Zinsschmelze

Seit Beginn der Finanzmarktkrise sind die Zinsen als Folge der Flutung der Märkte mit Liquidität durch die Notenbanken auf ein historisch tiefes Niveau gefallen. Diese Entwicklung stellt für viele Unternehmen, die Renditezusagen gegeben haben, eine große reale Herausforderung dar. Da es sich bei dem nach § 253 Abs. 2 HGB ermittelten Zinssatz um einen 7- bzw. neu 10-Jahresdurchschnittszinssatz und nicht um einen aktuellen Marktzinssatz handelt, kommt es einerseits zu einer kontinuierlichen Absenkung des Abzinsungssatzes; andererseits bestehen stille Lasten bei Pensionsrückstellungen, da die aktuellen Marktzinssätze noch deutlich unterhalb des Durchschnittssatzes liegen. Dies wird unter dem Stichwort "Zinsschmelze"[1] bereits seit einiger Zeit diskutiert. Das nachhaltig niedrige Zinsniveau führt zu einem Verfall der sich gem. RückAbzinsV ergebenden Zinssätze, wie Abbildung 1 zeigt:

Abb. 1: Entwicklung der Diskontierungszinssätze gem. § 253 Abs. 2 HGB für eine Restlaufzeit von 15 Jahren und auf Basis eines 7- und 10-jährigen Glättungszeitraums[2]

Diese Entwicklung führte zu einem erheblichen Anstieg der auszuweisenden Pensionsverpflichtungen. Daher hat der Gesetzgeber sich veranlasst gesehen, den Abzinsungssatz für Pensionsrückstellugen auf 10 Jahre auszuweiten, was die Kurve zumindest aktuell (Stand Ende 4/2018) um 89 Basispunkt auf 3,53 % für 15-jährige Restlaufzeiten anhebt. Damit ist wieder der Abzinsungssatz von Juni 2016 erreicht. Allerdings steigen damit auch die vorhandenen stillen Lasten. Hier kann zum Vergleich ein Blick in die aktuellen Geschäftsberichte von IFRS-Anwendern Klarheit über das Ausmaß an Unterschieden vom stichtagsbezogenen zum Durchschnitts-Abzinungssatz schaffen. Dort wird zum Jahresende 2017 für deutsche Verpflichtungen mit einem Abzinsungssatz von durchschnittlich unter 2,0 % gerechnet! Zu beachten ist auch, dass kompensatorische Effekte durch etwaig vorhandenes Deckungsvermögen nicht auftreten, weil das Deckungsvermögen – im Unterschied zur Pensionsverpflichtung – an jedem Abschlussstichtag zum beizulegenden Zeitwert, d. h. mit aktuellen (also niedrigen) Zinssätzen anzusetzen ist.[3]

Auch die übrigen Trendparameter können kaum die sinkenden Abzinsungssätze ausgleichen. In den letzten Jahren konnten die Gewerkschaften wieder deutlich höhere Lohn- und Gehaltsforderungen durchsetzen und auch die Inflationsrate ist nicht für den Zinsverfall verantwortlich, was eine ansonsten denkbare Reduktion des Lohn- und Gehaltstrends bzw. Rententrends ausschloss.

Nach HGB war mangels fehlender Übergangsregelung die Anwendung des 10-jährigen Abzinsungssatzes direkt erfolgswirksam in der GuV zu erfassen. Eigentlich wäre daraus ein versicherungsmathematischer Gewinn zu erwarten gewesen. Für den Stichtag 31.12.2015 stellte sich die Situation aber so dar, dass aufgrund des stärker durchschlagenden Niedrigzinses ein weiterer versicherungsmathematischer Verlust in der GuV zu verkraften war. Auf Basis des Abzinsungssatzes für 15 Jahre Restlaufzeit waren die Pensionsverpflichtungen zum 31.12.2014 auf Basis der 7-Jahresbetrachtung mit 4,53 % abzuzinsen, zum 31.12.2015 auf Basis der 10-Jahresbetrachtung mit 4,31 %.

Es zeigt sich das Dilemma der Bilanzierung: Entweder es werden Stichtagswerte verwendet, was die Pensionsrückstellungen wie nach IFRS tendenziell zutreffend in der Bilanz abbildet, dann aber eine hohe Volatilität der Ergebnisse verursacht, oder es werden im Bewertungssystem Glättungen durch die Durchschnittsbetrachtung vorgenommen, was die Volatiltät einschränkt, aber zu temporären stillen Lasten (oder bei steigenden Zinsen auch zu stillen Reserven) in der Bilanzdarstellung der Verpflichtungen führt.[4]

Bedeutung für Unternehmen

Für die nach HGB bilanzierenden Unternehmen bedeutet die derzeitige Situation neben den realen Problemen der Erwirtschaftung der zugesagten Renditen auch, dass der positive Cashflow-Effekt aus der Reduzierung der Steuerzahlungen sehr gering ausfällt und daher nur in geringem Maße zum Aufbau von Planvermögen eingesetzt werden kann. Zudem ist bei Gewinnausschüttungen Zurückhaltung geboten, da die bestehenden stillen Lasten zu bedenken sind. Diese bauen sich erst ab, wenn sich das Zinsniveau wieder anhebt oder wenn in einigen Jahren die Durchschnittsbetrachtung der 7 bzw. neu 10 Jahre nur noch Niedrigzinswerte enthält. Der massive Verfall der Zinssätze bei der Abzinsung der Pensions- und sonstigen langfristigen Rückstellungen beeinflusst somit die Ergebnisse. Daher versuchen immer mehr Unternehmen, die Verpflichtungen auszulagern, indem etwa nur noch beitragsorientierte Zusagen gewährt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass dann parallel die Auszahlungen für die laufenden Pensionen und für die Auslagerung der Verpflichtungen zu stemmen sind, was eine gute wirtschaftliche Lage und zurückhaltende Ausschüttungswünsche voraussetzt.

Bedeutung für Analysten

In Analysen ist zu berücksichtigen, dass in den aktuellen Jahres- und Konzernabschlüssen nach HGB (Geschäftsjahr 2017...

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