenstände die in diesem Absatz aufgeführten Regelungen oder Sachverhalte verlassen.

Rz. 5

Art. 21 („Steuerschuldner gegenüber dem Fiskus“) der Sechsten Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28g lautet:

„(1) Im inneren Anwendungsbereich schuldet die Mehrwertsteuer:

a) der Steuerpflichtige, der eine steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen durchführt bzw. eine steuerpflichtige Dienstleistung erbringt, mit Ausnahme der unter den Buchstaben b) und c) genannten Fälle.

Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen bewirkt bzw. erbracht, so können die Mitgliedstaaten gemäß den von ihnen festgelegten Bedingungen vorsehen, dass der Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung von Gegenständen bzw. der steuerpflichtigen Dienstleistung die Steuer schuldet;

b) der steuerpflichtige Empfänger einer in Artikel 9 Absatz 2 ...

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