Rz. 73

Beweglich zu handhabende, flexible Mittel sind für die Bilanzpolitik von größter Wichtigkeit. Mittel mit solchen Eigenschaften ermöglichen es, auf sich verändernde Unternehmenslagen rasch und situationsgerecht zu reagieren. Dabei ist "Flexibilität" in diesem Zusammenhang ein vielschichtiges Phänomen, das u. a. folgende Gesichtspunkte umfasst:

Bindungswirkung: Hier geht es um die Frage, ob durch die vorgesehenen Maßnahmen eine Bindungswirkung in Bezug auf andere, analoge Fälle entsteht oder ob der Einsatz bestimmter Mittel durch die Bindungswirkung früher getroffener Maßnahmen vereitelt wird. Eine Einengung der Alternativenmenge hat zumindest dadurch Einfluss auf die bilanzpolitische Zielerreichung, weil dadurch der Einsatz bestimmter Aktionsparameter entweder vorbestimmt oder ausgeschlossen ist. Die Bindungswirkung umfasst 2 Aspekte, zum einen die Bindungswirkung innerhalb desselben Geschäftsjahres (innerperiodische Einheitlichkeit) und in aufeinander folgenden Geschäftsjahren (interperiodische Stetigkeit).[1]

Die Bindungswirkung innerhalb eines Geschäftsjahrs folgt aus dem – nicht kodifizierten – Gebot der Willkürfreiheit[2]. Dieser Grundsatz besagt, dass gleiche Sachverhalte unter gleichen für die Bewertung relevanten Umständen nicht willkürlich unterschiedlich innerhalb eines Jahres behandelt werden dürfen.[3]

Bindungswirkungen in aufeinander folgenden Geschäftsjahren gehen vom Stetigkeitsgrundsatz aus, der vor allem die Stetigkeit der auf den vorhergehenden Jahresabschluss angewandten Ansatzmethoden (§ 246 Abs. 3 HGB) und Bewertungsmethoden (§ 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB) als auch den Grundsatz der Ausweisstetigkeit (§ 265 Abs. 1 Satz 1 HGB) beinhaltet.

Die Bindungswirkung des § 246 Abs. 3 HGB und § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB beschränkt sich auf Ansatz- und Bewertungswahlrechte und schließt insbesondere weder Individualspielräume noch im Allgemeinen Sachverhaltsgestaltungen ein.[4] Damit können Individualspielräume und Sachverhaltsgestaltungen als besonders flexible Mittel der Bilanzpolitik angesehen werden.

Bindungswirkungen resultieren auch aus dem Grundsatz der Ausweisstetigkeit gem. § 265 Abs. 1 Satz 1 HGB: Danach sind im Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften die Form der Darstellung, insbesondere die Gliederung der aufeinander folgenden Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen beizubehalten. Die Ausweisstetigkeit beschränkt die Möglichkeiten der formellen Bilanzpolitik.

 

Rz. 74

Aufschiebbarkeit: Eine Maßnahme ist als aufschiebbar zu bezeichnen, wenn ihre Anwendung nicht an einen bestimmten Zeitpunkt (Bilanzstichtag) gebunden ist, sondern noch zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden kann. "Aufschiebbare Mittel haben den Vorteil, dass sie für andere Gelegenheiten aufgespart werden können, wenn sie zunächst nicht benötigt werden".[5] Beispiel für eine aufschiebbare Maßnahme: Sonderabschreibungen nach § 7g EStG zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe dürfen innerhalb eines Zeitraums von insgesamt 5 Jahren in Anspruch genommen werden. Dagegen besteht keine Aufschiebbarkeit, wenn ein Mittel nur zu einem bestimmten Zeitpunkt eingesetzt werden kann und danach für das betroffene Objekt nicht mehr infrage kommt; als Beispiel hierfür ist die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter oder digitaler Wirtschaftsgüter zu nennen, die gem. § 6 Abs. 2 EStG nur im Jahr der Anschaffung oder Herstellung dieser Güter zugelassen ist bzw. bei denen im Jahr der Anschaffung eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von einem Jahr zugrunde gelegt werden kann, oder die nur im Wirtschaftsjahr der Veräußerung zulässige Bildung einer steuerlichen Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG.

Konsequenz für die Bilanzpolitik: Im Zweifel wird man zunächst auf die unaufschiebbaren Mittel zurückgreifen und erst danach die aufschiebbaren Mittel einsetzen. Eine solche Reihenfolge gewährleistet, dass kein Instrument aus zeitlichen Gründen wegfällt. Ferner wird auf diese Weise für die Folgezeit die bilanzpolitische Manövriermasse erhöht.

 

Rz. 75

Aufhebbarkeit: Eine Gestaltungsmöglichkeit ist als "aufhebbar" zu bezeichnen, wenn ihre Inanspruchnahme später rückgängig gemacht werden kann. Es sind 2 Formen der Aufhebbarkeit zu unterscheiden:

  1. Die ursprüngliche Entscheidung wird rückgängig gemacht, indem eine Änderung der betreffenden Bilanz erfolgt ("Reversibilität mit Wirkung ex tunc").[6] Derartige Änderungen können angebracht sein, wenn die einer bilanzpolitischen Entscheidung zugrunde liegenden Annahmen bzw. Voraussetzungen sich später als unzutreffend erweisen.

    Beispiel: Ein Unternehmen hat trotz Erfassung von außerplanmäßigen Abschreibungen in der Handelsbilanz nach § 253 Abs. 3 Satz 5 HGB auf die Vornahme einer Teilwertabschreibung in der Steuerbilanz nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 bzw. Nr. 2 Satz 2 EStG verzichtet, da durch die Teilwertabschreibung in der Periode der Erfassung der Teilwertabschreibung ein steuerlicher Verlust entstanden wäre, der aufgrund der Ergebnisprognosen für die nächste Zukunft auch innerhalb der nächsten Geschäftsjahre ni...

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