Rz. 16

Letztlich ergeben sich in der Unternehmenskrise aus rein informationsorientierter Hinsicht 2 grundsätzlich gegensätzliche bilanzpolitische Strategien:

  1. Völlige Transparenz und gemeinsam mit den Abschlussinteressenten als Partner einen Weg aus der Krise suchen oder
  2. der möglichst unauffällige Einsatz der Bilanzpolitik zur (scheinbaren) Verbesserung der Unternehmensdarstellung, um Zeit zu gewinnen, eine echte Verbesserung der Unternehmenssituation alleine zu erreichen.

Zusätzlich kann noch – vor allem in der Krise – die Strategie der direkten Liquiditätsbeeinflussung verfolgt werden. Nach dieser kann es etwa sinnvoll sein, sehr hohe Verluste auszuweisen, um durch den Rücktrag in die vorherige Veranlagungsperiode umgehend die Liquidität durch Stuerrückzahlungen zu erhöhen (Rz. 22).

 

Rz. 17

I. d. R. wird eine Kombination angestrebt werden, in der einige wenige Partner mit Variante 1 und der Rest der Adressaten mit Variante 2 bedient werden. Dies ist vor dem Hintergrund verständlich, dass etwa die Hausbank oder zentrale Zulieferer auch ohne den Jahresabschluss auf eine Krisensituation bei dem Unternehmen schließen können. Das große Problem von Variante 2 besteht nämlich darin, dass die Adressaten die bilanzpolitischen Maßnahmen entdecken und damit das in der Krise dringend benötigte Vertrauen zu dem Unternehmen verlieren – dies wäre aber gerade in einem Restrukturierungsplanverfahren, dessen Erfolg maßgeblich von der (mehrheitlichen) Zustimmung der Gläubiger abhängig ist, enorm wichtig. Die Adressaten werden die Lage des Unternehmens ggf. übertrieben negativ einschätzen und somit Sanierungsplänen kaum eine Chance geben. Warum sollten sie auch Sanierungsplänen und deren von der Unternehmensführung zugrunde gelegten Prämissen vertrauen, wenn sie im vorgelegten Abschluss eine zumindest geschönte Darstellung des Unternehmens bekommen haben.

 

Rz. 18

Allerdings sichert Transparenz nicht automatisch das Überleben des Unternehmens. Eine für die Adressaten i. d. R. plötzliche Mitteilung der Krise kann durch deren Reaktionen eine Unternehmenskrise auch schnell eskalieren lassen.

 

Rz. 19

Aus diesem Grund wird das Unternehmen, wie etwa analog vielfach im Rahmen des Risikomanagements im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, Strategien entwickeln müssen, um in einer Krise schnell und planvoll handeln zu können. Diese sind jedoch weniger als "Feuerwehr" als vielmehr in Form von schon im Vorfeld installierten "Sprinkleranlagen" zu verstehen. Es ist ein kontinuierlicher Prozess notwendig, um das Vertrauen der (ausgesuchten) Adressaten zu festigen, um mit einer transparenten Darstellung keine ungewollten negativen Reaktionen auszulösen. D. h., auch schon im Vorfeld der Krise ist mit diesen eine offene Kommunikation zu pflegen, sodass dann die eigentliche Mitteilung nicht plötzlich kommt, sondern dies auch von den Adressaten als eine sich langsam entwickelnde kritische Situation verstanden wird, die von der Unternehmensführung aber aktiv angegangen wird.

 

Rz. 20

Ebenfalls ist bei dem Einsatz bilanzpolitischer Maßnahmen der Variante 2 schon kontinuierlich im Vorfeld einer Krise das Potenzial an möglichen bilanzpolitischen Beeinflussungen aufzubauen bzw. zu beobachten. Hier gewinnen bilanzpolitische Simulationsmodelle an Bedeutung, die analog zur jahresabschlussbasierten Unternehmensplanung auch die (möglichen) Wirkungen bilanzpolitischer Maßnahmen auf die Planabschlüsse verdeutlichen und das bilanzpolitische Potenzial aufzeigen.[1] Hierbei geht es primär um den Aufbau stiller Reserven, die in der von mittelständischen Unternehmen üblicherweise angewandten bilanzpolitischen Ausrichtung auf ein steuerminimiertes Ergebnis i. d. R. automatisch entstehen. Je nach Umfang und Schwere der Krise ist dann zu errechnen, wie lange das Unternehmen eine negative Entwicklung durch bilanzpolitische Maßnahmen ausgleichen kann. Dabei ist aber zu konstatieren, dass in stärkerem Maße aufgelöste stille Reserven im Rahmen der Abschlussanalyse durchaus erkannt werden können, etwa wenn die sonstigen betrieblichen Erträge plötzlich stark ansteigen oder die sonstigen Rückstellungen im Verhältnis zu den Umsatzerlösen deutlich abnehmen.

 

Rz. 21

Durch das bewusste Setzen von (falschen) Signalen kann versucht werden, diese Problematik der Erkennbarkeit für die Adressaten zu verschleiern. So können Änderungen bei den Einschätzungen in Richtung einer gewinnerhöhenden Darstellung sowie der sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen begleitet werden von angabepflichtigen Methodenänderungen, die einen gewinnsenkenden Effekt haben.

 

Rz. 22

Schließlich kann es geboten sein, mit bilanzpolitischen Maßnahmen ganz spezielle Maßnahmen der Krisenbewältigung zu unterstützen. Obwohl man normalerweise bestrebt sein wird, bei bedrohlicher Unternehmenslage ergebnisverbessernde Maßnahmen durchzuführen, um einen eventuellen Verlust "wegzubilanzieren", kann es zur Erlangung von Liquidität sinnvoll sein, bewusst eine ergebnisverschlechternde Bilanzpolitik zu betreiben. Der steuerliche Verlust wird ma...

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