Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückgabe beschlagnahmter Sachen am Aufbewahrungsort

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rückgabe einer in einem Strafverfahren beschlagnahmten Sache hat an dem Ort zu erfolgen, an welchem diese aufzubewahren war; die zuständigen Justizbehörden sind nicht verpflichtet, die Sache dem Berechtigten an dessen Wohnsitz zu bringen.

 

Normenkette

BGB § 697; StPO § 98

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 20.02.2004; Aktenzeichen 303 S 16/03)

AG Hamburg

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 3, v. 20.2.2004 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

In der Kanzlei des Klägers, eines seinerzeit in Hamburg praktizierenden Rechtsanwalts, wurden im Zuge eines gegen ihn geführten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in den Jahren 1984 und 1989 durch die dortige Staatsanwaltschaft Unterlagen aus Mandantenakten beschlagnahmt. Das Strafverfahren selbst wurde später vom LG Hamburg gem. § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldbuße von 12.000 DM eingestellt; eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) wurde dem Kläger versagt. Die in mehreren Kartons aufbewahrten beschlagnahmten Unterlagen wurden daraufhin von der Staatsanwaltschaft zur Abholung bereitgestellt.

Der Kläger, der zwischenzeitlich seinen Wohn- und Kanzleisitz nach Ibiza verlegt hat, begehrt mit der vorliegenden Klage die Verurteilung der beklagten Freien und Hansestadt Hamburg (Justizbehörde - Justizamt), die beschlagnahmten Unterlagen an seinen neuen Wohnsitz zu übersenden. Das AG hat der Klage stattgegeben; das LG (LG Hamburg v. 20.2.2004 - 303 S 16/03, NJW 2004, 2455) hat sie abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Beide Vorinstanzen haben die Zulässigkeit der vorliegenden zivilgerichtlichen Klage mit Recht bejaht. Es geht hier um einen vermögensrechtlichen Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung, der gem. § 40 Abs. 2 VwGO den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist. Die Parteien streiten nicht über die Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung - die Beschlagnahme ist durch den rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ohne weiteres erloschen (allgemeine Meinung; KK/Nack, StPO, 5. Aufl. 2003, § 98 Rz. 33; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. 2004, § 98 Rz. 2, m.w.N.) -, die den zuständigen Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Gericht) vorbehalten ist (Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, 461 [463]; KK/Nack, KK/Nack, StPO, 5. Aufl. 2003, § 98 Rz. 34; Meyer-Goßner StPO, 47. Aufl. 2004, § 98 Rz. 30), sondern ausschließlich über die Modalitäten der Rückgabe. Diese Frage kann von den Zivilgerichten nach allgemeinen materiell- und verfahrensrechtlichen Grundsätzen entschieden werden, ohne dass ein Kompetenzkonflikt mit der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht entsteht. Entgegen Hoffmann/Knierim (Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, 461 [463]), die insoweit "im Wege der Annexkompetenz" § 98 Abs. 2 S. 2 StPO für anwendbar und deshalb eine Zivilklage für unzulässig halten, hat auch das OLG Stuttgart in seinem Urteil v. 25.4.1984 (OLG Stuttgart v. 25.4.1984 - 1 U 41/84, wistra 1984, 240) die dortige Herausgabeklage nicht etwa als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen, weil den dort geltend gemachten Herausgabeansprüchen nach § 985 BGB und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung mit der wirksamen Beschlagnahme ein materiell-rechtliches Hindernis entgegengestanden hatte.

2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das LG hat vielmehr mit Recht auf das hier in Rede stehende öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis die Vorschrift des § 697 BGB entsprechend angewandt. Danach hat die Rückgabe der hinterlegten (hier: der durch Beschlagnahme in öffentlich-rechtliche Verwahrung genommenen) Sache an dem Ort zu erfolgen, an welchem die Sache aufzubewahren war; der Verwahrer (die beklagte Justizbehörde) ist nicht verpflichtet, die Sache dem Hinterleger (hier dem Kläger an dessen Wohnort) zu bringen.

a) In diesem Sinne hat sich das OLG Hamburg bereits in einer frühen Entscheidung (OLG Hamburg, Urt. v. 13.7.1916, SeuffArch 72 [1917] Nr. 4 S. 7, 8 geäußert. Diese Entscheidung ist unverändert aktuell; ihr hat sich ein Großteil der Kommentarliteratur zum Bürgerlichen Gesetzbuch angeschlossen (Staudinger/Reuter, BGB, 13. Bearb. 1995 § 697 Rz. 5; Erman/Herrmann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 697 Rz. 1; Hüffer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2005, § 697 Rz. 3, i.V.m. Fn. 4). Auch in Teilen der strafprozessualen Literatur wird § 697 BGB für anwendbar gehalten (H. Schäfer, wistra 1984, 136 [137]).

b) Demgegenüber wird in der strafprozessualen Literatur wohl überwiegend die Auffassung vertreten, § 697 BGB sei bei beschlagnahmten oder formlos für Zwecke der Strafverfolgung sichergestellten Sachen nach Beendigung des hoheitlichen Zugriffs nicht analog anwendbar. Dies habe die Konsequenz, dass die beschlagnahmten Sachen dem Betroffenen dort zurückzugeben seien, wo sie von der Behörde beschlagnahmt oder wo sie dieser zur Abwendung der Beschlagnahme freiwillig übergeben worden waren (Damrau, NStZ 2003, 408 [410]). Noch weitergehend nehmen G. Schäfer (in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1.10.2003, § 98 Rz. 64) und Hoffmann/Knierim (Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, 461 [463]) an, die Gegenstände seien dem Berechtigten auf Verlangen zurückzubringen. Dies könnte die weitere Folge haben, dass die Behörde die beschlagnahmten Sachen auf eigene Kosten und Gefahr auch an einen etwaigen neuen, möglicherweise - wie hier - sogar im Ausland befindlichen Wohnsitz des Berechtigten zu verbringen hätte.

c) Das zentrale Argument für die Begründung einer derartigen weitergehenden Verpflichtung, die beschlagnahmten Sachen zurückzubringen, besteht darin, dass sie - anders als beim normalen privatrechtlichen Verwahrungsvertrag - nicht auf Grund eines vertraglichen Einverständnisses des Hinterlegers, sondern - oftmals gegen dessen Willen - durch den hoheitlichen Zugriff der Strafverfolgungsbehörden in die öffentlich-rechtliche Verwahrung überführt worden seien. Mit der Verpflichtung des Betroffenen, diese zwangsweise Entziehung zu dulden, korrespondiere eine Rechtspflicht der Strafverfolgungsbehörden, die Sachen nach dem Wegfall der öffentlich-rechtlichen Verstrickung - gleichsam im Wege der "Wiedergutmachung" - zum Berechtigten zurückzuschaffen.

d) Diese Betrachtungsweise vermag der erkennende Senat indessen nicht zu teilen. Vielmehr erhält - wie schon das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat - der hier zu beurteilende Sachverhalt sein Gepräge dadurch, dass die Beschlagnahme rechtmäßig gewesen war und ihre gesetzliche Grundlage in § 94 StPO gefunden hatte. Diese Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Zugriffs begründet eine sachliche Rechtfertigung für das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis, die in ihrem Gewicht dem vertraglichen Konsens bei einem privatrechtlichen Verwahrungsvertrag mindestens gleichkommt. Dies rechtfertigt es, die gesetzlichen Regelungen für die Abwicklung eines beendeten Verwahrungsverhältnisses auch auf die Beendigung einer Beschlagnahme anzuwenden, und zu diesen gehört auch die gesetzliche Wertung, die der Rückgaberegelung des § 697 BGB zugrunde liegt.

e) Nichts anderes ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung, den Staudinger/Reuter (Staudinger/Reuter, BGB, 13. Bearb. 1995 § 697 Rz. 5) zur ausnahmsweisen Begründung einer Rückschaffungspflicht der Behörde anführt. Der Folgenbeseitigungsanspruch betrifft Fälle, in denen durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist, der noch andauert. Der ursprünglichen Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts steht es gleich, wenn ein von einer Behörde geschaffener Zustand nachträglich rechtswidrig wird (Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, 6. Aufl. 2000, § 52 II Rz. 13, 17, m.w.N.). An dieser entscheidenden Voraussetzung fehlt es hier. Weder war durch die rechtmäßige Beschlagnahme ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden, noch war der ursprünglich rechtmäßige Zustand nachträglich rechtswidrig geworden, nachdem die Beschlagnahme geendet und die Staatsanwaltschaft die Gegenstände zur Abholung bereit gestellt hatte.

f) Wegen dieser Rechtmäßigkeit scheidet auch ein auf Ersatz der für den Rücktransport erforderlichen Aufwendungen gerichteter Amtshaftungsanspruch des Klägers (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) von vornherein aus. Ob diese Aufwendungen gegebenenfalls zu den nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG ersatzfähigen Schadensposition gehören könnten, ist hier nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

NJW 2005, 988

Inf 2005, 249

NWB 2005, 1544

BGHR 2005, 663

NStZ 2005, 391

ZAP 2005, 548

wistra 2005, 271

MDR 2005, 774

StBp 2006, 130

BayVBl. 2006, 29

NJW-Spezial 2005, 185

StV 2005, 486

BRAK-Mitt. 2005, 137

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