Rz. 22

Die Legitimität der Bilanzpolitik steht keineswegs von vornherein außer Frage.[1] Folgende grundsätzlichen Einwände können vorgebracht werden:

  • Weil der Jahresabschluss auch der Rechenschaftslegung dienen soll, stellt Bilanzpolitik eine Verfälschung der Rechenschaft dar; das gilt insbesondere dann, wenn auf diese Weise Fehlentscheidungen der Geschäftsführung kaschiert werden (vgl. Rz. 13). Eine freie Wirtschaft lebt von fairen, zutreffenden Informationen, die Gesellschaftern und Gläubigern das für ihr finanzielles Engagement notwendige Vertrauen ermöglichen.[2]
  • Die bereits durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz betonten und insbesondere durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz deutlich gestärkten Informationsinteressen Außenstehender werden durch bilanzpolitische Maßnahmen beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang ist der für alle Kapitalgesellschaften (einschließlich Kleinst-Kapitalgesellschaften) vorgeschriebene Informationsvermittlungsgrundsatz des True and Fair View in § 264 Abs. 2 HGB zu beachten. Zwar steht die Informationsvermittlung unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und kann auch nicht die vorrangigen spezialgesetzlichen Regelungen verdrängen, dennoch ist dieser in § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille bei der Auslegung von Einzelvorschriften zu beachten[3]

    und steht insbesondere einer Beschränkung der vermittelten Informationen oder gar einer verzerrten Darstellung entgegen.

  • Bilanzpolitik in der Steuerbilanz widerspricht dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, weil außerhalb des Unternehmensbereichs derartig weitgehende Möglichkeiten zur Beeinflussung steuerlicher Bemessungsgrundlagen nicht bestehen.
 

Rz. 23

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber Bilanzpolitik durch die Einräumung zahlreicher Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte in verschiedenen Gesetzen handels- und steuerrechtlich ausdrücklich gestattet hat. Es ist deshalb gerechtfertigt, wenn die Unternehmen solche Möglichkeiten nutzen, solange dies in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen geschieht.

Demzufolge ist von Bilanzpolitik auch nur dann zu sprechen, wenn sich die Entscheidungsträger mit ihren zielgerichteten Gestaltungen im Rahmen der vom Gesetzgeber zugestandenen Spielräume bewegen. Daher werden die Grenzen der Bilanzpolitik überschritten, wenn die Entscheidungsträger Bilanz- und Wertansätze sowie Gestaltungen wählen, welche im HGB-Abschluss nicht mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung korrespondieren, gegen zwingende Normen des Handels- und Gesellschaftsrechts verstoßen oder nicht mit der Satzung bzw. dem Gesellschaftsvertrag in Einklang stehen.[4]

[1] Vgl. Schulze zur Wiesch, in IdW, Bilanzpolitik durch Sachverhaltsgestaltung – Tendenzen und Grenzen, in 50 Jahre Wirtschaftsprüferberuf, Bericht über die Jubiläumsfachtagung vom 21. bis 23.10.1981 in Berlin, 1981, S. 67.
[2] Vgl. Clemm, WPg 1989, S. 363.
[3] Vgl. z. B. Störk/Rimmelspacher, in Grottel u. a., Beck'scher Bilanz-Kommentar, 13. Aufl. 2022, § 264 HGB Rz. 30 f.
[4] Vgl. Freidank, Entscheidungsmodelle der Rechnungslegungspolitik, 1990, S. 20.

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