Die Entscheidung über einen Einspruch kann gem. § 363 Abs. 1 AO ausgesetzt werden, wenn ein für die Entscheidung vorgreifliches Rechtsverhältnis den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Bei dem vorgreiflichen Rechtsverhältnis muss es sich um eine konkrete Tatsache handeln, die für die Entscheidung im Einspruchsverfahren in bestimmender Weise rechtserheblich ist, z. B. die Klärung eines zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisses. Die Aussetzung der Entscheidung bedarf nicht der Zustimmung der Beteiligten; sie sind jedoch zuvor zu hören.

Von der Aussetzung der Entscheidung ist das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 AO zu unterscheiden. Diese Vorschrift kennt verschiedene Ruhensgründe.

Zum einen kann das Finanzamt § 363 Abs. 2 Satz 1 AO das Ruhen des Verfahrens mit Zustimmung des Einspruchsführers anordnen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Dies ist eine Frage der Umstände des Einzelfalls.

 
Praxis-Beispiel

Dauersachverhalt

Beim Finanzgericht ist ein Rechtsstreit anhängig, der die Höhe der AfA für ein Mietobjekt zum Gegenstand hat. Während des Klageverfahrens ergeht der Bescheid für das Folgejahr, gegen den wiederum wegen des gleichen Streitpunkts als Dauersachverhalt Einspruch eingelegt wird. Es ist zweckmäßig, dieses Verfahren ruhen zu lassen, um das Ergebnis beim Finanzgericht abzuwarten.

Das bloße Interesse, einen Steuerfall wegen möglicher günstiger zukünftiger Entwicklungen der Rechtsprechung offenzuhalten, stellt keinen wichtigen Grund i. S. d. Vorschrift dar. Das Finanzamt handelt deshalb nicht ermessensfehlerhaft, wenn es in diesem Fall den Einspruch nicht ruhen lässt, sondern darüber entscheidet.[1]

Ein Ruhen kommt aber in Betracht, wenn sich ein "Musterverfahren" anbahnt, insbes. wenn ein solches bereits bei einem Finanzgericht anhängig ist.[2]

Zum anderen gibt es die sog. Zwangsruhe, und zwar

  • die Zwangsruhe kraft Gesetzes[3], also ohne besondere Feststellung oder Anordnung. Dies ist der Fall, wenn wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem EuGH (nicht der EGMR)[4] dem BVerfG oder dem BFH anhängig ist und der Einspruch hierauf gestützt wird.

    Voraussetzung für eine Verfahrensruhe von Gesetzes wegen ist, dass der Einspruchsführer in der Begründung seines Einspruchs die strittige, auch für seinen Steuerfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage darlegt und sich hierzu konkret auf ein beim EuGH, beim BVerfG oder bei einem obersten Bundesgericht anhängiges Verfahren beruft.[5] Allein die Anhängigkeit eines präjudiziellen Musterverfahrens, das sich aus der Einspruchsbegründung nicht ergibt, genügt demnach nicht. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift und dient der erforderlichen Rechtsklarheit.[6] Die Zwangsruhe scheidet allerdings von vornherein aus, wenn die Steuer nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt worden ist, da diese Vorschrift vorgeht. Wird nämlich trotz eines Vorläufigkeitsvermerks Einspruch bezüglich des vorläufigen Punkts eingelegt, ist der Einspruch wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich unzulässig und damit von vornherein zurückzuweisen. Will der Einspruchsführer kein Ruhen des Verfahrens, sondern eine zügige Entscheidung, empfiehlt es sich, sich nicht auf das Musterverfahren zu berufen.

    Eine nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO eingetretene Verfahrensruhe endet, wenn das Gerichtsverfahren, auf das sich der Einspruchsführer berufen hat, abgeschlossen ist. Dies gilt auch, wenn gegen diese Gerichtsentscheidung Verfassungsbeschwerde erhoben wird und der Einspruchsführer sich nicht auf dieses neue Verfahren beruft.[7] Endet demnach die Verfahrensruhe, bedarf es insoweit keiner Fortsetzungsmitteilung nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO (s. dazu unten) und somit grundsätzlich auch keiner Ermessensentscheidung, soweit nicht im Einzelfall eine Verfahrensruhe aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO angemessen erscheint.[8]

    Die Finanzbehörde kann die durch Berufung auf ein vorgreifliches Verfahren bewirkte Verfahrensruhe im Einspruchsverfahren durch einen Vorläufigkeitsvermerk derselben Reichweite beenden. Dieser bietet einen der Verfahrensruhe gleichwertigen Rechtsschutz.[9]

  • "Zwangsruhe kraft Allgemeinverfügung" für bestimmte Gruppen gleich gelagerter Fälle.[10] In der Praxis wurde auf diese Möglichkeit bisher noch nicht zurückgegriffen.

Sind die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung oder Verfahrensruhe erfüllt, kann über den Einspruch insoweit nicht entschieden werden, und zwar weder durch eine Einspruchsentscheidung noch durch den Erlass eines Änderungsbescheids. Hingegen kann über Fragen, die nicht Anlass der Verfahrensaussetzung oder Verfahrensruhe sind, durch Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2a AO[11] oder eines Teilabhilfebescheids nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO[12] entschieden werden.[13]

Zulässig ist auch der Erlass von Änderungsbescheiden aus außerhalb des Einspruchsverfahrens liegenden G...

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