Rz. 11

Die dynamische Bilanztheorie, deren bedeutendster Vertreter Schmalenbach[1] ist, stellt die Erfolgsermittlung in den Vordergrund.[2] Somit ist auch die dynamische Bilanztheorie eine monistische Bilanztheorie, da der Jahresabschluss nur einem Zweck zu dienen hat. Die Hauptforderung der dynamischen Bilanztheorie ist die Ermittlung eines vergleichbaren und verursachungsgerechten Periodengewinns, nicht die bilanztheoretische Illusion eines objektiv wahren Erfolges. Der Kaufmann benötigt ein Kontrollinstrument, um Rechenschaft vor sich selbst ablegen zu können. Der Zwang zur rechtzeitigen Rechenschaft durch die Erfolgsermittlung dient wiederum der Insolvenzprävention. In einer Totalerfolgsrechnung, die die gesamte Lebensdauer eines Unternehmens umfasst, ergibt sich der Erfolg als Differenz aller Einnahmen und Ausgaben, die nicht Entnahmen oder Einlagen sind.[3] Da die Höhe aller Einnahmen und Ausgaben nicht antizipiert werden kann und die Adressaten kürzerfristige Informationen benötigen, muss die Totalperiode (Gesamtlebensdauer) unterteilt werden. Hierdurch entsteht das Problem der Rechnungsabgrenzung, da einige Geschäftsvorfälle am Periodenende noch nicht abgeschlossen sind. Aktiva werden als schwebende Vorleistungen, Passiva als schwebende Nachleistungen interpretiert. Diese schwebenden Posten sind Posten, die noch nicht aufgelöst sind. Sie stellen aktive Kräfte oder passive Verpflichtungen dar, sodass die Bilanz als "Kräftespeicher der Unternehmung"[4] erscheint. Nur das Eigenkapital und liquide Mittel stellen keine schwebenden Posten dar. Um die Rechnungsabgrenzung durchführen zu können, führt Schmalenbach die Kategorien Aufwand und Ertrag ein. Fügt man die erst später von Münstermann als Schwebeposten interpretierten Positionen liquide Mittel und (Eigen-)Kapital hinzu, ergibt sich folgendes Bilanzschema:[5]

 

Aktiva

(schwebende Vorleistungen)

Passiva

(schwebende Nachleistungen)
1. Liquide Mittel 1. Kapital
2. Ausgabe noch nicht Aufwand (z. B. abnutzbares Anlagevermögen, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Vorauszahlungen für Aufwendungen späterer Perioden wie Mietvorauszahlungen) 2. Aufwand noch nicht Ausgabe (z. B. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, Lieferantenverbindlichkeiten für schon verbrauchte Aufwandsgüter)
3. Ausgabe noch nicht Einnahme (z. B. nicht abnutzbares Anlagevermögen, gewährte Darlehen) 3. Einnahme noch nicht Ausgabe (z. B. erhaltene Darlehen)
4. Ertrag noch nicht Aufwand (z. B. selbst erstellte Anlagen, unfertige Erzeugnisse) 4. Aufwand noch nicht Ertrag (z. B. Rückstellungen für unterlassene Instandsetzung durch den eigenen Betrieb)
5. Ertrag noch nicht Einnahme (z. B. Debitoren, Fertigerzeugnisse) 5. Einnahme noch nicht Ertrag (z. B. Anzahlungen von Kunden, erhaltene Mietvorauszahlungen)

Abb. 2: Bilanzschema der dynamischen Bilanz

 

Rz. 12

Der dynamischen Bilanztheorie wurde später entgegengehalten, dass die Fixierung auf den Bilanzgewinn zur Selbstinformation des Kaufmanns die externe Bilanz für interne Kontrollzwecke "missbraucht".[6]

 

Rz. 13

Die schwebenden Vorleistungen der Aktivseite stellen eine bis zum Bilanzstichtag erbrachte Leistung dar, für die erst nach dem Bilanzstichtag ein Nutzen erwartet wird.[7] Schwebende Nachleistungen der Passivseite sind dementsprechend die nach dem Bilanzstichtag vorhandenen Leistungsverpflichtungen.

 

Rz. 13a

Die so skizzierte Grundkonzeption erfuhr – neben vehementer Kritik – mancherlei Ergänzungen und Weiterentwicklungen und prägte bis heute das betriebswirtschaftliche Bilanzdenken.

Die finanzwirtschaftliche Konzeption (Walb) erfasst die betrieblichen Wertebewegungen kontenmäßig in einer Leistungs- und einer Zahlungsreihe. Die Leistungsreihe widerspiegelt betriebliche Sachgüter- und Leistungsbewegungen sowie die Tauschvorgänge mit der Umwelt und schlägt sich als Differenz der Leistungseingänge und -ausgänge in der GuV-Rechnung nieder. Die Bilanz wird hingegen als Abschluss der korrespondierenden Zahlungsreihe gesehen, die alle Geldbewegungen (Zahlungseingänge/Zahlungsausgänge) erfasst. Dabei soll nicht nur der Periodenerfolg ermittelt werden, sondern auch Aufschluss über die Herkunft und den Verbleib sowie den Bestand der liquiden Mittel gegeben werden.

Eine weitere Fortentwicklung erfuhr die dynamische Bilanzauffassung durch den Ansatz von Sommerfeld. Seine "eudynamische" Bilanztheorie lässt als Gewinn nur den Betrag ausweisen, der nach "qualifizierter Substanzerhaltung" verbleibt. Dies wird insbesondere durch Rücklagen für Wachstums- und Substanzsicherung sowie für Dividendenausgleich erreicht.

Auch bei Kosiols umfassender Konzeption der "pagatorischen" Bilanz steht die Gewinnermittlung im Vordergrund, wobei alle Geschäftsvorfälle auf Zahlungsvorgänge (Einnahmen/Ausgaben) zurückgeführt werden. Die pagatorische Beständebilanz enthält auf der Aktivseite "Einnahmebestände" (Kasse, Forderungen) und "Ausgabengegenwerte" (Vorräte), auf der Passivseite "Ausgabenbestände" (Schulden) und "Einnahmengegenwerte" (Reservate).[8]

[1] Entgegen der überwie...

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