Leitsatz

1. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in seiner durch die Rechtsprechung zu Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem konkretisierten Form ist dahin auszulegen, dass er es der Finanzverwaltung verbietet, dem Erbringer einer steuerfreien Leistung auf der Grundlage einer nationalen Rechtsvorschrift zur Umsetzung von Art. 203 die Erstattung der einem Kunden fälschlich in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer mit der Begründung zu versagen, dass er die fehlerhafte Rechnung nicht berichtigt habe, obwohl dem Kunden das Recht auf Abzug dieser Steuer von der Finanzverwaltung endgültig versagt wurde und dies zur Folge hat, dass die im nationalen Recht vorgesehene Berichtigungsregelung nicht mehr anwendbar ist.

2. Ein Steuerpflichtiger kann sich auf den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in seiner durch die Rechtsprechung zu Art. 203 der Richtlinie 2006/112 konkretisierten Form berufen, um einer nationalen Regelung entgegenzutreten, die die Erstattung der fälschlich in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer von der Berichtigung der fehlerhaften Rechnung abhängig macht, obwohl das Recht auf Abzug dieser Steuer endgültig versagt wurde und dies zur Folge hat, dass die im nationalen Recht vorgesehene Berichtigungsregelung nicht mehr anwendbar ist.

 

Normenkette

§ 15 UStG, MwStSystRL Art. 203

 

Sachverhalt

R hatte für einen steuerfreien Umsatz Umsatzsteuer berechnet. Den Vorsteuerabzug hatte der Erwerber zunächst erhalten, das FA änderte dann den Bescheid. Den Anspruch von R auf Erstattung der rechtsgrundlos gezahlten Steuer lehnte das FA unter Hinweis auf die fehlende Rechnungskorrektur ab. Diese war – so der berichtete Sachverhalt – nach bulgarischem Recht aber nicht mehr zulässig.

 

Entscheidung

Die für das UStG wesentlichen Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen.

 

Hinweis

Die Entscheidung betrifft einen Sachverhalt, bei dem zu Unrecht Umsatzsteuer ausgewiesen und abgeführt und dem Leistungsempfänger der Vorsteuerabzug versagt worden ist. Besonderheit war, dass nach bulgarischem Recht offenbar eine Rechnungsberichtigung mit der Folge eines Rückerstattungsanspruchs nicht mehr zulässig war.

1. Der Unternehmer schuldet die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer. Jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer kann jedoch berichtigt werden, wenn der Rechnungsaussteller die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat. Ist das der Fall, ist unerheblich, ob er bei der Ausstellung der Rechnung gutgläubig war. Dies ist inzwischen in § 14c Abs. 2 UStG ausdrücklich geregelt. Der Erstattungsanspruch entsteht mit der Berichtigung.

2. Der Steuerpflichtige kann sich unmittelbar auf eine Richtlinienbestimmung berufen, wenn diese ihm eine gegenüber dem nationalen Recht günstigere Rechtsposition einräumt. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Richtlinienbestimmung hinreichend genau und nicht an Bedingungen geknüpft ist. Ist das der Fall, ist das nationale Recht nicht anzuwenden. Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf den Neutralitätsgrundsatz nicht vor, der zwar ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist, aber für jede umsatzsteuerrechtliche Rechtsfrage justiert werden muss.

Weil – so der EuGH – durch die Rechtsprechung des EuGH die Verpflichtung des Mitgliedstaates zu Art. 203 MwStSystRL in Bezug auf eine zu Unrecht ausgewiesene und gezahlte Umsatzsteuer und deren Erstattungsvoraussetzungen so hinreichend und genau konkretisiert worden sei, könne sich der Steuerpflichtige insoweit auch auf den Neutralitätsgrundsatz berufen. Das ist neu, hat aber angesichts der Regelung in § 14c Abs. 2 UStG keine Auswirkung.

3. Es ist nichts Neues, dass die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts dem System des AEU-Vertrags immanent ist, weil es nur so den nationalen Gerichten ermöglicht wird, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen; eine unionsrechtskonforme Auslegung hat insoweit Vorrang.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 11.4.2013 C-138/12 –Rusedespred OOD

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