Sachverhalt

Die Klage gegen Frankreich betraf die Anwendung des Begriffs der Einheitlichkeit der Leistung im Rahmen der Tatbestände des ermäßigten Steuersatzes (Art. 98 i.V.m. Anhang III Nr. 16 MwStSystRL). In Frankreich besteht eine Regelung, wonach die Dienstleistungen von Bestattungsinstituten nur insoweit ermäßigt besteuert werden, als es sich um die Beförderung des Leichnams handelt. Frankreich macht von Art. 98 i.V.m. Anhang III Nr. 16 MwStSystRL Gebrauch. Danach können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz anwenden auf "Dienstleistungen von Bestattungsinstituten und Krematorien, einschließlich der Lieferung von damit im Zusammenhang stehenden Gegenständen". Nach französischem Recht werden auf die Leistungen von Bestattungsinstituten jedoch zwei verschiedene Steuersätze angewandt: der ermäßigte Satz für die Beförderung des Leichnams, der Normalsatz für die übrigen Leistungen.

Die Kommission vertrat mit ihrer Klage die Auffassung, dass die Organisation der Beisetzung eines Leichnams eine einheitliche Leistung ist, die nur einem Steuersatz unterliegen kann. . Nach gefestigter Rechtsprechung dürfe ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstelle, im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Die überwältigende Mehrheit der Familien, die ein Bestattungsinstitut mit der Organisation einer Beisetzung beauftragen, sei der Meinung, dass es sich bei den betreffenden Tätigkeiten um ein und dieselbe Leistung handele. Durch die französische Regelung würden sich für diese einheitliche Leistung im Ergebnis je nach Anteil des Entgelts für die Beförderung an dem Gesamtentgelt jeweils verschiedene ermäßigte Steuersätze ergeben. Dies sei auch unvereinbar mit Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL, wonach die Mitgliedstaaten nicht mehr als zwei verschiedene ermäßigte Steuersätze anwenden dürfen. Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL gestatte es nicht, auf bestimmte Beförderungsleistungen einen ermäßigten Steuersatz und auf die anderen Leistungen eines Bestattungsinstituts den Normalsatz anzuwenden und dadurch das Niveau des effektiven Steuersatz zwangsläufig unter den in Frankreich geltenden Normalsatz zu drücken. Darüber hinaus variiere das Niveau dieses ermäßigten Satzes von Umsatz zu Umsatz, je nachdem, welches Gewicht die unter den ermäßigten Satz fallenden Leistungen jeweils hätten, was ebenfalls durch die MwStSystRL nicht gestattet sei.

 

Entscheidung

Der EuGH hat die Klage abgewiesen. Nach dem Urteil ist es nicht zwingend, dass der ermäßigte Steuersatz nur dann angewandt werden kann, wenn er sich auf alle Teilbereiche einer Kategorie von Dienstleistungen im Sinne des Anhangs III MwStSystRL bezieht. Somit ist eine selektive Anwendung eines ermäßigten Satzes nicht ausgeschlossen, wenn keine Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen besteht.

Der EuGH lässt das Vorbringen der Kommission, bei den Dienstleistungen eines Bestattungsinstituts handele es sich um einen einheitlichen Umsatz, der nur einem einheitlichen Steuersatz unterliegen könne, dahinstehen. Zum Begriff der Einheitlichkeit der Leistung führt der EuGH aus, dass die Kriterien, die dabei zu beachten sind, wie etwa die Erwartung eines Durchschnittsverbrauchers, das Funktionieren des Mehrwertsteuersystems angesichts der Vielfalt gewerblicher Umsätze schützen sollen. Der EuGH habe bereits zu erkennen gegeben, dass dieses Problem nicht erschöpfend behandelt werden könne und eine Gesamtbetrachtung erforderlich sei. Die Kriterien der Einheitlichkeit der Leistung könnten sich zwar im Einzelfall eignen, um u. a. zu verhindern, dass die vertragliche Gestaltung durch den Unternehmer und den Kunden zu einer künstlichen Aufspaltung eines Umsatzes, der wirtschaftlich betrachtet eine Einheit bildet, in mehrere steuerliche Umsätze führt. Die Kriterien seien jedoch nicht entscheidend für die Ausübung des Wertungsspielraums, den die bei der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes haben.

Nach dem Urteil kann somit selbst bei einem einheitlichen Umsatz für einen Teilbereich die Steuerermäßigung in Betracht kommen. Entscheidend dabei ist, ob es sich bei diesem Teilbereich (hier die Beförderung eines Leichnams) um einen konkreten und spezifischen Bereich einer Kategorie von Leistungen im Sinne von Anhang III Nr. 16 MwStSystRL handelt. Für die Beförderung eines Leichnams bejaht der EuGH dies. Es handele sich um einen konkreten und spezifischen Bestandteil der Dienstleistungen, die von Bestattungsinstituten erbracht werden. Auch die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung ist dabei nach dem Urteil ausgeschlossen. Hierzu verweist der EuGH auf das Vorbringen Frankreichs, wonach die Beförderung eines Leichnams außerhalb der Dienstleistungen eines Bestattungsinstituts als Personenbeförderung angesehen werde, die in Anwendung von Anhang III Nr. 5 MwStSystRL in Frankreich ebenfalls dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Insgesamt gilt nach dem Urteil somit das Prinzip, dass eine unselbständige Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt, ...

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