Leitsatz (amtlich)

Ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang ist nicht gegeben, wenn für den Abschluß eines besonderen Bearbeitungsvertrages wirtschaftlich beachtliche Gründe vorliegen und der Liefergegenstand im Zeitpunkt der Bearbeitung durch den Großhändler noch nicht genügend konkretisiert war, so daß zu dieser Zeit die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht noch nicht auf den Großhändler übergegangen war.

 

Normenkette

UStG § 4 Ziff. 4; UStDB 1951 §§ 2, 12, 29 Abs. 1, 2 Ziff. 9 Buchst. b, Abs. 2 Ziff. 13 Buchst. d

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Steuerpflichtige für die Entgelte aus Großhandelslieferungen mit Eisenschrott, den sie zuvor auf Grund eines besonderen Vertrages mit der Deutschen Bundesbahn (DB) durch Zerlegung unbrauchbar gewordener Lokomotiven gewonnen und sodann käuflich erworben hatte, Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 4 UStG in Anspruch nehmen kann.

Nach den Feststellungen der Vorinstanz liegt dem Rechtsstreit folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Zerlegung der Lokomotiven und der spätere Erwerb eines Teiles des daraus gewonnenen Schrotts sind auf der Grundlage eines zwischen der Steuerpflichtigen und der DB im März 1952 geschlossenen Vertrages vor sich gegangen. Nach diesem Vertrage beauftragt die DB die Steuerpflichtige mit der Zerlegung ausgemusterter Lokomotiven und Tender. Die Lokomotiven werden von der DB "frachtfrei Zerlegungsbetrieb" der Steuerpflichtigen zugeführt, nachdem sie zuvor bahnamtlich gewogen worden waren. Als Vergütung für die Zerlegung bezahlt die DB für jede Tonne Eingangsgewicht -- DM.

Nach Durchführung der Zerlegung werden von dem Gesamtgewicht der zerlegten Lokomotive etwa 40 % Rücklieferungsteile (NE-Metalle, Ersatzstücke und Werkstoffe) von der DB nach näherer Weisung des zuständigen Überwachungsbeamten zurückverlangt. Unter die Ersatzstücke und Werkstoffe fallen unter anderem sämtliche wieder verwendbaren Teile der Brems-, Zug- und Stoßvorrichtungen und alle Armaturen, auch ganze Radsätze oder nur die Achswellen in ganzer Länge, Lokbekleidungs- und Tenderbleche, Kolbenstangen, Rauch- und Siederohre und dergleichen.

Hinsichtlich des übrigen gewonnenen Schrotts behält sich die DB vor, den Schrott (rund 60 % des Eingangsgewichtes) der Zerlegefirma je zur Hälfte zu den Preisen der Sorten 0 und 1a zum jeweils amtlich festgesetzten Zubringerpreise zu überlassen, wobei jedoch die DB in Übereinstimmung mit der Schrottauftragsstelle bestimmt, an welche Verbraucherstellen dieser Schrott -- ofenfertig geschnitten -- weiter zu liefern sein wird.

Der Verkauf geschah in der Weise, daß die DB jeweils nach besonderen Vertragsverhandlungen ein besonderes Verkaufsschreiben an die Steuerpflichtige richtete. Durch dieses Schreiben wurde einmal der Verkaufsvertrag über die jeweilige Schrottmenge (Annahme eines vorherigen entsprechenden Angebotes der Steuerpflichtigen) abgeschlossen, zum anderen aber auch das Eigentum am Schrott auf die Steuerpflichtige nach § 929 Satz 2 BGB übertragen.

Das Finanzamt hat auf Grund einer Betriebsprüfung in einer Berichtigungsveranlagung die Steuerfreiheit der Schrottlieferungen versagt, weil es die Zerlegung der Lokomotiven und den Erwerb des Schrotts wirtschaftlich als einheitlichen Vorgang gewertet hat, so daß der Steuerpflichtigen die steuerlich schädliche Zerlegung zuzurechnen sei.

Nach erfolglosem Einspruch hatte die Steuerpflichtige im Berufungsverfahren Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die gegen die Zubilligung der Steuerfreiheit gerichtete Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung die Aufspaltung eines einheitlichen wirtschaftlichen Vorganges, zum Beispiel in eine Lieferung und in eine Werkleistung, ungeachtet der bürgerlich-rechtlichen Gestaltung abgelehnt. Er hat diese Auffassung zuletzt in dem Grundsatzurteil V 87/60 S vom 13. Dezember 1962 (BStBl 1963 III S. 72) vertreten. Der Senat hat aber die bürgerlich-rechtliche Gestaltung nicht völlig beiseite geschoben, sondern hat ihre wirtschaftliche Bedeutung zu erfassen gesucht (vgl. insbesondere das Urteil des Bundesfinanzhofs V 5/58 U vom 17. Oktober 1958, BStBl 1958 III S. 475, Slg. Bd. 67 S. 529).

Das Finanzamt hat sich für seine Auffassung unter anderem auf Urteile des Reichsfinanzhofs berufen, die jedoch tatbestandlich in wesentlichen Punkten anders liegen und deshalb auch eine andere rechtliche Beurteilung erforderten. So hat im Urteilsfalle V 667/37 vom 24. August 1938 (RStBl 1938 S. 917, Slg. Bd. 44 S. 331) der Steuerpflichtige zweifelsfrei die Gesamt partien Metallstücke bzw. Stoffabfälle erworben und die erworbenen Gegenstände in seinem Interesse zum Zwecke der Preisberechnung sortiert; die schädlichen Bearbeitungsmaßnahmen waren ihm deshalb zuzurechnen. Auch im Urteilsfalle V 336/39 vom 25. Oktober 1940 (RStBl 1941 S. 94, Slg. Bd. 49 S. 232), der das Nachsortieren von Kartoffeln betraf, hatte der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der tatsächlichen Anlieferung die Verfügungsmacht über die Waren erlangt, und zwar einschließlich der fehlerhaften Kartoffeln, die er nach seinem Ermessen beanstanden und zurückgeben konnte. Schließlich lag auch im Urteilsfalle V 96/42 vom 9. Oktober 1942 (RStBl 1942 S. 1055) sicherlich ein einheitlicher Werklieferungsvertrag vor, dessen wirtschaftliches Ergebnis die Erstellung einer fertigen Bahnstrecke sein sollte.

Die Entscheidung des Streitfalles hängt entscheidend davon ab, ob die Steuerpflichtige den Schrott bereits vor der durch sie vorgenommenen Bearbeitung erworben, umsatzsteuerlich betrachtet: "geliefert" erhalten hatte. Hierauf stellt zutreffend auch die Vorinstanz ab. Die Frage, ob die -- für sich betrachtet -- sicherlich steuerlich schädliche Bearbeitung der Zerlegung von Lokomotiven in ofenfertigen Schrott zwischen dem Erwerb und der Weiterlieferung vorgenommen worden ist, ist im wesentlichen eine Frage der tatsächlichen Beurteilung. Wenn sich die Vorinstanz vor allem auf Ziff. 7 des Vertrages beruft, nach der sich die DB ausdrücklich vorbehält, den gewonnenen Schrott der Zerlegefirma zu überlassen, sowie auf eine zur Beweiserhebung eingeholte Auskunft der DB vom ......, nach der das jeweilige Verkaufsschreiben nach der Zerlegung der Lokomotiven keine bloße Formalität gewesen sei, so ist dies nicht zu beanstanden. Die DB hat in ihrer Auskuft auch wirtschaftlich beachtliche Gründe dafür vorgebracht, daß sie bis zum Abschluß der Zerlegung Eigentümerin des Schrotts bleiben wollte; sie konnte zur Zeit des Abschlusses des Zerlegungsvertrages die Entwicklung der Schrottpreise nicht übersehen, auch wollte sie in der Lage bleiben, die Weiterlieferung an mit ihr zusammenarbeitende Schrottverbrauchswerke zu steuern. Dies konnte sie aber nur, wenn sie auch über den Schrott weiterhin die rechtliche und durch ihren Überwachungsbeamten auch die tatsächliche Verfügungsmacht, das heißt die volle Sachherrschaft, behielt. Es erscheint deshalb nicht gerechtfertigt, die Ziff. 7 des Vertrages als belanglose Preisabrede zu werten, wie dies die Rb. tut. Das Finanzgericht konnte davon ausgehen, daß sich der bürgerlich-rechtliche Eigentumsübergang auf Grund des Verkaufsschreibens (§ 929 Satz 2 BGB) im Streitfalle mit dem Übergange der umsatzsteuerrechtlichen Verfügungsmacht deckte. Jedenfalls lassen sich die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz durch die von der Rb. angestellten rechtlichen Überlegungen nicht widerlegen.

Hinzu kommt folgendes: Die DB war im Laufe der Zerlegung durch ihren Überwachungsbeamten noch in der Lage, sehr wesentliche Teile des anfallenden Schrotts nach ihrem Ermessen für sich zu beanspruchen. So konnte sie zum Beispiel bestimmen, ob sie ganze Radsätze oder nur die Achswellen und ob sie zum Beispiel die Kesselbleche übernehmen wollte oder nicht. Unter diesen besonderen Umständen des Streitfalles liegt aber die Erwägung nahe, daß es für die Annahme eines wirtschaftlichen Erwerbes, der abweichend vom bürgerlichrechtlichen Eigentumsübergang in einem früheren Zeitpunkt stattgefunden haben müßte, an einer hinreichenden Bestimmung (Konkretisierung) des Liefergegenstandes fehlt, worauf der Senat unter anderem in seinem Urteil V 212/55 U vom 21. August 1958 (BStBl 1958 III S. 434, Slg. Bd. 67 S. 423) abgestellt hat.

Die gleichen Überlegungen lassen auch bei Annahme einer Gehaltslieferung nach § 6 UStDB 1951 nicht, wie die Rb. meint, ein anderes Ergebnis zu. § 6 UStDB setzt eine echte Lieferung, das heißt Übertragung der uneingeschränkten Verfügungsmacht über den Gehalt des Liefergegenstandes und die Rückgabe von vornherein bestimmter Bestandteile, an denen der Abnehmer kein wirtschaftliches Interesse hat, voraus. Im Streitfalle ist auch die wirtschaftliche Interessenlage eine andere.

Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410747

BStBl III 1963, 198

BFHE 1963, 544

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