Leitsatz

Begehrt ein Steuerpflichtiger, der an mehreren Personengesellschaften unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen, weil er übermäßig durch Einkommen- und Gewerbesteuer belastet sei, so ist bei der Entscheidung über den Erlassantrag die bei den Personengesellschaften entstandene Gewerbesteuer, die anteilig auf den Steuerpflichtigen entfällt, einzubeziehen. Allerdings darf eine Gewerbesteuerbelastung, die darauf zurückzuführen ist, dass Gewinne und Verluste einzelner Gesellschaften für Zwecke der Gewerbesteuer nicht saldiert werden können, bei der Prüfung einer Übermaßbesteuerung nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.

 

Normenkette

§ 227 AO, Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG, § 44, § 102, § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a, § 126 Abs. 4 FGO, § 2 Abs. 1, § 5 GewStG

 

Sachverhalt

Der Kläger war Geschäftsführer der Komplementär-GmbH und alleiniger Kommanditist einer KG, die Baugrundstücke akquirierte. Nach der Vorprojektierung wurde für die einzelnen Vorhaben jeweils mit Mitinvestoren eine GmbH & Co. KG als Tochtergesellschaft gegründet. Einige dieser Projektgesellschaften waren erfolgreich, andere erzielten Verluste.

Der Kläger beantragte 2006 beim ursprünglich für ihn zuständigen FA X, die für 1989 bis 2004 festgesetzte Einkommensteuer von insgesamt 1,4 Mio. EUR aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Die erzielten Einkünfte seien mit deutlich mehr als 100 % mit Einkommen- und Gewerbesteuer belastet worden. Unter Berücksichtigung der gewerbesteuerlichen Auswirkungen bei den einzelnen Tochtergesellschaften liege eine Übermaßbesteuerung vor.

Das aufgrund eines Wohnsitzwechsels zuständig gewordene FA Y lehnte den Erlassantrag im Dezember 2007 ab, soweit er die Jahre nach 1993 betraf. Zu den Jahren vor 1994 traf es keine Entscheidung.

Das beklagte FA Y erließ sodann für die Jahre 1989 bis 1993 eine ablehnende Einspruchsentscheidung. Es prüfte die steuerliche Belastung der einzelnen Jahre und nicht jahresübergreifend und ließ die Gewerbesteuerbelastung der einzelnen Gesellschaften beim Kläger unberücksichtigt.

Es entschied, eine Übermaßbelastung sei nicht erkennbar, wenn man die Gewerbesteuerbelastung nicht dem Kläger, sondern den Projektgesellschaften zurechne, an denen er beteiligt sei. Für die Jahre nach 1993 traf das FA Y keine Entscheidung.

Das FG Berlin-Brandenburg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.8.2014, 8 K 8322/11, Haufe-Index 7650586) wies die Klage ab, mit der das FA verpflichtet werden sollte, die für die Jahre 1989 bis 1993 festgesetzte Einkommensteuer zu erlassen.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Das FG hatte die fehlerhafte Ermessensausübung des FA bei der Entscheidung über den Erlassantrag zu Unrecht nicht beanstandet, aber die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil angesichts einer Ermessensreduzierung auf Null nur eine Klageab­weisung in Betracht kam.

 

Hinweis

Das Urteil behandelt die Schnittstelle der verfassungswidrigen Überbesteuerung und den Besonderheiten der Gewerbesteuer.

1. Das FA hatte den Erlassantrag des Klägers für die Jahre 1989 bis 1993 erstmals in der Einspruchsentscheidung abgelehnt; der vorangegangene Ablehnungsbescheid betraf nur die Jahre nach 1993. Die erstmalige Ablehnung in der Einspruchsentscheidung genügt jedoch den Anforderungen des § 44 FGO an ein abgeschlossenes Vorverfahren, sodass FG und BFH entscheiden konnten.

2. Die §§ 163 und 227 AO sollen sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen.

Da die Entscheidung des FA über den Erlass eine Ermessensentscheidung ist, beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung gemäß § 102 FGO darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

3. Ein Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen wegen Übermaßbesteuerung kann sich aus der Kumulation von Einkommen- und Gewerbesteuer ergeben. Eine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze existiert indessen nicht; der sog. Halbteilungsgrundsatz des BVerfG ist überholt.

Ein Erlass kommt in Betracht, wenn die Gewerbe­steuer bei mehrjährigen Verlustperioden aus der Substanz des Unternehmens geleistet werden muss und dies im Zusammenwirken mit anderen Steuerarten zu existenzgefährdenden Härten führt (BFH, Urteil vom 4.6.2014, I R 21/13, BFH/NV 2014, 1853, BFH/PR 2014, 428, BStBl II 2015, 293, BFHE 246, 130).

4. Bei der Prüfung einer Übermaßbesteuerung durch Kumulation von Einkommen- und Gewerbesteuer ist nicht nur die Belastung durch die Gewerbesteuer einzubeziehen, welche der (Einzel‐)Unternehmer selbst schuldet (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GewStG), sondern auch die anteilige Gewerbesteuer, die auf der Ebene von Personengesellschaften entstanden ist, an d...

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