Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch für die Vornahme einer Artfortschreibung und einer Zurechnungsfortschreibung genügt wie bei der Wertfortschreibung (Urteil III 110/50 S vom 24. Januar 1952, BStBl. 1952 III S. 84) ein bloßer Rechtsirrtum bei der letztvorangegangenen Einheitswertfeststellung.

Wird der Antrag, eine Fortschreibung auf einen bestimmten Zeitpunkt vorzunehmen, nach Ablauf der in § 225 a Abs. 2 AO gesetzten Frist gestellt, so muß geprüft werden, ob auf diesen, gegebenenfalls nach dem Ermessen des Finanzamts schon auf einen früheren Zeitpunkt, eine Fortschreibung von Amts wegen vorzunehmen ist. Lehnt das Finanzamt die Fortschreibung von Amts wegen ab, so sind gegen den ablehnenden Bescheid die ordentlichen Rechtsmittel nach § 235 Ziff. 1 AO gegeben.

 

Normenkette

AO §§ 225a, 235 Nr. 1, § 229/3

 

Tatbestand

Die beschwerdeführende Erbengemeinschaft begehrt Zurechnungsfortschreibung eines Grundstücks, das bei der letzten Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1939 der am 8. September 1948 verstorbenen Erblasserin zugeschrieben worden war.

I. -

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat erstmals mit Schreiben vom 29. Oktober 1949 im Hinblick auf die Soforthilfeabgabe vorgetragen, daß nach ihrer Auffassung die Zurechnungsfortschreibung zum 1. Januar 1939 nicht zutreffend gewesen sei. Sie hat dann in einem gegen den Soforthilfebescheid eingelegten Einspruch vom 9. August 1950 ausdrücklich eine Zurechnungsfortschreibung zum 21. Juni 1948 beantragt. Durch Bescheid vom 14. August 1950 hat das Finanzamt die beantragte Zurechnungsfortschreibung abgelehnt mit der Begründung, daß die Erblasserin sowohl nach dem Kaufvertrag als auch nach dem Eintrag in das Grundbuch als Alleineigentümerin des Grundstücks anzusehen gewesen sei. An dieser Auffassung hat das Finanzamt in der auf den Einspruch der Bfin. gegen den ablehnenden Bescheid vom 14. August 1950 ergangenen Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1950 festgehalten.

Das Finanzgericht hat zunächst ausgeführt, daß zwar in dem Schreiben der Bfin. vom 29. Oktober 1949 ein formeller Antrag auf Vornahme einer Zurechnungsfortschreibung im Sinne des § 225 a Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) erblickt werden könne. Da ein solcher Antrag aber nur bis zum Ablauf des Kalenderjahres gestellt werden könne, auf dessen Beginn die neue Feststellung begehrt wird, könne sich der Antrag nur auf eine Fortschreibung zum 1. Januar 1949 beziehen. Eine Fortschreibung auf diesen Stichtag sei jedoch von der Bfin. zweifellos nicht erstrebt worden, weil sie auf die Soforthilfeabgabe mit dem Stichtag 21. Juni 1948 ohne Einfluß wäre. Auch eine Fortschreibung auf den 21. Juni 1948, wie sie ausdrücklich beantragt wurde, könne den angestrebten Erfolg nicht herbeiführen, weil für die Soforthilfeabgabe die letzte vor dem Währungsstichtag liegende Feststellung über die Zurechnung maßgebend sei, sofern sich nicht - was im vorliegenden Falle unstreitig nicht zutreffe - die für die Zurechnung maßgebenden Verhältnisse zwischenzeitlich bis zum Währungsstichtag geändert hätten. Wenn nach Tz. 10 des Ersten Soforthilfeabgabesammelerlasses eine Zurechnungsfortschreibung auf den 21. Juni 1948 auch der Berechnung der Soforthilfeabgabe zugrunde gelegt werden könne, so handele es sich dabei um eine vom Gesetz abweichende Bestimmung, die für das Finanzgericht nicht bindend sei, weil sie keinen sogenannten Milderungserlaß darstelle. Bei dieser Sachlage wäre der Bfin. nur geholfen, wenn eine Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1948 vorgenommen würde. Eine solche könne aber nur mehr von Amts wegen erfolgen. Daher könne ein Antrag auf Zurechnungsfortschreibung, mit dem die Fortschreibung auf einen früheren Zeitpunkt als den 1. Januar des laufenden Jahres begehrt werde - von den Fällen begründeter Nachsicht abgesehen - nur als "formlose Anregung" angesehen werden, eine solche Fortschreibung von Amts wegen vorzunehmen. Die Ablehnung einer derartigen Anregung könne jedoch nach Auffassung des Finanzgerichts nicht im Berufungsverfahren angefochten werden, vielmehr habe das Finanzamt nach pflichtmäßigem Ermessen über den Antrag als "Anregung" zu befinden. Ein derartiges Vorgehen erscheine allerdings im vorliegenden Fall, nachdem die Angelegenheit bisher im ordentlichen Rechtsmittelverfahren behandelt und eine weitere Verzögerung der Entscheidung nicht zu verantworten sei, nicht vertretbar. Das Finanzgericht halte sich daher für berechtigt und verpflichtet, zu den strittigen Rechtsfragen - Zulässigkeit der Zurechnungsfortschreibung und sachliche Berechtigung einer solchen - Stellung zu nehmen.

Den Ausführungen des Finanzgerichts kann nicht in allen Punkten zugestimmt werden. Tz. 10 des Ersten Soforthilfeabgabesammelerlasses beruht auf der Erwägung, daß in der Zeit vor dem Währungsstichtag auf Grund von Verwaltungsanordnungen Zurechnungsfortschreibungen, die von Amts wegen oder auf Antrag hätten vorgenommen werden müssen, aus Vereinfachungsgründen unterblieben sind, und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß in solchen Fällen für Zwecke der Soforthilfeabgabe eine Nachholung der Fortschreibung nicht erforderlich sei, weil hier die Frage, wem Vermögensgegenstände für die Soforthilfeabgabe zuzurechnen sind, nach § 2 Abs. 2 des Soforthilfegesetzes (SHG) selbständig zu entscheiden sei. Wenn in Tz. 10 weiter ausgeführt wird, daß eine Zurechnungsfortschreibung, die nach § 4 des Fortschreibungsgesetzes vom 10. März 1949 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets - WiGBl. - S. 25) bereits erfolgt ist, zugrunde gelegt werden könne, und sich allgemein eine Zurechnungsfortschreibung nach diesem Gesetz empfehle, so dienen auch diese Anordnungen lediglich der Vereinfachung und können nur dahin verstanden werden, daß an Stelle der im Soforthilfeverfahren selbständig zu treffenden Entscheidung die Ergebnisse der Zurechnungsfortschreibung zum 21. Juni 1948 dann übernommen werden können, wenn auch diese Zurechnungsfortschreibung auf einer "Veränderung" der maßgebenden Verhältnisse im Sinne des § 2 Abs. 2 SHG beruht. Eine "Veränderung" in diesem Sinne liegt aber, wie schon das Finanzgericht zutreffend dargetan hat, nur vor, wenn sich die maßgebenden Verhältnisse in der Zwischenzeit tatsächlich geändert haben, und nicht schon dann, wenn die ursprüngliche Zurechnung fehlerhaft war. Hiernach ist im Ergebnis dem Finanzgericht darin beizutreten, daß eine etwa im Sinne des Begehrens der Bfin. zum 21. Juni 1948 vorgenommene Zurechnungsfortschreibung ihr für die Soforthilfeabgabe nichts nützen würde, sie aber, wenn eine entsprechende Zurechnungsfortschreibung zum 1. Januar 1948 vorgenommen würde, wegen der Bindung der persönlichen Abgabepflicht zur Soforthilfeabgabe an diese Fortschreibung auch im Soforthilfeverfahren den mit dem Fortschreibungsantrag verfolgten Zweck erreichen würde. Das Finanzgericht hat daher den Antrag der Bfin., die Zurechnungsfortschreibung auf den 21. Juni 1948 vorzunehmen, zu Recht in einen auf Fortschreibung zum 1. Januar 1948 lautenden Antrag gedeutet.

Wird ein Fortschreibungsantrag nach § 225 a Abs. 2 AO gestellt und dabei die neue Feststellung auf einen Stichtag (Beginn eines Kalenderjahres) begehrt, für den die Frist abgelaufen ist, so muß das Finanzamt, soweit nicht wegen der Fristversäumung Nachsicht zu erteilen ist, "erforderlichenfalls", d. h. wenn die Steuergerechtigkeit es erfordert, einen Fortschreibungsbescheid von Amts wegen erlassen. Das trifft dann zu, wenn der Steuerpflichtige (Stpfl.) einen gerechtfertigten Grund für eine Fortschreibung auf den angegebenen Stichtag hat und mit seinem Antrag nicht jahrelang gewartet hat. Der Unterschied zwischen der Fortschreibung auf Antrag und von Amts wegen liegt also darin, daß im ersten Fall die Fortschreibung, falls ihre Voraussetzungen vorliegen, auf den begehrten Stichtag vorgenommen werden muß, im zweiten Fall die Fortschreibung auf diesen Stichtag abzulehnen ist, wenn der Stpfl. mit seinem Antrag grundlos jahrelang gewartet hat (ebenso die vom Finanzgericht angeführte, amtlich nicht veröffentlichte Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs III 32/48 vom 25. August 1948). Hiernach darf das Finanzamt einen verspäteten Antrag, bei dem Nachsichtgewährung nicht in Betracht kommt, nicht einfach ablehnen, sondern muß prüfen, ob nicht ein Fortschreibungsbescheid im Sinne des Antrags von Amts wegen zu erlassen ist. Kommt es dabei zu der überzeugung, daß eine Fortschreibung im Sinne des Antrags entweder wegen grundlosen Zuwartens oder wegen Fehlens der sachlichen Voraussetzungen nicht vorzunehmen ist, so muß es dem Antragsteller einen entsprechenden Bescheid erteilen. Ein derartiger Ablehnungsbescheid kommt aber sachlich der Ablehnung des Antrags des Stpfl. gleich und verneint damit auch das Vorliegen von Nachsichtgründen. Er ist daher nach § 235 Ziff. I AO mit den ordentlichen Rechtsmitteln anfechtbar. So ist auch das Finanzamt im vorliegenden Falle, in dem eine Fortschreibung auf den 1. Januar 1948 beim Vorliegen der sachlichen Voraussetzungen von Amts wegen vorzunehmen wäre, verfahren.

II. -

 

Entscheidungsgründe

Das Finanzgericht hat der Berufung schon deshalb den Erfolg versagt, weil es eine nach dem Feststellungszeitpunkt (hier letzte Zurechnungsfortschreibung zum 1. Januar 1939) eingetretene Veränderung der für die Zurechnung maßgebenden Verhältnisse als Voraussetzung für die Vornahme einer Zurechnungsfortschreibung angesehen hat.

Darin kann dem Finanzgericht nicht gefolgt werden. Der erkennende Senat hat in den Urteilen III 110/50 S vom 24. Januar 1952 (Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 III S. 84) und III 18/52 U vom 16. Mai 1952 (BStBl. 1952 III S. 189) für die Wertfortschreibung an der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs festgehalten und die Wertfortschreibung eines Einheitswertes grundsätzlich auch dann für zulässig erachtet, wenn tatsächliche Veränderungen an dem Gegenstand der Bewertung seit der letztvorgenommenen Einheitswertfeststellung nicht eingetreten sind, die letzte Bewertung aber rechtsirrtümlich war. Dem Finanzgericht ist zuzugeben, daß die Begründung, die der Reichsfinanzhof für seine von der früheren Rechtsprechung abweichende Auffassung insbesondere in der Entscheidung III 303/37 vom 31. März 1938 (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1938 S. 601) gegeben hat, auf die Zurechnungsfortschreibung nicht ohne weiteres paßt. Sie geht dahin, daß in § 22 Abs. 1 des Reichsbewertungsgesetzes (RBewG) 1934 als Voraussetzung der Neufeststellung (Wertfortschreibung) nicht mehr wie in § 75 Abs. 1 RBewG 1925 und in § 24 Abs. 1 RBewG 1931 von einer Veränderung, sondern nur mehr von einem Abweichen des Wertes die Rede sei. Die allein in § 225 Abs. 1 Ziff. 2 AO enthaltenen Voraussetzungen für die Vornahme einer Art- oder Zurechnungsfortschreibung sehen nach wie vor eine änderung in der Art oder in der Zurechnung des Gegenstandes vor, die nach dem Feststellungszeitpunkt eingetreten und für die Besteuerung von Bedeutung ist. Der erkennende Senat hat bereits in dem erwähnten, zu einer Wertfortschreibung ergangenen Urteil vom 24. Januar 1952 die vom Reichsfinanzhof gegebene Begründung im Hinblick auf den zwischen den Hauptfeststellungszeitpunkten liegenden längeren Zeitraum und die Bedeutung der Einheitswertfeststellung für die Soforthilfeabgabe und die Lastenausgleichsabgaben erweitert, indem er darauf hingewiesen hat, daß eine unrichtige Einheitswertfeststellung, wenn der Einheitswert nicht fortgeschrieben werden könne, zur Folge habe, daß jahrelang Abgaben unter Umständen auf unrichtiger Grundlage festgesetzt würden. Das würde aber gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoßen. Demgegenüber müsse der Umstand zurücktreten, daß in § 22 Abs. 2 RBewG 1934 und in § 225 a AO wieder das Wort "änderung" gebraucht sei, und angenommen werden, daß der Wortlaut der erwähnten Vorschriften noch nicht in Einklang mit der neuen Fassung von § 22 Abs. 1 a. a. O. gebracht worden sei. Läßt man hiernach eine Wertfortschreibung schon bei einer "Abweichung" vom ursprünglich festgesetzten Einheitswert zu, obwohl der Wortlaut des § 225 a Abs. 1 Ziff. 1 AO auch heute noch von einer "änderung im Wert" spricht und verlangt, daß die Voraussetzungen nach dem letzten Feststellungszeitpunkt eingetreten sind, so wird man auch dem Wortlaut des § 225 a Abs. 1 Ziff. 2 AO keine entscheidende Bedeutung zumessen dürfen und ebenso eine Zurechnungs- und Artfortschreibung schon dann zulassen müssen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse inzwischen nicht geändert haben, also lediglich die ursprüngliche Feststellung über Zurechnung und Art des Gegenstandes unrichtig war, und wenn außerdem die Fortschreibung für die Besteuerung von Bedeutung ist. Dieser Grundsatz bedarf für die von Amts wegen vorzunehmende Zurechnungsfortschreibung, die nicht nur denjenigen betrifft, dem der Gegenstand ursprünglich zugeschrieben worden war, einer gewissen zeitlichen Einschränkung. Nach der erwähnten Entscheidung des Senats vom 16. Mai 1952 kann das Finanzamt bei einer Wertfortschreibung bis auf den dem ursprünglichen Feststellungszeitpunkt folgenden 1. Januar zurückgehen, soweit nicht sämtliche auf der Fortschreibung beruhenden Steuern bereits verjährt sind, es kann aber nach seinem Ermessen die Fortschreibung auch erst auf einen späteren Stichtag vornehmen. Im Falle der Zurechnungsfortschreibung von Amts wegen wird das Finanzamt bezüglich der Frage, wie weit damit zurückgegangen werden soll, billigerweise auch die Interessen des Dritten, der von der abweichenden Zurechnung betroffen wird, zu berücksichtigen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407521

BStBl III 1952, 313

BFHE 1953, 816

BFHE 56, 816

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