8.1 Rechtslage bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetz 2020

In § 14 Abs. 2 ErbStG ist eine Ablaufhemmung vorgesehen. Hiernach gilt Folgendes:

Führt der Eintritt eines Ereignisses mit Wirkung für die Vergangenheit zu einer Veränderung des Werts eines früheren, in die Zusammenrechnung einzubeziehenden Erwerbs, endet die Festsetzungsfrist für die Änderung des Bescheids über die Steuerfestsetzung für den späteren Erwerb nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht vor dem Ende der für eine Änderung des Bescheids für den früheren Erwerb maßgebenden Festsetzungsfrist (vgl. auch R E 14.3 Abs. 2 ErbStR 2019).

Das gilt entsprechend für den Eintritt eines Ereignisses mit Wirkung für die Vergangenheit, soweit es lediglich zu einer Änderung der anrechenbaren Steuer führt.

 
Praxis-Beispiel

Festsetzungsfrist

Der Vater V wendet seiner Tochter T in 2017 nach § 13b Abs. 1 ErbStG begünstigungsfähiges Vermögen zu. Das Verwaltungsvermögen liegt nicht vor. T beantragt hierfür die Optionsverschonung. In 2018 überträgt V weiteres nicht nach § 13a ErbStG begünstigtes Vermögen auf die T. Tochter T veräußert in 2019 den in 2017 erworbenen Betrieb.

Mit der Veräußerung des Betriebs in 2019 verstößt T gegen die 7-jährige Behaltensfrist. Aus diesem Grund ist die Steuerfestsetzung für den Erwerb in 2017 zu ändern. Darüber hinaus ist aber auch die Steuerfestsetzung für den Erwerb in 2018 zu ändern, soweit sich die Verminderung der Verschonung für den Erwerb in 2017 auf den Wert des Vorerwerbs auswirkt. Die Festsetzungsfrist für eine Änderung der Steuerfestsetzung zum Erwerb in 2018 endet nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist für eine Änderung der Steuerfestsetzung zum Vorerwerb 2017.

Nach der R E 14.3 Abs. 3 ErbStR 2019 stellte § 14 Abs. 2 ErbStG auch klar, dass im Falle einer Aufhebung oder Änderung des Schenkungsteuerbescheids für Vorerwerbe nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch der Steuerbescheid für den Letzterwerb nach dieser Vorschrift zu ändern ist. Die Aufhebung oder Änderung des Schenkungsteuerbescheids für den Vorerwerb stellte für die Besteuerung des Letzterwerbs ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung dar.

Der BFH hat mit Urteil v. 12.7.2017[1]

aber entschieden, dass die erstmalige oder geänderte Steuerfestsetzung für einen Vorerwerb kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 darstellt, das die Änderung der Steuerfestsetzung für einen nachfolgenden Erwerb nach dieser Vorschrift zulässt. Die Finanzverwaltung wendet das Urteil allgemein an. R E 14.3 Abs. 3 ErbStR 2011 ist demnach nicht mehr anzuwenden. Dies gilt für alle offenen Fälle.

Die Erbschaftsteuerrichtlinien 2019 besagen nunmehr Folgendes (R E 14.3).

Wird ein Schenkungsteuerbescheid für den Vorerwerb aufgehoben oder geändert, dann ist bei der Besteuerung des Letzterwerbs nicht von einem steuerlich rückwirkenden Ereignis (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) auszugehen.

Anders sieht dies aber aus, wenn sich der Wert des früheren Erwerbs aufgrund eines steuerlich rückwirkenden Ereignisses geändert hat. In diesem Fall wird der Bescheid für den Letzterwerb auch aufgrund der Vorschrift des § § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert.

In den Fällen des Unterschreitens der Lohnsummengrenze und des Verstoßes gegen die Behaltensregelungen gilt hinsichtlich der Festsetzungsfrist, dass deren Beginn auf den Zeitpunkt der Kenntnis der Finanzbehörde hinausgeschoben wird. Für diese Fälle wird analog in § 14 Absatz 2 ErbStG auch die Festsetzungsfrist für den Nacherwerb hinausgeschoben.[2]

 
Praxis-Beispiel

Festsetzungsfrist

Vater V wendet der Tochter T im Oktober 2016 einen nach § 13a ErbStG begünstigten Betrieb schenkweise zu. Für diesen nimmt T die Regelverschonung nach § 13a Abs. 1 ErbStG (85-er Verschonungsabschlag) und nach § 13a Abs. 2 ErbStG (Abzugsbetrag) in Anspruch. In 2018 schenkt er der T ein unbebautes Grundstück. T veräußert im Januar 2020, d. h. innerhalb der fünfjährigen Behaltensfrist (diese gilt für die Regelverschonung) den in 2016 erworbenen Betrieb und verstößt damit gegen die Behaltensregelung des § 13a Abs. 6 ErbStG.

Lösung

Der Verstoß gegen die Behaltensregelung durch T hat folgende Konsequenzen:

  1. Erwerb in 2016: Die bisherige Steuerfestsetzung für den Erwerb in 2016 ist zu ändern.
  2. Erwerb in 2019: Auch die Steuerfestsetzung für den Erwerb 2019 ist zu ändern, soweit sich die Verminderung der Verschonung für den Erwerb 2016 auf den Wert des Vorerwerbs auswirkt. Die Festsetzungsfrist für eine Änderung der Steuerfestsetzung zum Erwerb 2019 endet nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist für eine Änderung der Steuerfestsetzung zum Vorerwerb 2016.

8.2 Rechtslage ab Inkrafttreten des Jahressteuergesetz 2020

Nach der BFH-Rechtsprechung stellte § 14 Abs. 2 ErbStG keine Änderungsvorschrift dar, sondern sei nach dem klaren Wortlaut lediglich eine Regelung zur Bestimmung der Festsetzungsfrist für den späteren Erwerb.

Daraus folgte, dass nach bisherigem Recht eine Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung für den Vorerwerb keine Wirkung auf die Steuerfestsetzung für den Nacherwerb hat. Vielmehr ist die Frage, ob die Vo...

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