Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerbefreiung, innergemeinschaftliche Lieferung neuer Fahrzeuge, Gutglaubensschutz, Vorübergehende Zulassung eines neuen Fahrzeugs im Bestimmungsmitgliedstaat, Keine Ansässigkeit des Fahrzeugkäufers im Bestimmungsmitgliedstaat

 

Leitsatz (amtlich)

1. Art. 138 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem steht dem entgegen, dass nationale Vorschriften den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung eines neuen Fahrzeugs von der Voraussetzung abhängig machen, dass der Erwerber dieses Fahrzeugs im Bestimmungsmitgliedstaat des Fahrzeugs niedergelassen oder wohnhaft ist.

2. Art. 138 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die Befreiung einer Lieferung eines neuen Fahrzeugs von der Steuer im Liefermitgliedstaat nicht allein deshalb verweigert werden darf, weil dieses Fahrzeug Gegenstand einer nur vorübergehenden Zulassung im Bestimmungsmitgliedstaat war.

3. Art. 138 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 steht dem entgegen, dass der Verkäufer eines neuen Fahrzeugs, das vom Erwerber in einen anderen Mitgliedstaat befördert und in diesem Mitgliedstaat zugelassen wird, später verpflichtet ist, die Mehrwertsteuer zu entrichten, wenn nicht bewiesen ist, dass die vorübergehende Zulassung ausgelaufen ist und dass die Mehrwertsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat entrichtet wurde oder wird.

4. Art. 138 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes stehen dem entgegen, dass der Verkäufer eines neuen Fahrzeugs, das vom Erwerber in einen anderen Mitgliedstaat befördert und in diesem Mitgliedstaat vorübergehend zugelassen wird, im Fall eines vom Erwerber begangenen Steuerbetrugs später verpflichtet ist, die Mehrwertsteuer zu entrichten, sofern nicht anhand objektiver Elemente bewiesen ist, dass dieser Verkäufer wusste oder hätte wissen müssen, dass der Umsatz mit einem Steuerbetrug des Erwerbers verknüpft war, und dass er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine Beteiligung an diesem Steuerbetrug zu verhindern. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies auf der Grundlage einer umfassenden Beurteilung aller Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände des Ausgangsverfahrens der Fall ist.

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 138 Abs. 2 Buchst. a

 

Beteiligte

Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis

Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis Lda

Autoridade Tributária e Aduaneira

 

Verfahrensgang

Tribunal Arbitral Tributário (Portugal) (Beschluss vom 30.11.2015; ABl. EU 2016, Nr. C 136/9)

 

Tatbestand

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 138 Abs. 2 Buchst. a ‐ Voraussetzungen für die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung eines neuen Fahrzeugs ‐ Wohnsitz des Käufers im Bestimmungsmitgliedstaat ‐ Vorübergehende Zulassung im Bestimmungsmitgliedstaat ‐ Gefahr der Steuerumgehung ‐ Guter Glaube des Verkäufers ‐ Sorgfaltspflicht des Verkäufers“

In der Rechtssache C-26/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa ‐ CAAD) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten, Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren, Portugal), mit Entscheidung vom 30. November 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 2016, in dem Verfahren

Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis Lda

gegen

Autoridade Tributária e Aduaneira

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Juhász sowie des Richters C. Vajda und der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis Lda, vertreten durch B. Botelho Antunes und J. Mendonça, advogados,

‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, R. Campos Laires und M. Figueiredo als Bevollmächtigte,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Caeiros und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Februar 2017

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 138 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis Lda (im Folgenden: Santogal) einerseits und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Zoll- und Steuerverwaltung, Portugal) andererseits betreffend die Weigerung dieser Behörde, einen Umsatz als innergemeinschaftliche Lieferung eines neuen Fahrzeugs von der Mehrwertsteuer zu befreien.

Rechtlicher Rahmen

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