Rz. 66

Je mehr Rechenwerke durch eine bilanzpolitische Maßnahme berührt werden, desto größer ist deren Wirkungsbreite. Als "Rechenwerke" sind dabei anzusehen: Handelsbilanz, Steuerbilanz, Ermittlung des gemeinen Werts von Gesellschaftsanteilen, Konzernbilanz nach HGB und ggf. IFRS, betriebsinterne Ergebnisrechnung; in diesem Zusammenhang sind auch die Steuererklärungen der Anteilseigner als Rechenwerk einzustufen. Die Wirkungsbreite wird im Unterschied zu zeitlich über die aktuelle Betrachtungsperiode hinausreichenden Wirkungen auch als Primärwirkung bezeichnet.[1]

Im Hinblick auf die Wirkungsbreite ergeben sich alternativ 2 Strategien:

  1. Maximierung der Wirkungsbreite: Diese Strategie wird im Rahmen einer gewinnmindernden Bilanzpolitik hauptsächlich dann zum Zug kommen, wenn es darum geht, möglichst hohe finanzielle Mittel im Unternehmen zu binden, z. B. im Interesse der Substanzerhaltung und des weiteren Wachstums. Durch Beeinflussung vieler Rechenwerke sollen Gewinnausschüttungen, Ertrag- und Substanzsteuerbelastungen sowie ergebnisabhängige Vergütungen minimiert werden. Die auf eine Maximierung der Wirkungsbreite ausgerichtete Strategie setzt grundsätzlich konfliktfreie bilanzpolitische Zielsetzungen voraus.
  2. Reduzierung der Wirkungsbreite: Eine solche Strategie ist angebracht, wenn bestimmte Rechenwerke von den zu ergreifenden bilanzpolitischen Maßnahmen ausgespart bleiben sollen. Dabei geht es um die Vermeidung von Konflikten zwischen den verschiedenen bilanzpolitischen Zielen. Hierbei ist insbesondere an den bereits oben erwähnten – wenngleich aufgrund des BilMoG eingeschränkten[2] – Zielkonflikt zwischen Handels- und Steuerbilanz zu denken. Soll z. B. der Ergebnisausweis in der Handelsbilanz aus informations- bzw. publizitätspolitischen Gründen oder zwecks hoher Ausschüttungen verbessert werden, so wird gleichwohl die Absicht bestehen, Mehrbelastungen durch höhere Gewinnsteuern zu vermeiden. Es kommt also hier darauf an, in der Handelsbilanz ein besseres Ergebnis auszuweisen als in der Steuerbilanz. Zur Verwirklichung dieses Ziels wird man vor allem jene Fälle heranziehen, in denen ein höherer Ansatz von Aktivposten oder ggf. ein niedrigerer Ansatz von Passivposten aus der Handelsbilanz trotz des in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG kodifizierten Maßgeblichkeitsgrundsatzes nicht in die Steuerbilanz übernommen werden darf, weil dem zwingende steuerliche Vorschriften (Bewertungsvorbehalt des Steuerrechts nach § 5 Abs. 6 EStG) entgegenstehen.
 

Beispiele für solche Fälle:

  • Ausnutzung des Aktivierungswahlrechts für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens in § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB; in der Steuerbilanz: Ansatzverbot gem. § 5 Abs. 2 EStG.
  • Anteil am Jahresverlust aus einer Beteiligung an einer Personengesellschaft. Handelsbilanz: Der Verlust ist in der Handelsbilanz des Gesellschafters nicht zu berücksichtigen, wenn der am Abschlussstichtag beizulegende Wert voraussichtlich nicht dauerhaft unter den Buchwert gesunken ist (was wiederum unterschiedlich beurteilt werden kann). Steuerbilanz: Die Erfassung des Verlustes beim Gesellschafter ist zwingend.
  • Steuerrechtlicher Ansatz einer Rücklage gem. § 6b EStG oder einer R-6.6-EStR-Rücklage; handelsrechtlich Verbot der Vornahme steuerlicher Sonderabschreibungen.
  • Aktivierung latenter Steuern: in Handelsbilanz Wahlrecht gem. § 274 Abs. 1 Satz 2 HGB, in Steuerbilanz unzulässig (keine Anwendung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes auf Posten, die keine Vermögensgegenstände oder Schulden sind[3]).
  • Im Zusammenhang mit den Übergangsvorschriften zum BilMoG: Verzicht auf die Beibehaltung und Fortführung niedrigerer steuerrechtlicher Wertansätze, welche handelsrechtlich aufgrund der seinerzeit anzuwendenden umgekehrten Maßgeblichkeit anzusetzen waren (vgl. Art. 67 Abs. 4 EGHGB) und zum Zeitpunkt des Übergangs auf die Rechnungslegungsvorschriften des BilMoG eine entsprechende Wahlrechtsausübung zur Fortführung der niedrigeren steuerrechtlichen Wertansätze erfolgte.
 

Rz. 67

Der ergebnismäßige Effekt der vorgenannten Maßnahmen – mit Ausnahme der Aktivierung latenter Steuern – wird allerdings bei Kapitalgesellschaften (und Kapitalgesellschaften & Co.)[4] dadurch geschmälert, dass der bei Aktivposten im Vergleich zum Handelsbilanzwert niedrigere Steuerbilanzwert bzw. der bei Passivposten im Vergleich zum Handelsbilanzwert höhere Steuerbilanzwert im Regelfall gem. § 274 Abs. 1 Satz 1 HGB eine passive latente Steuerabgrenzung erforderlich macht, die sich auf der Grundlage des Differenzbetrags berechnet. Ausgenommen von der Steuerabgrenzung sind nach § 274a Nr. 4 HGB kleine Kapitalgesellschaften und kleine Kapitalgesellschaften & Co. i. S. d. § 267 Abs. 1 HGB.[5] Außerdem sind die Folgewirkungen der Maßnahmen zu berücksichtigen; aufgrund dieser Wirkungen ergibt sich für die nächste Zeit ein unter dem Steuerbilanzergebnis liegendes Handelsbilanzergebnis (wenn z. B. die aktivierten selbst erstellten immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens abgeschrieben werden). De...

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