Die schuldbefreiende Wirkung des § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG lässt die materielle Rechtslage hinsichtlich der Erstattungsberechtigung zusammenveranlagter Ehegatten unberührt. Es besteht zwischen den Ehegatten – im Gegensatz zur Gesamtschuldnerschaft bezüglich der zu zahlenden Steuer – im Erstattungsfall keine Gesamt-, sondern nur Teilgläubigerschaft. Das Finanzamt müsste daher den Erstattungsbetrag zwischen den Eheleuten fast immer aufteilen.

Die Regelung des § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG soll dies verhindern und dem Finanzamt aufwendige Nachforschungen zur Erstattungsberechtigung des einzelnen Ehegatten ersparen. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass bei einer intakten Ehe die Erstattung an einen Ehegatten vom anderen gebilligt wird.[1] Die Vorschrift des § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG gilt nicht nur für die Erstattung einbehaltener Abzugsbeträge oder geleisteter Vorauszahlungen, sondern auch für Abschlusszahlungen, auch wenn Letztere nicht ausdrücklich genannt sind.

Schuldbefreiend kann das Finanzamt aber nur auf das in der gemeinsamen Steuererklärung benannte Konto leisten. Unerheblich ist dabei, wem dies zivilrechtlich zuzurechnen ist.

Widerruft nur einer der Ehegatten, ist dies für das Finanzamt Anlass zur Abklärung der Angelegenheit mit dem anderen Ehegatten, ggf. zur Aufteilung. Auch aus der Sicht der Eheleute ist für klare Verhältnisse zu sorgen, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

 
Wichtig

Elektronische Erklärungsabgabe

Gerichtlich noch nicht entschieden (m. W. auch nicht anhängig) ist die Frage, ob die Vereinfachungsregelung des § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG auch im Fall der vollelektronischen Übermittlung der ESt-Erklärung[2] Anwendung findet. Gem. § 87d AO kann mit der elektronischen Übermittlung ein Dritter beauftragt werden. Nach Auslegung dieser Regelung in der Verwaltungspraxis ist im Rahmen der Zusammenveranlagung jeder Ehegatte ein "Dritter" und kann somit jeweils allein die elektronische Erklärung für beide Ehegatten authentifizieren. § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG soll daher auch bei vollelektronischer Erklärungsabgabe zur Anwendung kommen, wenn dem Finanzamt nicht besondere Umstände bekannt sind, die die Vermutung der gegenseitigen Einziehungsvollmacht widerlegen.

Diese Auffassung ist bedenklich, weil nach der BFH-Rechtsprechung § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG seine Legitimation in einer von beiden Ehegatten unterschriebenen gemeinsamen "Papier-Steuererklärung" findet. Der Ersatz der eigenhändigen Unterschrift beider Ehegatten durch die Authentifizierung nur eines Ehegatten im Fall der vollelektronischen Erklärungsabgabe mag zwar noch zu einer wirksamen Steuererklärung führen, nicht aber zur Unterstellung, dass der andere Ehegatte im Erstattungsfall mit der Überweisung auf das darin angegebene Konto einverstanden ist.[3]

Die Vorschrift des § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG findet nach den o. g. Grundzügen keine Anwendung, wenn das Finanzamt erkennt oder erkennen musste, dass die Auszahlung des gesamten Erstattungsbetrags an einen Ehegatten dem Interesse des anderen entgegensteht. In diesen Fällen, insbesondere bei inzwischen geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten[4], kann das Finanzamt mit schuldbefreiender Wirkung nur an den materiell erstattungsberechtigten Ehegatten auszahlen.[5] In diesem Fall hat es entsprechende Feststellungen zu treffen und ggf. den Erstattungsbetrag aufzuteilen und entsprechend an den jeweiligen Ehegatten auszuzahlen. Beachtet das Finanzamt dies nicht und zahlt den gesamten Betrag an nur einen Ehegatten aus, ist der auf den anderen Ehegatten entfallende Erstattungsanspruch (noch) nicht erfüllt. Macht dieser den Anspruch geltend, muss das Finanzamt insoweit nochmals leisten. In gleicher Höhe hat es dann gegen den anderen Ehegatten einen Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO[6] mit dem entsprechenden Ausfallrisiko (z. B. bei Insolvenz).

 
Praxis-Beispiel

Mitteilung über Trennung

M und F werden für das Jahr 02 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und haben aufgrund überhöhter Vorauszahlungsleistungen eine Steuererstattung zu erwarten, die beiden je zur Hälfte zusteht (s. u.). Vor Absendung des Bescheids teilt F im März 03 dem Finanzamt mit, dass sie inzwischen von M getrennt lebt, und gibt für sie ein neues Konto an. Das Finanzamt hält sich (aus welchem Grund auch immer) nicht daran und überweist den gesamten Erstattungsbetrag von 5.000 EUR auf das bisherige Konto, über das allein M verfügt. Eine Schuldbefreiung nach § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG ist bezüglich F nicht eingetreten. Das Finanzamt muss 2.500 EUR nochmals an sie überweisen und diesen Betrag zugleich von M zurückfordern.

Eine Aufteilung ist des Weiteren erforderlich, wenn die Eheleute Einzelveranlagung[7] wählen und auf Rechnung beider geleisteter Vorauszahlungen (oder Abzugsbeträge) anzurechnen sind[8], das Finanzamt den Erstattungsanspruch zur Aufrechnung mit einer rückständigen Steuerschuld des anderen Ehegatten (z. B. Einkommensteuer aus einem Jahr vor der Zusammenveranlagung oder Umsatzsteuer) verwenden will oder in den Fällen der Dritt...

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