Leitsatz (amtlich)

Das Recht des FA zur Nachschau besteht auch gegenüber einem VOL-(GDL-)Landwirt.

 

Normenkette

AO § 162 Abs. 10, § 193 Abs. 1, §§ 201, 204

 

Tatbestand

Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) betreibt eine Landwirtschaft auf ca. 20 ha eigenem und zugepachtetem Gelände. Er wurde bis zur Durchführung einer Betriebsprüfung im Februar 1966 als sog. VOL-Landwirt (Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft) nicht zur Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist, ob der Steuerpflichtige der Betriebsprüfung unterliegt.

Gegen die Ankündigung des Revisionsbeklagten (FA) vom 1. Februar 1966, am 9. Februar 1966 eine Betriebsprüfung durchzuführen, widersprach der Steuerpflichtige. Gegen die Anordnung des FA vom 8. Februar 1966, daß die Betriebsprüfung auf den 15. Februar 1966 verlegt werde, widersprach der Steuerpflichtige wiederum ohne Erfolg. Die Prüfung wurde wie angekündigt durchgeführt. Die Beschwerde des Steuerpflichtigen wurde von der OFD mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Finanzverwaltung gemäß §§ 201, 204 AO berechtigt sei, Betriebsprüfungen auch bei VOL-Landwirten durchzuführen.

Der Steuerpflichtige erhob daraufhin Klage gegen das FA mit dem Antrag, die Anordnung über die Betriebsprüfung vom 1. Februar 1966 aufzuheben. Später beantragte er, festzustellen, daß er der Betriebsprüfung nicht unterliege, und trug vor: Wegen der Unrechtmäßigkeit der Betriebsprüfung vom 15. Februar 1966 sei er VOL-Landwirt geblieben. Als solcher gehöre er nicht zu dem in § 162 Abs. 1 AO genannten Personenkreis, so daß schon nach § 2 BpO(St) keine Betriebsprüfung durchzuführen sei. § 201 Abs. 1 AO setze voraus, daß sich dem FA aufgrund der vorliegenden Erklärungen die Annahme einer Steuerverkürzung aufdränge. Das FA dürfe nicht die angewendete Besteuerungsgrundlage, die VOL, auf ihre Richtigkeit untersuchen lassen.

Das FA stimmte der Klageänderung nicht zu und beantragte, die Klage abzuweisen. Es trug vor, die BpO(St) schränke die allgemeine Betriebsprüfungsbefugnis lediglich "in der Regel" auf buchführungs- oder aufzeichnungspflichtige Steuerpflichtige ein. Ein Ausnahmefall sei dann gegeben, wenn, wie hier, eine Betriebsprüfung angeordnet werde, um festzustellen, ob Buchführungs- oder Aufzeichnungspflicht bestehe.

Das FG hielt die Klageänderung für sachdienlich, da die Betriebsprüfungsanordnung vom 8. Februar 1966 inzwischen vollzogen worden sei. Die Feststellungsklage sei auch zulässig, da der Steuerpflichtige ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses habe. Die Klage sei aber nicht begründet. Das FG führte aus: Ein VOL-(GDL-)Landwirt (Gesetz über die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen) sei allerdings nicht zur Führung von Büchern verpflichtet, so daß das FA nicht nach § 162 Abs. 10 AO n. F. prüfen könne, "ob die Bücher ... fortlaufend, vollständig und formell und sachlich richtig geführt werden". Weiterhin sei zweifelhaft, ob die §§ 201, 204 AO eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Betriebsprüfung darstellten. Ein VOL-(GDL-)Landwirt unterliege aber in jedem Fall der Betriebsprüfung nach § 193 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach das FA bei Unternehmern, die einer Steuer unterlägen oder bei denen nach dem Ermessen des FA eine Steuerpflicht in Betracht komme, Nachschau halten könne. In der Anordnung einer Betriebsprüfung zur Feststellung, ob die Voraussetzungen der VOL(GDL) noch erfüllt seien, sei kein Ermessensfehler zu sehen, da es sich um einen Ausnahmefall i. S. des § 2 Abs. 1 BpO(St) handele.

Zur Begründung seiner Revision trägt der Steuerpflichtige u. a. vor. Die Auslegung des § 2 Abs. 1 BpO(St) durch das FG-Urteil, wonach im Ausnahmefall VOL-Landwirte doch unter diese Vorschrift fielen, lasse unbeachtet, daß nach § 4 Abs. 2 BpO(St) eine Betriebsprüfung bei einem VOL-Landwirt erst dann in Betracht komme, wenn für die fraglichen Prüfungszeiträume Steuererklärungen vorlägen. Zwar sei die Zulässigkeit einer Betriebsprüfung bei VOL-Landwirten nach § 193 Abs. 1 AO nicht streitig. Streitig bleibe jedoch, ob diese Vorschrift ohne jegliche Bindung anwendbar sei. Denn diese Bestimmung enthalte keine Ausnahmeregelung für die nicht unter § 162 Abs. 10 und 11 AO fallenden Prüfungsfälle. Eine Einschaltung der Betriebsprüfung aufgrund des § 193 Abs. 1 AO dürfte erst begründet sein, wenn das FA nach den vorliegenden Erklärungen und sonstigen Angaben zu der Überzeugung gekommen sei, daß Steuern verkürzt worden seien und damit die angewendete Besteuerungsgrundlage angezweifelt werde. Durch Auslegung und Anwendung des § 193 Abs. 1 AO dürfe ein Steuerpflichtiger nicht anders gestellt und behandelt werden wie ein nach den anderen Prüfungsvorschriften - §§ 161, 201 und 204 AO - unter gewissen Voraussetzungen zu behandelnder Steuerpflichtiger. Danach habe die Verwaltung nicht ermessensfehlerfrei gehandelt.

Der Steuerpflichtige beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es ist der Ansicht, daß nicht nur die Bestimmung des § 193 Abs. 1 AO, sondern auch die §§ 201 und 204 AO eine ausreichende Rechtsgrundlage für die durchgeführte Betriebsprüfung darstellten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat mit Recht eine Betriebsprüfung bei dem Steuerpflichtigen als VOL-(GDL-)Landwirt für zulässig gehalten und die Rechtsgrundlage dafür schon in der Bestimmung des § 193 Abs. 1 AO gesehen. Nach dieser Bestimmung kann das FA für Zwecke der Besteuerung u. a. bei Unternehmern, die einer Steuer unterliegen, oder bei denen nach dem Ermessen des FA eine Steuerpflicht in Betracht kommt, auch außerhalb eines Steuerermittlungsverfahrens Nachschau halten. Dem FA wird damit das Recht eingeräumt, innerhalb des Steueraufsichtsverfahrens, also ohne Rücksicht darauf, ob das FA bereits in das Verfahren zur Ermittlung eines bestimmten Steueranspruchs eingetreten ist, bei steuerpflichtigen Unternehmern der genannten Art nachzuschauen, ob "alles in Ordnung" ist. Wie bereits der RFH im Urteil V A 430/22 vom 26. September 1922 (RFH 10, 209) erkannte, sind die Befugnisse des FA im Rahmen der Steueraufsicht unabhängig von einzelnen Steuerfeststellungs- und Ermittlungsverfahren und vom Steuerzeitraum. Gegenstand und sachliche Grenzen einer Nachschau im Betriebe bestimmen sich dabei aus ihrem Zweck je nach dem Inhalt des in Betracht kommenden Steuergesetzes (vgl. RFH-Gutachten Gr. S. D 2/31 vom 9. Juli 1932, RStBl 1932, 700). Eine solche Nachschau wird allerdings im allgemeinen im Betrieb von den vorgefundenen Aufzeichnungen und Belegen ausgehen und mehr oder weniger in eine Prüfung der Bücher, sofern solche geführt werden, einmünden, so daß dann auch die Befugnis des FA zur Buchprüfung (§ 162 Abs. 10 AO) als Rechtsgrundlage für das Vorgehen des FA in Betracht kommen kann. Gleichwohl besteht aber die Ermächtigung des FA zur Nachschau nach § 193 Abs. 1 AO selbständig neben den übrigen Befugnissen des FA (vgl. dazu Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 5. Aufl., § 193 AO Anm. 1).

Die Nachschau gibt dem FA im Rahmen der besonderen Steueraufsicht das Recht nachzuprüfen, ob die durch Gesetze auferlegten Pflichten erfüllt werden. Ihr Wesen besteht darin, daß Betriebe und Unternehmen, in denen gewisse wirtschaftliche Vorgänge zur Entstehung einer Steuerschuld führen können, zur Sicherung des Steueraufkommens einer Überwachung unterstellt werden (RFH-Urteil V A 430/22, a. a. O.). Das Recht zur Nachschau besteht auch gegenüber einem VOL-(GDL-)Landwirt. Denn auch er ist ein Unternehmer, bei dem nach dem Ermessen des FA eine Steuerpflicht in Betracht kommt. Dabei bedeutet es, wie das FG zutreffend ausführt, keine Überschreitung des Ermessens, wenn mit der Nachschau bezweckt werden soll, festzustellen, ob ein VOL-(GDL-)Landwirt noch die Voraussetzungen der VOL (GDL) erfüllt. Das FG sieht mit Recht in dem hier streitigen Vorgehen des FA, das zur Klärung einer selten auftretenden Grenzsituation für alle Beteiligten zweckmäßig ist, einen Ausnahmefall im Sinne des § 2 Abs. 1 BpO(St), so daß auch aus dieser Bestimmung keine Einwände gegen die Nachschau bei dem Steuerpflichtigen hergeleitet werden können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413266

BStBl II 1972, 778

BFHE 1972, 259

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