Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt in Betracht, wenn die Einziehung der Säumniszuschläge im Hinblick auf den Zweck der Säumniszuschläge nicht mehr zu rechtfertigen ist, weil ihre Entstehung den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (sog. Überhang des Gesetzes).[1] Diese Voraussetzung ist z. B. in folgenden Fällen gegeben[2]:

  • Die Säumniszuschläge entfallen auf einen Zeitraum, in dem der Steuerpflichtige zweifelsfrei überschuldet und zahlungsunfähig war. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die Schulden nicht mehr deckt. Zahlungsunfähigkeit ist das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende andauernde Unvermögen des Schuldners, seine fälligen Geldschulden ganz oder teilweise zu erfüllen. Mehr als die Hälfte der Säumniszuschläge müssen jedoch i. d. R. nicht erlassen werden, da Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands erhoben werden.[3] Ein voller Erlass kommt nur bei zusätzlichen besonderen Gründen persönlicher oder sachlicher Billigkeit in Betracht, z. B. wenn die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Festsetzung von Stundungszinsen[4] aus Billigkeitsgründen[5] erfüllt gewesen wären.[6]
  • Auch ohne das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung kann die Anforderung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig sein, wenn dem Steuerschuldner Ratenzahlung eingeräumt wurde, um auf die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit für eine längere Zeitspanne Rücksicht zu nehmen.[7]
  • Im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschuld haben die Voraussetzungen für einen Erlass oder für eine zinslose Stundung der Steuer vorgelegen.[8] Dabei ist es unerheblich, ob der Steuerpflichtige einen Antrag auf Erlass oder Stundung gestellt hat oder nicht. Insoweit kommt auch ein Erlass von Säumniszuschlägen in Betracht, die während der Dauer eines Vollstreckungsaufschubs i. S. d. § 258 AO oder einer Niederschlagung nach § 261 AO verwirkt sind. Ein Billigkeitserlass ist auch geboten, wenn im Rahmen des Vollstreckungsaufschubs Tilgungsraten eingeräumt werden, die nach der äußersten Grenze der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen bemessen waren. Die Säumniszuschläge sind in diesen Fällen jedoch regelmäßig in der Höhe zu erheben, in der bei Gewährung von Stundung Stundungszinsen angefallen wären.[9]
  • Der Steuerpflichtige hat durch eine Entscheidung des Finanzgerichts die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids erwirkt und hat auch in der Hauptsache obsiegt. Da die Aussetzung der Vollziehung erst ab der gerichtlichen Entscheidung wirkt, sind bis dahin Säumniszuschläge entstanden.[10] Sie können jedoch in voller Höhe erlassen werden.
  • Säumniszuschläge sind in vollem Umfang zu erlassen, wenn eine rechtswidrige Steuerfestsetzung aufgehoben wird und der Steuerpflichtige zuvor alles getan hat, um die Aussetzung der Vollziehung zu erreichen und diese – obwohl möglich und geboten – abgelehnt worden ist.[11] Säumniszuschläge sind daher nicht wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige seinen vom Finanzamt zurückgewiesenen Einspruch gegen die teilweise Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung trotz entsprechender Ankündigung nicht begründet. Ob zum Zeitpunkt der AdV-Versagung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids vorgelegen haben, ist im Billigkeitsverfahren nicht zu überprüfen.[12]
  • Der Steuerpflichtige hat durch eine Entscheidung des Finanzgerichts eine Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids erwirkt, diese Entscheidung wurde aber durch den BFH aufgehoben. In diesem Fall können die Säumniszuschläge erlassen werden, die in der Zeit vom Ergehen der Entscheidung des Finanzgerichts bis zur Entscheidung des BFH verwirkt sind.[13]

Da nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung bis dahin verwirkte Säumniszuschläge unberührt lässt[14], liegt insoweit auch kein Überhang des Gesetzes vor. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt daher in einem solchen Fall nicht in Betracht.

Das Finanzamt ist nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO verfahrensrechtlich zum Erlass einer verbösernden Einspruchsentscheidung berechtigt, wenn ein Teilerlass mit dem Einspruch angefochten wird.[15]

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