Entscheidungsstichwort (Thema)

Vermögensminderung durch Vermögensteuerbelastung bei einer Kapitalgesellschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Vermögensteuerbelastung einer Kapitalgesellschaft ist mit dem Grundgesetz vereinbar, auch wenn dadurch eine Vermögensminderung eintritt. Die Vermögensteuer kann unter normalen Umständen aus dem Ertrag aufgebracht werden. Der Steuergesetzgeber braucht eine besonders ungünstige Vermögensanlage nicht generell zu berücksichtigen. Ob in einem solchen Fall § 131 AO anzuwenden ist, muß im Einzelfall geprüft werden. Dabei wäre bei der Auslegung des § 131 AO der Wirkkraft der Grundrechte, insbesondere auch des Art. 14 GG, Rechnung zu tragen.

 

Normenkette

VStG §§ 5, 8; AO § 131; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 17.11.1972; Aktenzeichen III R 149-150/71; BFHE, 107, 531)

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde gegen die körperschaft-, gewerbe- und vermögensteuerliche Gesamtbelastung der Beschwerdeführerin, die als im wesentlichen reine Holding-Gesellschaft in den Steuerjahren 1960 und 1961 einen diese gesamtsteuerliche Belastung bei weitem nicht erreichenden Gewinn vor Steuern erzielte, hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Gegen die Belastung mit Körperschaft- und Gewerbesteuer allein bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß im konkreten Fall durch die Vermögensteuer – unter Berücksichtigung der Körperschaft-und Gewerbesteuer – eine den Gewinn übersteigende gesamtsteuerliche Belastung eintrat.

1. Auch soweit steuerliche Eingriffe an Art. 14 GG zu messen sind, ist aus dem Grundgesetz kein unbedingtes „Nein” zu Vermögensminderung durch Besteuerung zu entnehmen (vgl. Schick, JZ 1974, S. 330). So kennt das Grundgesetz z.B. die Zölle (Art. 106 Abs. 1 Nr. 1 GG), die ohne Rücksicht darauf anfallen, ob die Sache zur gewinnbringenden Veräußerung bestimmt ist. Die Realsteuern (Art. 106 Abs. 6 GG) werden zum Teil ohne Rücksicht auf den Ertrag erhoben. In diesem Zusammenhang ist auch auf die „einmaligen Vermögensabgaben” in Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 und auf das verfassungsrechtlich gebilligte Umschichtungswerk des Lastenausgleichs (Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 und 120a GG) und auf das System der Erbschaftsteuer (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG) hinzuweisen. Die Vermögensteuer ist auch – entgegen der Annahme in der Finanzwissenschaft – rechtlich nicht als eine Art Ergänzungssteuer zur Ertragsteuer angelegt. Zwar kann der geschuldete Betrag in der Regel mit dem Einkommen aus dem Vermögen bezahlt werden (Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 17, Tz VII/52 f.). Gesetzlich geregelt ist die Vermögensteuer jedoch traditionell als ertragsunabhängige Steuer; Bemessungsgrundlage ist der Wert des Vermögens. Dies zeigt sich deutlich darin, daß auch normalerweise ertragsunfähige Vermögensgegenstände wie Edelmetalle, Kunstsammlungen und dergleichen von der Vermögensteuer erfaßt werden. Das Grundgesetz geht in Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 von der Zulässigkeit einer derartig strukturierten Steuerart aus; auch das Bundesverfassungsgericht hat das geltende Vermögensteuergesetz stets als im Grundsatz verfassungsgemäß anerkannt (BVerfGE 23, 242; 30, 59; 32, 78).

2. Unabhängig von dem in der Verfassung hinreichend zum Ausdruck gekommenen Gesichtspunkt, daß nicht jede vermögensmindernde Besteuerung verfassungswidrig ist, ist die vermögensteuerliche Belastung der Beschwerdeführerin aus den vom Bundesfinanzhof heranzogenen Erwägungen mit dem Grundgesetz vereinbar. Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung im Steuerrecht ist entsprechend dem Wesen des Gesetzes als einer allgemeinen Regelung darauf abzustellen, wie sich das Gesetz generell auswirkt (vgl. BVerfGE 14, 76 [101]; 16, 147 [165, 187]; Vogel/Walter in Bonner Kommentar, Rdnr. 144 zu Art. 105). Es ist zu unterscheiden, ob dem Steuergesetz bereits durch seine Gestaltung eine erdrosselnde oder konfiskatorische Wirkung zukommt, ob es generell – soweit Art. 14 GG Prüfungsmaßstab ist – gegen die Eigentumsgarantie verstößt oder ob es nur in dem einen oder anderen Einzelfall zu einer nicht im Wesen der betreffenden Steuer angelegten Härte führt (Vogel/Walter, a.a.O.; Rüfner, DVB 1970 S. 881 [883]; Papier in „Der Staat” 1972, S. 483 [509]; ähnlich Tipke-Kruse, RAO, § 1 Rdnr. 18). Der Gesetzgeber des Steuerrechts, der nicht auf die Kompliziertheit aller Lebensverhältnisse eingehen kann, ist schon aus Gründen der Praktikabilität nur sehr beschränkt gehalten, seine Regelungen jedem Einzelfall anzupassen. Es werden gerade im Steuerrecht immer wieder Gestaltungen auftreten, die nicht in das typische vom Gesetzgeber ins Auge gefaßte Erscheinungsbild passen.

Die Vermögensteuer ist so angelegt, daß sie unter normalen Umständen aus dem Ertrag aufgebracht werden kann. Der Steuergesetzgeber darf einen normalen Vermögensertrag voraussetzen und ihn durch die Vermögensteuer, die allgemein keine Substanzsteuer sein soll, angemessen besteuern. Er braucht die Steuerlast nicht so niedrig zu halten, daß besonders ungünstig angelegte Vermögen die Substanz in jedem Fall halten oder einen angemessenen Anteilsertrag erwirtschaften können (Rüfner, a.a.O.). Die über den Ertrag hinaus gehende Belastung der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem besonderen Sachverhalt, daß sie das Halten von Vermögen als fast einziges Ziel ihrer gewerblichen Tätigkeit gewählt hat. Diese besondere Gestaltung des Einzelfalls braucht der Gesetzgeber nicht generell zu berücksichtigen.

3. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Anwendung eines Gesetzes in besonders gelagerten Fällen zu einem Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter führen kann. Wieweit für diese Fälle allgemein ein verfassungsrechtlicher Zwang zur Aufstellung von Härteklauseln besteht (vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht 1961, S. 193; Selmer, DÖV 1972, S. 551, 557; Erichsen, DVBl. 1967, S. 269, 270 und Verw.Arch. 1974; S. 423 ff.), kann dahingestellt bleiben, da der Steuergesetzgeber eine derartige Regelung bereits in § 131 AO getroffen hat. Im Ausgangsverfahren hat der Bundesfinanzhof, ohne daß dies verfassungsrechtlich zu beanstanden wäre, allerdings nicht geprüft, ob ein Erlaß oder eine Herabsetzung der Steuer nach dieser Bestimmung in Frage kommt. Es ist deshalb schon aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht angängig, auf diese Frage im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens einzugehen. Ob und inwieweit eine Härteregelung bei konfiskatorischer Wirkung des Vermögensteuergesetzes bei den besonders gelagerten Verhältnissen der Beschwerdeführerin geboten ist, kann in einem besonders einzuleitenden Verfahren geprüft werden (vgl. Vogel/Walter, a.a.0.; vgl. BVerfGE 16, 147 [177]; 32, 78 [86]). Dabei wäre bei der Auslegung des § 131 AO der Wirkkraft der Grundrechte, insbesondere auch des Art. 14 GG, Rechnung zu tragen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

NJW 1976, 101

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