Leitsatz

Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns einer Aktie, die durch die Ausübung eines Bezugsrechts erworben wurde, das von einer vor dem 1. Januar 2009 erworbenen und bereits steuerentstrickten Aktie abgespalten wurde, sind die Anschaffungskosten des Bezugsrechts entgegen der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG 2009 nicht mit 0 €, sondern in der tatsächlichen Höhe anzusetzen.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 4a Satz 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1, § 52a Abs. 10 Sätze 1 und 10, Abs. 11 Satz 4 EStG 2009, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002

 

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im Jahr 2010 im Rahmen einer Kapitalerhöhung der D-AG junge Aktien über die Ausübung von Bezugsrechten. Diese waren von Aktien abgespalten worden, die der Kläger bereits vor dem 1.1.2009 angeschafft hatte. Die Anschaffungskosten der Bezugsrechte beliefen sich auf 7,20 EUR je Aktie. Noch im Streitjahr veräußerte der Kläger zehn der jungen Aktien und erzielte einen Veräußerungserlös i.H.v. insgesamt 410,35 EUR. Nach der Bescheinigung der Bank über den Wertpapierverkauf belief sich der Veräußerungsgewinn auf 58,15 EUR. Bei dessen Ermittlung blieb der Wert der Bezugsrechte unberücksichtigt.

Der Kläger beantragte in der Einkommensteuererklärung für 2010 die Überprüfung des Steuerein­behalts für Kapitalerträge gemäß § 32d Abs. 4 EStG. Er vertrat die Auffassung, dass der Veräußerungsgewinn um die Anschaffungskosten der Bezugsrechte zu mindern sei, sodass insgesamt ein Veräußerungsverlust entstanden sei.

Das FA lehnte dies ab. Die Vorinstanz (FG Köln, Urteil vom 23.10.2014, 10 K 3473/12, Haufe-Index 7493309, EFG 2015, 209) gab der Klage statt.

 

Entscheidung

Die Revision des FA führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur teilweisen Abweisung der Klage. Zwar hatte das FG zu Recht entschieden, dass bei der Ermittlung des Gewinns aus dem Verkauf der jungen Aktien § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG keine Anwendung findet. Es hat jedoch übersehen, dass der danach verbleibende Verlust i.H.v. 14 EUR gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nur mit dem Gewinn aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden kann.

 

Hinweis

1. Gegenstand des Urteils ist die Besteuerung der Veräußerung von jungen Aktien, die nach einer Kapitalerhöhung aufgrund eines Bezugsrechts erworben wurden. Gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG wird der Teil der Anschaffungskosten der Altanteile, die auf das Bezugsrecht entfällt, bei der Ermittlung des Gewinns mit 0 EUR angesetzt.

2. Die Besonderheit des Falls bestand darin, dass das Bezugsrecht von Aktien abgespalten wurde, die vor der Einführung der Abgeltungsteuer am 1.1.2009 erworben wurden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollte dies bei der Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG keine Rolle spielen, da der Erwerb und die Veräußerung der jungen Aktien nach der Einführung der Abgeltungsteuer erfolgten.

3. Dieser Auffassung hat der BFH aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Absage erteilt. § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG findet keine Anwendung, wenn das Bezugsrecht von Aktien abgespalten wurde, die vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden und bei denen die Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. zum Zeitpunkt der Veräußerung der jungen Aktien bereits abgelaufen war. Aus dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot folgt, dass der Gesetzgeber bereits steuerentstrickte Wertsteigerungen nicht mehr besteuern darf.

Gegen eine Besteuerung spricht auch, dass es sich bei der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG um eine Einkünfteermittlungsvorschrift handelt. Durch diese kann ein Besteuerungsrecht für bereits steuerentstrickte Vermögenswerte nicht begründet werden.

4. Jedoch kann der Verlust aus der Veräußerung der jungen Aktien aufgrund der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStGnur mit Aktiengewinnen verrechnet werden. Der BFH hat sich in dem vorliegenden Fall nicht explizit dazu geäußert, ob er das Verlustverrechnungsverbot für verfassungsgemäß hält.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 9.5.2017 – VIII R 54/14

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