Rz. 3

Bilanzpolitik ist Bestandteil der Unternehmenspolitik. Sie stellt ein Instrument zur Realisierung der unternehmerischen Zielsetzungen dar. Deshalb verfügt bilanzpolitisches Agieren über keinen Selbstzweck, sondern Bilanzpolitik ist vielmehr ein Mittel, um übergeordnete Ziele zu erreichen.[1] In den meisten Fällen ist die Bilanzpolitik ein Instrument betrieblicher Teilpolitiken, hierbei stehen traditionell die Finanzierungs-, Steuer- und Publizitätspolitik im Mittelpunkt.[2] Vor dem Hintergrund der in jüngerer Zeit hinzukommenden Wertstrategien kann die Bilanzpolitik insbesondere auch der Verfolgung von Shareholder Value- bzw. Wertstrategien des Unternehmens dienen. In diesem Rahmen sind für die Bilanzpolitik selbst folgende Zielgruppen zu nennen:[3]

  • finanzpolitische Ziele, insbesondere Beeinflussung der Gewinnausschüttungen an die Anteilseigner und Verbesserung der extern eingeschätzten Kreditwürdigkeit durch Beeinflussung von Bilanzkennzahlen;
  • steuerpolitische Ziele, insbesondere durch Verschiebung und ggfs. auch Verringerung der Steuerbelastung;

  • informationspolitische Ziele durch Beeinflussung der Verhaltensweisen der Bilanzadressaten zugunsten des Unternehmens.

 

Rz. 4

Die Bilanzpolitik hat die Aufgabe, das sich aus der Buchführung ergebende "Rohmaterial" eines Jahresabschlusses durch geeignete bilanzpolitische Instrumente im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten derart aufzubereiten, dass die vom Unternehmen gewünschten oder beabsichtigten Schlussfolgerungen möglichst durch den Analysten gezogen werden.[4] Dabei können die vom Unternehmen bzw. Konzern gewünschten oder beabsichtigten Schlussfolgerungen sowohl die Darstellung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage als auch die gezielte Darstellung eines besseren bzw. schlechteren Bildes im Vergleich zu den tatsächlichen Verhältnissen einschließen.[5] In grafischer Darstellung verdeutlicht das in Abbildung 1 dargestellte Portfolio die generellen Möglichkeiten bzw. Strategien der Bilanzpolitik:

Abb. 1: Allgemeine Strategien der Bilanzpolitik

Beispielsweise sollen durch ein – im Vergleich zur Ist-Situation – positives Bild[6]

  • die Gläubiger veranlasst werden, ein Kreditengagement einzugehen, beizubehalten bzw. zu erweitern,
  • Anteilseigner überzeugt werden, Gesellschaftsanteile zu erwerben oder weiterhin zu halten,
  • Arbeitnehmer den Eindruck erhalten, dass ihre Arbeitsplätze und ihre Betriebsrente nicht gefährdet sind,
  • Kunden darauf vertrauen, dass die Unternehmensleistungen auch in Zukunft angeboten werden und alle gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen, z. B. Gewährleistung, erbracht werden,
  • Lieferanten dauerhaft an das Unternehmen gebunden bzw. neue Lieferanten gefunden werden, indem die Lieferanten von der Stabilität der Geschäftsbeziehung und der raschen Bedienung ihrer Forderungen überzeugt werden.

Hierbei hat die Unternehmensleitung allerdings zu beachten, dass durch ein im Vergleich zur tatsächlichen Situation zu positives Bild

  • die Ansprüche der Gesellschafter auf Gewinnausschüttung steigen lässt,
  • die Mitarbeiter höhere Lohn- und Gehaltsforderungen stellen, andere Vergütungsstrukturen fordern oder der Wunsch nach weiteren Sozialleistungen wächst,
  • bei den Kunden der Eindruck entsteht, dass die Gesellschaft zu gut an ihnen verdient und sie sich deshalb anderen Lieferanten zuwenden werden,
  • die Lieferanten höhere Preisforderungen für die von ihnen gelieferten Waren und Vorprodukte versuchen durchzusetzen und
  • eine den höheren ausgewiesenen Gewinnen entsprechende Besteuerung durch den Fiskus nach sich ziehen wird.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Unternehmensleitung sich zu jedem Zeitpunkt auch der tatsächlichen Unternehmenssituation bewusst ist. Insoweit soll dahingestellt bleiben, ob die "bessere" oder "schlechtere" Darstellung der tatsächlichen Situation stets bewusst geschieht.

 

Rz. 5

Ob und inwieweit die Bilanzadressaten die Einflüsse der Bilanzpolitik zu entschlüsseln vermögen, ist eine andere Frage.[7] Die Bilanzanalyse erstrebt demgegenüber, die zur Erzielung bestimmter vom Unternehmen erwünschten Schlussfolgerungen getroffenen Bilanzierungs-, Bewertungs- und Ausweisalternativen zu entlarven, um das "ungeschönte Rohmaterial" und damit ein möglichst getreues Bild des analysierten Unternehmens bzw. Konzerns zu erhalten. Dementsprechend sind Bilanzpolitik und Bilanzanalyse stets 2 Facetten der Bilanzierungs-, Bewertungs- und Ausweisvorschriften eines Jahresabschlusses. Die Möglichkeiten der Bilanzpolitik wirken sich auf die Gestaltung des zu analysierenden Jahresabschlusses aus, der anschließend zur Erkenntnisgewinnung vom externen Analysten untersucht wird. Somit handelt es sich um einen Wettstreit zwischen Bilanzpolitik auf der einen Seite und der Bilanzanalyse auf der anderen Seite.[8] Die informationspolitische Effizienz der Bilanzpolitik bleibt somit in dieser Hinsicht ungewiss.

 

Rz. 6

Zu den finanzpolitischen Zielen im weiteren Sinne, d. h. einschließlic...

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