Rz. 6

In der Insolvenz ist nach § 17 InsO allgemeiner Eröffnungsgrund für ein Verfahren die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, die dann gegeben ist, wenn dieser seine fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllen kann. Nach der inzwischen ständigen Rechtsprechung des BGH[1] ist von einer Zahlungsunfähigkeit dann auszugehen, wenn nicht nur eine Zahlungsstockung, d. h. eine vorübergehende Unfähigkeit, die fälligen Verbindlichkeiten vollständig zu begleichen, vorliegt. Zahlungsunfähigkeit liegt i. d. R. dann vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen innerhalb eines absehbaren Zeitraums zu begleichen. Dabei gilt:[2]

  • Kann der Schuldner seine Liquiditätslücke innerhalb von 3 Wochen vollständig schließen, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor.
  • Beträgt die Liquiditätslücke am Ende des 3-Wochenzeitraums, den der BGH für die Beseitigung der Liquiditätslücke zubilligt, 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zumutbar ist. Dieser sich an das Ende des 3-Wochenzeitraums anschließende weitere Zeitraum kann in Ausnahmefällen 3 bis ggf. auch maximal 6 Monate betragen.
  • Beträgt die Liquiditätslücke am Ende des 3-Wochenzeitraums dagegen weniger als 10 %, ist regelmäßig zunächst von Zahlungsstockung auszugehen. Dennoch ist in diesen Fällen ein Liquiditätsplan zu erstellen, aus dem sich die Weiterentwicklung der Liquiditätslücke ergibt. Zeigt sich daraus, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % betragen wird, liegt Zahlungsunfähigkeit vor. Ergibt sich am Ende des 3-Wochenzeitraums aus dieser Liquiditätsplanung, dass die Lücke kleiner als 10 % ist, lässt der BGH mehrere Interpretationen hinsichtlich der Frage zu, ob eine Liquiditätslücke von unter 10 % auf Dauer akzeptiert werden kann. Ökonomisch erscheint nach IDW S 11, Tz. 17 ein Unternehmen, das dauerhaft eine – auch nur geringfügige – Liquiditätslücke aufweist, weder erhaltungswürdig noch -fähig. Auch im Interesse des Verkehrsschutzes ist eine dauerhafte Unterdeckung bedenklich.

Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit i. d. R. anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Zahlungseinstellung liegt vor, wenn der Schuldner wegen eines Mangels an Zahlungsmitteln aufhört, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen, und dies für die beteiligten Verkehrskreise hinreichend erkennbar geworden ist.[3]

 

Rz. 7

Das Insolvenzauslösekriterium der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist nach § 18 InsO auch dann gegeben, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Basis der Entscheidung ist eine zeitraumorientierte Prognose, die in der Praxis mithilfe eines zu erstellenden Finanzplans erfolgt.[4] Als weiteren Insolvenztatbestand nennt § 19 InsO die Überschuldung. Nach der Gesetzesformulierung liegt eine Überschuldung dann vor, wenn das Vermögen des Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt. Ansatz und Bewertung im Überschuldungsstatus hängen dabei vom Ergebnis der Fortbestehensprognose ab.[5] Bei positiver Fortbestehensprognose sind Fortführungswerte anzusetzen, bei negativer Prognose sind die Vermögenswerte und Schulden unter Liquidationsgesichtspunkten zu bilanzieren.[6]

 

Rz. 8

Dabei ist zu beachten, dass der Übergang von den Kreditunwürdigkeitsindizien zu den gesetzlichen Insolvenzauslösetatbeständen in der Praxis oftmals fließend ist. Unter Haftungsgesichtspunkten müssen die Organmitglieder ein besonderes Augenmerk auf diese Problematik legen, um die notwendige und rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags oder die Möglichkeit eines noch davor liegenden Restrukturierungsplanverfahrens nicht zu versäumen. Daher ist es sinnvoll, neben der schon bei der Krisenidentifikation notwendigen Verknüpfung mit der Unternehmensplanung im Controllingsystem die genannten kritischen Kennzahlenausprägungen

  • Liquiditätslücke von 10 % oder mehr der fälligen Gesamtverbindlichkeiten und
  • Vermögen des Unternehmens unterschreitet unter Beachtung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten

im Rahmen der internen Berichterstattung auf aktueller und prospektiver Basis zu berücksichtigen – was zumindest für haftungsbeschränkte Unternehmensträger inzwischen auch mit § 1 StaRUG explizit vorgeschrieben ist. Dabei bestehen allerdings bereits bilanzpolitische Implikationen, da die Kennzahlen (zunächst) auf Werte der Bilanz zurückgreifen. So sind in den Gesamtverbindlichkeiten auch die mit großen Einschätzungsspielräumen versehenen Rückstellungen enthalten, da diese nach § 253 Abs. 1 HGB etwa in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrages anzusetzen sind. Selbst wenn beim Vermögen des Un...

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