Rz. 57

Die formelle Bilanzpolitik ist vor allem auf die informationspolitische Zielsetzung der Bilanzpolitik ausgerichtet (vgl. Rz. 19). Unter diesen, die Aussagefähigkeit des Jahresabschlusses gegenüber Externen betreffenden Aspekten ist es u. a. von erheblicher Bedeutung, dass Aktiv- und Passivposten, Erträge und Aufwendungen im Jahresabschluss möglichst unsaldiert in Erscheinung treten. Das Bruttoprinzip, das seine gesetzliche Grundlage in § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB hat, ist jedoch in gewissen Grenzen interpretierbar; man kann es in einer Reihe von Fällen mehr oder weniger streng anwenden. Außerdem gibt es einige gesetzliche Regelungen, die – wahlweise – ausdrücklich Einschränkungen des Bruttoprinzips zulassen. Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz verankerte mit § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB erstmals explizit eine Ausnahme vom Bruttoprinzip bzw. vom allgemeinen Saldierungsverbot. Danach sind Vermögensgegenstände, die dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind und ausschließlich der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen oder vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen dienen, mit diesen Schulden zu verrechnen.

Dabei ist es keineswegs so, dass die Einschränkung des Bruttoprinzips generell zu einer Reduzierung oder sogar Verfälschung der Aussagefähigkeit des Jahresabschlusses führt.[1]

Ebenso ist das Wahlrecht erhaltene Anzahlungen auf Vorräte offen von dem Posten "Vorräte" abzusetzen,[2]

als Einschränkung des Bruttoprinzips zu interpretieren. Aufgrund der offenen Absetzung gehen auch mit dieser Verrechnungsmöglichkeit keine Einschränkungen hinsichtlich des Informationsgehalts einher, da die Abschlussadressaten ebenso in die Lage versetzt werden, die Information zu erhalten, die der Abschluss ohne diese Verrechnung hätte.

In Einzelfällen kann gerade die Einschränkung des Bruttoprinzips der Richtigkeit und Klarheit des Jahresabschlusses dienen, denn der getrennte Ausweis fälliger Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber einem bestimmten Geschäftspartner z. B. würde dessen Aufrechnungsbefugnis unberücksichtigt lassen.

 

Rz. 58

Im Bereich der Bilanz führt die Einschränkung des Bruttoprinzips zu einer Verkürzung der Aktiv- und Passivseite und damit zu einer Verbesserung von Bilanzrelationen, z. B. Erhöhung des prozentualen Eigenkapitalanteils an der verringerten Bilanzsumme. Zwar mag man die betriebswirtschaftliche Aussagekraft solcher Relationen – wie überhaupt der Bilanzkennzahlen ganz allgemein – bezweifeln, man muss sie jedoch in das gestalterische Kalkül einbeziehen, weil sie der Erwartungshaltung vieler Bilanzadressaten entsprechen.[3]

Von größerer praktischer Bedeutung kann die Verkürzung der Bilanzsumme bei der mittelständischen Kapitalgesellschaft zum Zweck der Reduzierung eines der in §§ 267 und 267a HGB genannten Größenmerkmale sein; auf diese Weise lässt sich in Grenzfällen der Umfang der Rechnungslegungs- und Offenlegungspflichten verringern.

So können Kleinstkapitalgesellschaften i. S. d. § 267a Abs. 1 HGB, welche nicht den beizulegenden Zeitwert als Bewertungsmaßstab verwenden und nicht unter § 267a Abs. 3 HGB fallen, die Bilanzgliederung auf die in § 266 Abs. 2 und 3 HGB mit Buchstaben bezeichneten Posten beschränken.[4] Darüber hinaus können sie gem. § 326 Abs. 2 HGB ihre Offenlegungspflicht statt durch Offenlegung von Bilanz und der Angaben unter der Bilanz[5] auch durch Hinterlegung bei der das Unternehmensregister führenden Stelle erfüllen. In diesem Falle können Dritte die wenigen im zu hinterlegenden Abschluss enthaltenen Informationen nur durch Abruf einer kostenpflichtigen Kopie erlangen.

Bei Einzelkaufleuten kann in Extremfällen sogar die Verpflichtung zur Bilanzierung und Buchführung beseitigt werden, sofern mittels bilanzpolitischer Maßnahmen die Grenzwerte für Umsatzerlöse und Jahresüberschuss unterschritten werden.[6] In entsprechender Weise lässt sich die Konzernrechnungslegungspflicht nach § 290 HGB umgehen, wenn die Größenkriterien des § 293 Abs. 1 HGB nicht überschritten werden und weder das Mutterunternehmen noch ein in den Konzernabschluss einzubeziehendes Tochterunternehmen kapitalmarktorientiert i. S. d. § 264d HGB sind.

 

Rz. 59

Im Zusammenhang mit dem Bruttoprinzip ist ferner von Bedeutung, dass für die Gewinn- und Verlustrechnung 2 Verfahren zur Auswahl stehen (§ 275 Abs. 1 HGB): das Gesamtkostenverfahren nach § 275 Abs. 2 HGB und das Umsatzkostenverfahren nach § 275 Abs. 3 HGB. Beim erstgenannten, in der Praxis zumeist angewendeten Verfahren werden die gesamten Kosten der Abrechnungsperiode ausgewiesen und die Erlöse einer Periode um die während der Abrechnungsperiode stattgefundenen Bestandsveränderungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen und ggfs. erfolgten Aktivierungen selbst erstellter Leistungen korrigiert; es ist einfach zu handhaben, gibt aber – was aus der Sicht des Unternehmens u. U. unerwünscht ist – Außenstehenden grundsätzlich einen verhältnismäßig guten Einblick in die Kostenstruktur. Dagegen erscheinen beim Umsatzkostenverfahren nur d...

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