Entscheidungsstichwort (Thema)

Psychotherapeutische Behandlungen durch eine Stiftung mit angestellten Diplompsychologen, die keine Ärzte sind, umsatzsteuerfrei, förmliche Anerkennung einer begünstigten Einrichtung nicht erforderlich; unmittelbares Berufungsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die in der Ambulanz einer Stiftung des privaten Rechts von Diplompsychologen, die keine Ärzte sind, ausgeführten psychotherapeutischen Behandlungen stellen keine mit Krankenhausbehandlung oder ärztlicher Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage dar, es sei denn, dass diese Behandlungen tatsächlich als Nebenleistungen zu einer die Hauptleistung darstellenden Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung ihrer Empfänger erbracht werden. Dagegen ist der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff ärztliche Heilbehandlung dahin auszulegen, dass er sämtliche Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin im Sinne von Absatz 1 Buchstabe c und insbesondere Leistungen von Personen umfasst, die keine Ärzte sind, aber arztähnliche Leistungen erbringen, wie es bei psychotherapeutischen Behandlungen durch Diplompsychologen der Fall ist.

2. Die Anerkennung einer Einrichtung im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388 setzt kein förmliches Anerkennungsverfahren voraus und muss sich nicht unbedingt aus innerstaatlichen Vorschriften mit steuerrechtlichem Charakter ergeben. Enthalten die innerstaatlichen Vorschriften über die Anerkennung Beschränkungen, die die Grenzen des den Mitgliedstaaten durch die genannte Bestimmung eingeräumten Ermessens überschreiten, so ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand aller relevanten Gesichtspunkte zu ermitteln, ob ein Steuerpflichtiger gleichwohl als andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist.

3. Die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie 77/388 ist von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort genannten ärztlichen oder arztähnlichen Leistungen erbringt, unabhängig, so dass psychotherapeutische Behandlungen, die eine Stiftung des privaten Rechts mit bei ihr beschäftigten Psychotherapeuten ausführt, unter diese Befreiung fallen können.

4. Ein Steuerpflichtiger kann sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens vor einem nationalen Gericht auf Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie 77/388 berufen, um gegen die Anwendung einer mit dieser Bestimmung unvereinbaren innerstaatlichen Regelung vorzugehen.

 

Normenkette

EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b, c

 

Beteiligte

Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie

Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie

Finanzamt Gießen

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 14.12.2000; Aktenzeichen V R 54/98; BFH/NV 2001, 565)

 

Tatbestand

Mehrwertsteuer - Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG - Steuerbefreiung - Psychotherapeutische Behandlungen in einer Ambulanz, die durch eine gemeinnützige Stiftung des privaten Rechts mit nicht als Ärzten zugelassenen Diplompsychologen betrieben wird - Unmittelbare Wirkung

In der Rechtssache C-45/01

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Bundesfinanzhof (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie

gegen

Finanzamt Gießen

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des

Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters D. A. O. Edward in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter P. Jann und A. Rosas (Berichterstatter),

Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, vertreten durch Rechtsanwalt W. Küntzel,

- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und B. Muttelsee-Schön als Bevollmächtigte,

- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und K. Gross als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, der deutschen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 18. September 2002,

nach Anhörung de...

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