Rz. 77

Der Grundsatz der Bewertungsstetigkeit[1] stellt – sofern er als Mussvorschrift verstanden wird – aufgrund der damit gegebenen Bindungswirkungen das größte Hindernis für eine flexible Bilanzpolitik dar. Denn Bilanzpolitik "lebt" von der Möglichkeit, die ihr prinzipiell zur Verfügung stehenden Mittel unterschiedlich einsetzen zu können. Dabei sind ggf. von Jahr zu Jahr gegensätzliche Maßnahmen zu treffen, je nachdem, in welche Richtung das ausgewiesene Jahresergebnis beeinflusst werden soll. Dass ein solches Verhalten dem Stetigkeitsgrundsatz widerspricht, ist offensichtlich.

Die materielle Bilanzpolitik ist somit von der in § 246 Abs. 3 HGB und § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB kodifizierten Ansatz- und Bewertungsstetigkeit erheblich betroffen; man denke nur an die Strategie der Ergebnisglättung. Zudem beeinflusst der Grundsatz wegen des Maßgeblichkeitsprinzips nicht nur die Handels-, sondern auch die Steuerbilanz.

 

Rz. 78

Aus einzelbetrieblicher Sicht ist auch die Ansatz- und Bewertungsstetigkeit den jeweiligen konkreten Erfordernissen der Unternehmenspolitik untergeordnet. Es sind deshalb Strategien zu entwickeln, die den Grundsatz der Ansatz- und Bewertungsstetigkeit auf legale Weise "möglichst wenig restriktiv" wirken lassen. Im Vorfeld dieser Überlegungen sind zunächst 2 Fragen zu beantworten:

  • Welchen Anwendungsbereich deckt der Grundsatz der Ansatz- und Bewertungsstetigkeit prinzipiell ab?
  • Wann liegt ein begründeter Ausnahmefall vor, in dem gem. § 252 Abs. 2 HGB bzw. § 246 Abs. 3 Satz 2 HGB von dem Grundsatz der Bewertungs- bzw. Ansatzstetigkeit abgewichen werden darf?
 

Rz. 79

Zur Frage des Anwendungsbereichs des Grundsatzes der Bewertungsstetigkeit haben sich im Verlauf einer intensiv geführten Fachdiskussion folgende Auffassungen herausgebildet.[2]

  • Der Grundsatz betrifft nur die methodisch gefundenen Wertansätze, d. h. die Bewertungswahlrechte und die Verfahrensspielräume, aber nicht die Ausnutzung von bewertungsmäßigen Individualspielräumen[3].
  • Der Stetigkeitsgrundsatz gilt nicht für pflichtgemäß erforderliche Methodenänderungen, z. B. bei einem Verzicht auf die Festwertbewertung nach § 240 Abs. 3 HGB, weil die im Gesetz genannten Voraussetzungen weggefallen sind.
  • Der Grundsatz der Stetigkeit betrifft neben der Bewertung des einzelnen Bewertungsobjekts vor allem auch die Bewertung verschiedener, aber gleichartiger Aktiva und Passiva im Zeitablauf; er ist insoweit zu unterscheiden von den Grundsätzen zur Bewertung gleichartiger Gegenstände in demselben Geschäftsjahr (Grundsatz der Einheitlichkeit der Bewertung).[4]
 

Rz. 80

Wie bereits unter Rz. 51 ausgeführt, hat das IDW RS HFA 38 eine Reihe von Gründen aufgeführt, unter denen eine Durchbrechung des Grundsatzes der Stetigkeit grundsätzlich zulässig ist. Vor Novellierung des Handelsrechts durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz und in dessen Folge vor Veröffentlichung des IDW RS HFA 38 wurden nach den Äußerungen im Fachschrifttum insbesondere noch folgende weitere Ausnahmefälle, bei deren Vorliegen ein Wechsel der Ansatz- und Bewertungsmethode zulässig ist, akzeptiert:[5]

  • wesentliche Änderung der Einschätzung der allgemeinen Konjunkturlage oder der speziellen Branchenaussichten,
  • Einleitung von Sanierungsmaßnahmen,
  • Anpassung an die Ergebnisse einer steuerlichen Betriebsprüfung,
  • Verschmelzung oder Spaltung, wenn der übernehmende Rechtsträger vom Wahlrecht des § 24 UmwG Gebrauch macht und die Buchwerte des übertragenden Rechtsträgers als Anschaffungskosten ansetzt,
  • Wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur (auch ohne dass es zu einer Änderung der Konzernzugehörigkeit kommt),[6]
  • aufgrund einer Änderung des Kostenrechnungssystems ändern sich Art und Umfang der Verteilung der Gemeinkosten auf die Kostenträger, wodurch die Ermittlung der Herstellungskosten berührt wird,
  • wesentliche Veränderungen der Finanz- und Kapitalstruktur,
  • wesentliche technische Neuerungen und
  • wesentliche Änderung des Beschäftigungsgrads.

Diese Ausnahmefälle deckten einen ziemlich großen Bereich für Methodenänderungen ab.

Nicht abschließend geklärt ist jedoch die Frage, ob die in IDW RS HFA 38 Rz. 15 aufgeführten Ausnahmefälle, unter denen eine Durchbrechung der Ansatz- und Bewertungsstetigkeit grundsätzlich zulässig ist, eine im Wesentlichen abschließende Aufzählung beinhaltet.[7] Die derzeitig wohl noch herrschende Meinung hält jedoch trotz der durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz insgesamt eingetretenen Einschränkung der Ansatz- und Bewertungswahlrechte sowie der strengeren Fassung der Bewertungsstetigkeit und der erstmaligen Verankerung der Ansatzstetigkeit die auch zuvor vom Schrifttum akzeptierten Ausnahmefälle für weiterhin anwendbar.[8] Hinzu kommt noch, dass die nach IDW RS HFA 38 Rz. 15 als Grund für eine Durchbrechung der Ansatzstetigkeit akzeptierte verbesserte Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage sehr weit ausgelegt werden kann, sodass viele der im Schrifttum genannten und in dieser Rz. vorste...

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