Leitsatz

Bei der Klage der EU-Kommission gegen Frankreich ging es um die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 5,5 % auf Anschlussgrundgebühren für Gas- und Elektrizitätslieferungen, während die Lieferungen selbst dem Normalsatz unterliegen. Die EU-Kommission ist - was selten vorkommt - in allen Punkten ihrer Klage unterlegen.

 

Sachverhalt

Nach Artikel 12 Abs. 3 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie können die Mitgliedstaaten auf die Lieferungen von Erdgas und Elektrizität einen ermäßigten Steuersatz anwenden, sofern nicht die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung besteht. Ein Mitgliedstaat, der einen derartigen Satz anwenden will, muss zuvor die Kommission davon unterrichten. Diese entscheidet darüber, ob die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung besteht. Hat die Kommission binnen drei Monaten nach ihrer Unterrichtung noch keinen Beschluss gefasst, wird davon ausgegangen, dass diese Gefahr nicht gegeben ist. Frankreich hatte die Kommission 1998 darüber informiert, dass es auf die Anschlussgrundgebühren bei Gas- und Elektrizitätsversorgungsnetzen einen ermäßigten Steuersatz anwenden wolle. Die Kommission hatte Frankreich geantwortet, dies sei nur möglich, wenn die Grundgebühr eine Gegenleistung für die Energielieferung darstelle. Dies hatte Frankreich in seiner Antwort bejaht. Trotz der von der Kommission nochmals geäußerten Zweifel, ob die Grundgebühr eine Gegenleistung für die Energielieferungen sein könne, hatte Frankreich den ermäßigten Steuersatz für die Anschlussgrundgebühren eingeführt, während es für die Energielieferungen selbst den Normalsatz beibehielt.

 

Entscheidung

Nach dem EuGH-Urteil kann für Zwecke der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes zwischen der Überlassung des Energieversorgungsanschlusses und den Energielieferungen selbst unterschieden werden. Der EuGH kommt im Wesentlichen nur deshalb zu diesem Ergebnis, weil die Kommission nicht bewiesen habe, dass es sich hierbei um gleichartige Leistungen handeln würde, die miteinander im Wettbewerb stehen und deshalb hinsichtlich des Steuersatzes gleichbehandelt werden müssten. Außerdem habe die Kommission nicht bewiesen, dass die Anschlussgrundgebühr keinem tatsächlichen Energieverbrauch entspricht und von daher eine gesonderte, nicht zu ermäßigende Leistung sein müsse. Allerdings weist der EuGH darauf hin, dass Artikel 12 Abs. 3 Buchst. b nicht dahingehend auszulegen sei, dass der ermäßigte Steuersatz auf alle Erdgas- und Elektrizitätslieferungen angewendet werden muss.

Im Übrigen äußert sich der EuGH zu dem Verfahren gemäß Artikel 12 Abs. 3 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie. Die EU-Kommission hat nicht das Recht, durch Nachfragen bei dem jeweiligen Mitgliedstaat den Ablauf der 3-Monatsfrist nach dieser Vorschrift zu hemmen. Sie muss sich binnen der drei Monate geäußert haben, ob die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung besteht. Tut sie das nicht, kann der Mitgliedstaat den ermäßigten Steuersatz für Gas- und Energielieferungen einführen.

 

Hinweis

Das Urteil hat für das deutsche Umsatzsteuerrecht keine unmittelbare Bedeutung, da Deutschland keinen ermäßigten Steuersatz für Gas- und Elektrizitätslieferungen anwendet und dies derzeit wohl auch nicht geplant ist. Interessant ist die Entscheidung allerdings im Hinblick auf das anstehende Urteil zum Steuersatz der Leistungen von Einzelkünstlern (Rs. C-109/02). Nach dem Urteil ist es offensichtlich doch zulässig, gleichartige Leistungen, die nicht zueinander im Wettbewerb stehen, mit unterschiedlichen Steuersätzen zu belegen. Von daher kann die EuGH-Entscheidung zu den Solisten mit Spannung erwartet werden.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 08.05.2003, C-384/01

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