Entscheidungsstichwort (Thema)

Scheinrechnung, Steuerberichtigung, Gutglaubensschutz, Steuerschuld des Rechnungsausstellers

 

Leitsatz (amtlich)

1.Hat der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, so verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, ohne dass eine solche Berichtigung vom guten Glauben des Ausstellers der betreffenden Rechnung abhängig gemacht werden darf.

2.Es ist Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren festzulegen, in dem zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wobei diese Berichtigung nicht im Ermessen der Finanzverwaltung stehen darf.

 

Normenkette

EWGRL 388/77 Art. 21 Nr. 1 Buchst. c

 

Beteiligte

Manfred Strobel

Schmeink & Cofreth AG & Co. KG

Finanzamt Borken

Finanzamt Esslingen

 

Verfahrensgang

BFH (Aktenzeichen V R 38/97, V R 61/97; BFH/NV 1999, 576)

 

Tatbestand

Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit einer Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer vorzusehen - Voraussetzungen - Guter Glaube des Ausstellers der Rechnung

In der Rechtssache C-454/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Bundesfinanzhof (Deutschland) in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Schmeink & Cofreth AG & Co. KG

gegen

Finanzamt Borken

und

Manfred Strobel

gegen

Finanzamt Esslingen

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter) und L. Sevón sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, J.-P. Puissochet, P. Jann, H. Ragnemalm, M. Wathelet und V. Skouris,

Generalanwalt: N. Fennelly

Kanzler: R. Grass

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

-der Schmeink & Cofreth AG & Co. KG, vertreten durch die Steuerberater J. Hartmann und A. Schiller,

-der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, beide Bundesministerium der Finanzen, als Bevollmächtigte,

-der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater E. Traversa und durch A. Buschmann, zum Juristischen Dienst abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. April 2000,

folgendes

Urteil

1. Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 15. Oktober 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Dezember 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Schmeink & Cofreth AG & Co. KG (im Folgenden: Klägerin) und dem Finanzamt Borken sowie zwischen Herrn Strobel (im Folgenden: Kläger) und dem Finanzamt Esslingen, in denen es um die Weigerung der Finanzämter geht, den Klägern als Billigkeitsmaßnahme die Zahlung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer zu erlassen.

Die Sechste Richtlinie

3. In Artikel 21 der Sechsten Richtlinie heißt es:

Die Mehrwertsteuer schuldet

1.im inneren Anwendungsbereich

c)jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist;

Das nationale Mehrwertsteuerrecht

4. § 14 Absatz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1991, der die Festsetzung der Mehrwertsteuer bei unrichtigem Steuerausweis in der Rechnung betrifft, lautet:

Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen, so schuldet er auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger, so ist § 17 Absatz 1 entsprechend anzuwenden.

5. Ferner heißt es in § 14 Absatz 3 UStG zur Festsetzung der Mehrwertsteuer bei unberechtigtem Steuerausweis in der Rechnung:

Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, schuldet den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand in einer anderen Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt...

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