Entscheidungsstichwort (Thema)

Begrenzung des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 3 EStG verfassungsgemäß

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Weder sind Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung von Verfassungs wegen Werbungskosten gem. § 9 Abs. 1 EStG noch ist zu beanstanden, daß der vom Arbeitgeber einbehaltene und abgeführte Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung als Teil des zugeflossenen Arbeitslohnes im Sinne von § 19 Abs. 1 EStG gewürdigt wird.

2. Die in § 10 Abs. 3 i. V. mit Abs. 1 Nr. 2 EStG zum Abzug zugelassenen Rentenversicherungsbeiträge sichern – ausgehend von einer Beitragsleistung von 40 Jahren – den Beschwerdeführern im Alter eine das Existenzminimum überschreitende Rente.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; EStG § 10 Abs. 3, 1 Nr. 2 Buchst. a

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 29.09.1988; Aktenzeichen IX B 129/88)

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.04.1988; Aktenzeichen VII-K 47/87)

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde erfüllt nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 (BGBl I S. 1442) – ÄndG –, die gemäß Art. 8 ÄndG auch für dieses Verfahren gelten. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG).

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, soweit die Beschwerdeführer rügen, das Finanzgericht habe zu Unrecht die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht als vorab entstandene Werbungskosten gewürdigt. Denn damit wird die Verletzung steuerrechtlicher Vorschriften geltend gemacht, deren Anwendung und Auslegung als einfachen Rechts den Finanzgerichten allein obliegt. Das Bundesverfassungsgericht prüft insoweit nur, ob die Fachgerichte Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts verkannt haben oder willkürlich verfahren sind (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die Auslegung des Finanzgerichts, die im übrigen der Wertung des Gesetzgebers entspricht, verkennt weder Umfang und Reichweite von Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG noch ist sie willkürlich. Es ist von Verfassungs wegen nicht geboten, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als Erwerbsaufwendungen im Sinne des § 9 Abs. 1 EStG zu würdigen (so bereits BVerfG, Beschlüsse vom 2. Mai 1978 ≪HFR 1978, 293 zur Abzugsfähigkeit als Betriebsausgaben≫ und vom 28. Dezember 1984 ≪HFR 1985, 337≫). Ebensowenig ist aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beanstanden, daß das Finanzgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (vgl. BFH, Urteil vom 29. Juli 1986 – BStBl II 86, 749) den vom Arbeitgeber einbehaltenen und abgeführten Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung als Teil des den Beschwerdeführern zugeflossenen Arbeitslohnes im Sinne von § 19 Abs. 1 EStG gewürdigt hat.

2. Soweit die Beschwerdeführer die beschränkte Abzugsfähigkeit von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung in § 10 Abs. 3 EStG rügen, kommt der Verfassungsbeschwerde ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung zu.

a) In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, daß der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muß, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird (BVerfGE 82, 60 ≪85≫). Ebenso wie der Staat verpflichtet ist, dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzungen im erforderlichen Fall durch Sozialleistungen zu sichern (BVerfGE 40, 121 ≪133≫), darf er dem Bürger das selbst erzielte Einkommen bis zu diesem Betrag nicht entziehen. Es ist weiterhin geklärt, daß Steuergesetze in ihrer freiheitsbeschränkenden Wirkung jedenfalls an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Steuergesetze in die allgemeine Handlungsfreiheit gerade in deren Ausprägung als persönliche Entfaltungsfreiheit im vermögensrechtlichen und im beruflichen Bereich (Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) eingreifen. Dies bedeutet, daß das geschützte Freiheitsrecht nur so weit beschränkt werden darf, daß dem Grundrechtsträger (Steuerpflichtigen) ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleibt (BVerfGE 87, 153 ≪169≫).

Soweit aus diesen Entscheidungen die Verpflichtung des Gesetzgebers abzuleiten ist, nicht nur den gegenwärtigen Grundbedarf des Steuerpflichtigen von der Besteuerung abzuschirmen, sondern auch die Aufwendungen, die erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen im Falle der Erwerbslosigkeit – insbesondere im Alter – eine das Existenzminimum sichernde Rente zu gewährleisten, genügen die Abzugsbeträge in § 10 Abs. 3 EStG in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 EStG diesen Anforderungen. Die zum Abzug zugelassenen Rentenversicherungsbeiträge sichern – ausgehend von einer Beitragsleistung von 40 Jahren – den Beschwerdeführern im Alter eine das Existenzminimum überschreitende Rente. Den Beschwerdeführern standen nach Erfüllung ihrer Einkommensteuerschuld auch ausreichende Mittel zur Verfügung, um ihren notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten und ihre Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu leisten.

Das vorliegende Verfahren gibt keinen Anlaß zur Entscheidung der Frage, ob der Steuergesetzgeber jedenfalls dann die verfassungsrechtlichen Schranken der Besteuerung des Einkommens überschreitet und in die Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in deren Ausprägung als persönliche Entfaltungsfreiheit im vermögensrechtlichen Bereich (Art. 14 GG) eingreift, wenn die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung und die steuerliche Belastung (wegen der nur beschränkten Abzugsfähigkeit dieser Aufwendungen) zusammengenommen ein solches Ausmaß erreichen, daß nicht mehr davon ausgegangen werden könnte, daß dem Steuerpflichtigen ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen verbliebe (BVerfGE 87, 153 ≪169≫; 93, 121 ≪135≫). Den Beschwerdeführern stand im Jahr 1985 auch nach Abzug der von ihnen geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung und ihrer Einkommensteuerschuld der überwiegende Teil ihrer Einkünfte zur Verfügung.

b) Schließlich mangelt es an einer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedeutung auch insoweit, als die Beschwerdeführer vortragen, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verpflichteten den Gesetzgeber, Vorsorgeaufwendungen in Höhe der Höchstbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zum Abzug von der Bemessungsgrundlage zuzulassen. Denn diese Frage betrifft einen Regelungsbereich, der vom Auftrag des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber zur Neuordnung der Besteuerung von Alterseinkünften umfaßt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 26. März 1980 (BVerfGE 54, 11) den Gesetzgeber angewiesen, eine Neuregelung der Besteuerung von Beamtenpensionen und Sozialversicherungsrenten zu schaffen; dies schließt auch die Neuregelung der steuerlichen Behandlung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen – soweit sie der Alterssicherung dienen – als einen wesentlichen Bestandteil des Rentenbesteuerungsrechtes ein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 24. Juni 1992 (BVerfGE 86, 369 ≪380 f.≫) diese Frist im Jahr 1985 als noch nicht abgelaufen angesehen.

Im übrigen wird von einer Begründung abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

HFR 1998, 397

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