Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn dauernd getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten nicht zusammen veranlagt werden können und deshalb auch nicht in den Genuß der Splitting-Tabelle gelangen.

2. Für die Berücksichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen sind als wesentlicher Anhaltspunkt für die Zwangsläufigkeit die Regelsätze der Sozialhilfe heranzuziehen. Das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum, das jeweils verbrauchsbezogen ermittelt wird, soll eine menschenwürdige Lebensführung ermöglichen. Der im Streitjahr 1983 für das Real-Splitting geltende Höchstbetrag von 9 000,– DM übersteigt den auf ein Jahr hochgerechneten sozialhilferechtlichen Regelsatz sowie den vom Steuergesetzgeber in vergleichbarer Höhe festgesetzten Grundfreibetrag erheblich, und zwar selbst dann, wenn man die unter Umständen entstehende Ausgleichspflicht des Unterhaltsverpflichteten für steuerliche Nachteile des Unterhaltsberechtigten in den Vergleich mit einbezieht.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; EStG 1979 § 26 Abs. 1; EStG 1983 § 32a Abs. 5; EStG 1979 § 10 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 04.12.1986; Aktenzeichen IX B 133/86)

Niedersächsisches FG (Urteil vom 25.06.1986; Aktenzeichen VIII 462/85)

 

Gründe

1. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 61, 319 ≪345≫; 68, 143 ≪153≫) hat bereits entschieden, daß es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn dauernd getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten nicht zusammen veranlagt werden können (vgl. § 26 Abs. 1 EStG) und deshalb auch nicht in den Genuß der Splitting-Tabelle gelangen (vgl. § 32 a Abs. 5 EStG 1983).

Das Einkommensteuer-Splitting beruht auf der Erwägung, daß zusammenlebende Ehegatten eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der jeder Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich jeweils zur Hälfte teilhat. Bei dauernd getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten ist die Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs auch dann aufgehoben, wenn der eine Ehegatte dem anderen Trennungsunterhalt (vgl. § 1361 BGB) oder nachehelichen Unterhalt (vgl. §§ 1569 ff. BGB) zu leisten hat und wenn bei der Unterhaltsbemessung neben den Lebens- und Vermögensverhältnissen vorrangig den Erwerbsverhältnissen eine besondere Bedeutung zukommt.

2. Die wirtschaftliche Belastung eines Steuerpflichtigen durch Unterhaltszahlungen an den dauernd getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten mindert die steuerliche Leistungsfähigkeit. Dies ist nach dem Gebot der Steuergerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem hieraus zu entnehmenden Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen bereits nicht zu einer reinen Verwirklichung des sogenannten objektiven Netto-Prinzips verpflichtet (vgl. BVerfGE 27, 58 ≪67≫; 34, 103 ≪115≫; 43, 108 ≪120≫; 47, 1 ≪30≫). Er muß also erwerbssichernde Aufwendungen nicht vollständig einkommensmindernd berücksichtigen.

Von Verfassungs wegen ist es aber geboten, jedenfalls auch solche Ausgaben einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen, die außerhalb der Sphäre der Einkünfteerzielung, also im privaten Bereich, anfallen, sofern sie für den Steuerpflichtigen unvermeidbar sind (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪120≫; 61, 319 ≪344≫).

In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht es für verfassungsmäßig erachtet, wenn Unterhaltslasten steuerlich lediglich in einer an der Sicherung des bloßen Existenzminimums orientierten Höhe einkommensmindernd berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪123≫). So soll der Grundfreibetrag (§ 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG) das nicht individuell errechenbare unabweisbare Lebenshaltungsbedürfnis des einzelnen Steuerpflichtigen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 43, 1 ≪9≫).

Ebensowenig darf der Gesetzgeber für die Berücksichtigung anderer zwingender Unterhaltsverpflichtungen realitätsfremde Grenzen ziehen. Als wesentlichen Anhaltspunkt für die Zwangsläufigkeit derartiger Unterhaltslasten sind die Regelsätze der Sozialhilfe heranzuziehen (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪224≫; 67, 290 ≪298≫). Das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum, das jeweils verbrauchsbezogen ermittelt wird, soll eine menschenwürdige Lebensführung ermöglichen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG). Es wird regelmäßig den steigenden Lebenshaltungskosten angepaßt. Der im Streitjahr 1983 für das Real-Splitting geltende Höchstbetrag von 9 000,– DM übersteigt den auf ein Jahr hochgerechneten sozialhilferechtlichen Regelsatz sowie den vom Steuergesetzgeber in vergleichbarer Höhe festgesetzten Grundfreibetrag erheblich, und zwar selbst dann, wenn man die unter Umständen entstehende Ausgleichspflicht des Unterhaltsverpflichteten für steuerliche Nachteile des Unterhaltsberechtigten in den Vergleich mit einbezieht.

Die vom Beschwerdeführer gewünschte steuerliche Anerkennung über diesen Rahmen hinausgehender Aufwendungen ist nach ständiger Rechtsprechung von Verfassungs wegen nicht geboten. Der Beschwerdeführer hat keine tatsächlichen oder rechtlichen Gründe dargetan, die es rechtfertigten, die aufgeworfene Frage abweichend (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG) von der zitierten Rechtsprechung einer erneuten verfassungsrechtlichen Prüfung zuzuführen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1560987

NJW 1988, 127

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