Leitsatz

Ein Billigkeitserlass kann gerechtfertigt sein, wenn sich zwei Unternehmer ausgehend von den zivilrechtlichen Vereinbarungen aufgrund eines gemeinsamen Irrtums über die zutreffende steuerrechtliche Beurteilung vor höchstrichterlicher Klärung einer Streitfrage ohne Missbrauchs- oder Hinterziehungsabsicht gegenseitig Rechnungen mit unzutreffendem Steuerausweis erteilen und aufgrund der ­Versteuerung der jeweils zu Unrecht gesondert ­ausgewiesenen Steuerbeträge bei einer Gesamtbetrachtung keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt.

 

Normenkette

§ 14c UStG, § 14 Abs. 2 und 3 ­UStG a.F., § 163 AO, Art. 203 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 21 Nr. 1 Buchst. c 6. EG-RL (= EWGRL 388/77)

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin einer GmbH, die beim sog. Sale-and-Mietkauf-back in den Streitjahren 2003 und 2004 davon ausging, dass sie Gegenstände von ihren Kunden umsatzsteuerpflichtig erworben und an diese umsatzsteuerpflichtig geliefert habe. In ähnlicher Weise nahm sie beim sog. Bestelleintritt in den Streitjahren 2001 bis 2004 an, dass Lieferanten an sie umsatzsteuerpflichtig geliefert haben und sie die Kunden umsatzsteuerpflichtig beliefert habe. Das FA nahm demge­genüber an, dass die Klägerin aus den Eingangsrechnungen in beiden Geschäftsbereichen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, während sie die Steuer aus von ihr unzutreffend erteilten Rechnungen mit Steuerausweis schulde. Die Klage zum FG hatte nicht im Hinblick auf das Festsetzungsverfahren und im Hinblick auf einen Antrag auf Billigkeitserlass Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2015, 5 K 4098/11 U,AO, Haufe-Index 9576373).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz weitgehend. Materiell-rechtlich bestehe kein Anspruch auf Vorsteuerabzug. Das FG habe den Anspruch auf Billigkeitserlass in Bezug auf die Sale-and-Mietkauf-back-Geschäfte aber zu Recht bejaht. Gründe für einen Billigkeitserlass beim Bestelleintritt lägen demgegenüber nicht vor.

 

Hinweis

1. Ein Billigkeitserlass nach § 163 AO kommt in Betracht, wenn eine Steuerfestsetzung zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft.

2. Der BFH bejaht dies ausnahmsweise für rechtliche Fehlbeurteilungen, die auf einer steuer­rechtlichen Würdigung entsprechend den zivil­rechtlichen Vereinbarungen beruhen, obwohl die steuerrechtliche Beurteilung unklar ist.

So ist es, wenn sich zwei Unternehmer ausgehend von den zivilrechtlichen Vereinbarungen aufgrund eines gemeinsamen Irrtums über die zutreffende steuerrechtliche Beurteilung vor höchstrichter­licher Klärung einer Streitfrage ohne Missbrauchs‐ oder Hinterziehungsabsicht gegenseitig Rechnungen mit unzutreffendem Steuerausweis erteilen und aufgrund der Versteuerung der jeweils zu ­Unrecht ­gesondert ausgewiesenen Steuerbeträge bei einer Gesamtbetrachtung des "Sale-and-­Mietkauf-back-Geschäfts" keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt und auch nicht vom FA dargetan wird. In einem derartigen Sonder­fall ist der Billigkeitserlass zu bejahen, ob­wohl die Änderung im umsatzsteuerlichen Festsetzungsverfahren einer Rechnungsberichtigung bedarf.

3. Ein verspätet erfolgter Bestelleintritt vermittelt demgegenüber auch aus Billigkeitsgründen keine abweichende Beurteilung. Denn der Steuerausweis in Rechnungen beruht hier auf einer ohne weiteres vermeidbaren Fehlbeurteilung. Für die Abnehmerbestimmung kommt es auf das der Leistung zugrunde liegende Rechtsverhältnis an, wofür die Verhältnisse bei der Leistungserbringung maßgeblich sind. Dass sich die Person des Abnehmers nach den Verhältnissen bei der Lieferung bestimmt, unterliegt keinen Zweifeln.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 27.9.2018 – V R 32/16

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge