In Fällen, in denen eine Person in beiden Vertragsstaaten aufgrund ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts steuerpflichtig ist, würde Art. 4 Abs. 1 OECD-MA beide Staaten als Ansässigkeitsstaat bestimmen. Für die Beurteilung und Zuweisung des Besteuerungsrechts ist es erforderlich, nur einen Ansässigkeitsstaat zu bestimmen. Es gilt: "Es kann nur einen (Ansässigkeitsstaat) geben!" Besteht in beiden Staaten aufgrund der nationalen Steuerrechtsvorschriften eine Steuerpflicht aufgrund des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, gibt das OECD-MA für die Zuordnung des Ansässigkeitsstaats eine bestimmte Reihenfolge vor.[1] Diese Reihenfolge ist zwingend nacheinander abzuprüfen. Sollte bei der Prüfung der o. g. Zuordnungsvorschriften ein Kriterium greifen, sind die übrigen Kriterien nicht mehr zu prüfen.

Prüfungsreihenfolge:

  1. Die Person gilt nur in dem Staat als ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt. Als "ständige Wohnstätte" in diesem Sinne gilt jede dauerhaft zur Verfügung stehende Form einer Wohnstätte, z. B. im Eigentum stehende oder gemietete Häuser, Wohnungen oder möblierte Zimmer.[2]
  2. Verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, wird der Ansässigkeitsstaat aufgrund der engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestimmt (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Maßgebend hierfür sind die familiären, gesellschaftlichen, beruflichen, politischen und kulturellen Tätigkeiten der Person. Die Prüfung der Umstände hat in einer Gesamtbetrachtung zu erfolgen, wobei Umstände aus dem persönlichen Verhalten der Person erhöhte Bedeutung haben.[3]
  3. Kann der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht bestimmt werden oder besteht in beiden Staaten keine ständige Wohnstätte, gilt der Staat als Ansässigkeitsstaat, in dem die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der gewöhnliche Aufenthalt bestimmt sich nach der Dauer des Aufenthalts in einem Vertragsstaat. Eine zeitliche Bezugsgröße ist auf internationaler Ebene nicht definiert.[4] Angemessen zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts scheint jedoch in Anlehnung an die Regelung des § 9 AO ein zeitlich zusammenhängender Zeitraum von 6 Monaten.[5]
  4. Befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt in beiden Staaten oder hat die Person in keinem dieser Staaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt inne, ist die Staatszugehörigkeit für die Ermittlung des Ansässigkeitsstaats entscheidend.
  5. Sollte die Person die Staatsangehörigkeit beider Staaten oder keine der Staatsangehörigkeiten der Vertragsstaaten besitzen, müssen die Finanzbehörden der Vertragsstaaten untereinander eine einvernehmliche Lösung herbeiführen (Verständigungsvereinbarung).

Bestimmung Ansässigkeitsstaat

Prüfschema zur Bestimmung des Ansässigkeitsstaats.

 
Hinweis

Abweichungen vom Prüfschema

In einzelnen DBA kann eine andere Prüfreihenfolge vorgegeben sein.

 
Praxis-Beispiel

Ansässigkeit in 2 Staaten

Der britische Staatsbürger S lebt mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern in einem Haus in London. S ist für eine deutsche Bank in Hamburg tätig. Zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit hat er in Hamburg eine Wohnung angemietet. Jeden Freitagabend kehrt er für das Wochenende nach London zurück.

S ist aufgrund seines Wohnsitzes in Großbritannien steuerpflichtig. Zudem hat er einen Wohnsitz i. S. d. § 8 AO in Deutschland inne, was zu einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht gem. § 1 Abs. 1 EStG führt. Art. 4 Abs. 1 DBA Großbritannien würde somit beide Staaten als Ansässigkeitsstaat bestimmen, da in beiden Staaten aufgrund von Wohnsitz eine Steuerpflicht besteht. Deswegen wird in diesem Fall der Ansässigkeitsstaat gem. Art. 4 Abs. 2 DBA Großbritannien bestimmt, welcher zu folgendem Ergebnis führt:

  1. Ständige Wohnstätte nur in Deutschland? Nein, liegt in beiden Staaten vor.
  2. Mittelpunkt der Lebensinteressen? Liegt in Großbritannien, da dort die Familie lebt.

Der Ansässigkeitsstaat ist somit Großbritannien, gem. Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA Großbritannien.

[2] Art. 4 MA-Komm. Tz. 13.
[3] Art. 4 MA-Komm. Tz. 15.
[4] Art. 4 MA-Komm. Tz. 17.
[5] Mit Einschränkung Wassermeyer/Kaeser, in Wassermeyer, DBA, 161. EL, 92. Aufl., Art. 4 OECD-MA Rz. 76.

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