Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Änderungsbescheid, der unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ergangen ist, gemäß § 68 FGO in den Prozeß wegen des ursprünglichen (unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen) Bescheides eingeführt, so unterliegt die Umstellung des (ursprünglichen) Klageantrages keinen Beschränkungen. Eine spätere Erweiterung des umgestellten Klageantrages ist zulässig.

2. Eine am Bilanzstichtag 31.Juli noch offene Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubsvergütungen ist (jedenfalls) insoweit nicht als Betriebsschuld abzuziehen, als sie anteilig auf die Zeit vom 1.August bis zum 31.Dezember entfällt.

3. Die Kosten des Jahresabschlusses, des Geschäftsberichts und der Abschlußprüfung sind nicht als Schulden (Rückstellung) abziehbar (Anschluß an die Urteile vom 22.Mai 1964 III 49/60 U, BFHE 79, 463, BStBl III 1964, 402, und vom 25.November 1983 III R 25/82, BFHE 139, 422, BStBl II 1984, 51).

 

Orientierungssatz

1. Das im Falle des Urlaubs eines Arbeitnehmers weiterzuzahlende Entgelt ist eine Vergütung i.S. des § 611 Abs. 1 BGB bzw. Arbeitseinkommen i.S. des § 850 ZPO (BAG, BGH). Auch das Urlaubsgeld, das über das Urlaubsentgelt hinaus gezahlt wird, ist Arbeitslohn (vgl. BAG), auch wenn das Urlaubsgeld gemäß § 850a Nr. 2 ZPO unpfändbar ist.

2. Der Grundsatz, daß beiderseits nicht erfüllte schwebende Geschäfte bei der Einheitsbewertung nicht berücksichtigt werden, berücksichtigt letztlich, daß rechtliche Verpflichtungen nur dann abgezogen werden dürfen, wenn sie am Stichtag eine ernsthafte wirtschaftliche Last darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 11.4.1975 III R 93/72).

 

Normenkette

FGO § 68; ZPO § 264 Nr. 2; BewG 1965 § 103 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1; ZPO §§ 850, 850a Nr. 2; AO 1977 § 164

 

Tatbestand

Die Klägerin (eine AG) hat ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr, das am 31.Juli endet. Für die Feststellung des Einheitswertes ihres Betriebsvermögens ist auf ihren Antrag dieser vom Ende des Kalenderjahres abweichende Abschlußzeitpunkt maßgebend (§ 106 Abs.3 Satz 1 des Bewertungsgesetzes --BewG--).

Im Rahmen der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den 1.Januar 1974 hat die Klägerin u.a. beantragt, den Abzug ihrer Verpflichtungen zur Gewährung bezahlten Urlaubs an ihre Arbeitnehmer nicht nur, wie in der Steuerbilanz auf den 31.Juli 1973, auf 7/12 des voraussichtlichen Jahresaufwandes, dieser gekürzt um den Wert des bis zum Bilanzstichtag bereits genommenen Urlaubs, zu begrenzen, sondern den vollen Abzug zuzulassen.

Nach insoweit erfolglosem Einspruch gegen den (gemäß § 100 Abs.2 der Reichsabgabenordnung alter Fassung --AO a.F.--) vorläufigen Steuerbescheid vom 20.Dezember 1976, der aus anderen Gründen in der weiterhin unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einspruchsentscheidung vom 24.März 1978 zur Herabsetzung des Einheitswertes des Betriebsvermögens führte, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.April 1978 Klage erhoben und in der Klageschrift beantragt, den zusätzlichen Abzug wegen der Verpflichtung zur Gewährung bezahlten Urlaubs an die Arbeitnehmer zuzulassen.

Als ein unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ergangener Änderungsbescheid vom 20.Juni 1980 über einen Einheitswert auf Antrag der Klägerin vom 10.September 1980 Gegenstand des Verfahrens wurde, hat diese durch Schriftsatz vom 12.November 1980 beantragt, weitere Abzüge wegen Garantieverpflichtungen und wegen Abschluß- und Prüfungskosten zuzulassen.

Während des Klageverfahrens hat das Finanzamt (FA) einen weiteren auf § 175 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid vom 9.Juni 1982 erlassen, durch den es wegen der Herabsetzung des Einheitswertes eines Grundstückes den Einheitswert des Betriebsvermögens herabsetzte. Dieser Bescheid ist auf Antrag der Klägerin vom 22.Juni 1982 ebenfalls Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Durch Schriftsatz vom 1.Oktober 1982 hat die Klägerin zusätzlich den Abzug weiterer Jahresabschlußkosten und der Kosten für die Erstellung des Geschäftsberichts geltend gemacht.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage nur zum Teil stattgegeben. Zum Abzug zugelassen hat es .... DM wegen der Urlaubsansprüche und .... DM wegen der Kosten des Jahresabschlusses und der Prüfung. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Seine Revision ist in vollem Umfang begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage als unbegründet.

1. Der erkennende Senat folgt dem FG darin, daß die Änderungen (Erweiterungen) des ursprünglich gestellten Klageantrags zulässig waren.

Hinsichtlich des mit Schriftsatz vom 12.November 1980 geänderten Klageantrags folgt dies daraus, daß die Klägerin durch Schriftsatz vom 10.September 1980 den unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ergangenen Änderungsbescheid vom 20.Juni 1980 in den Prozeß einführte. Rechtshängig (vgl. § 66 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) war nunmehr eine Anfechtungsklage gegen diesen Änderungsbescheid. Der bisherige Klageantrag bedurfte der Umstellung auf den Änderungsbescheid, um die Grenzen der begehrten Entscheidung des FG festzulegen (vgl. § 96 Abs.1 Satz 2 FGO).

Durch den in der Klageschrift bereits schriftlich gestellten ursprünglichen Klageantrag war die Klägerin nicht gebunden. Dies galt auch dann, wenn man der umstrittenen Auffassung des VII.Senats in seinem Urteil vom 26.Januar 1982 VII R 85/77 (BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358) folgen und annehmen wollte, daß die Klägerin ihren ursprünglichen (begrenzten) Klageantrag nach Ablauf der Klagefrist nicht mehr hätte erweitern dürfen, wenn keine Änderungsbescheide ergangen wären (vgl. hierzu das Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 23.September 1957 III ZR 224/56, BGHZ 25, 225, 227; das Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29.November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187, sowie die Urteile des Hessischen FG vom 20.Oktober 1982 X 408/80, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1983, 245; des FG München vom 5.Oktober 1983 IX 365/81 G, EFG 1984, 242; des FG Berlin vom 6.Juni 1984 VI 446/82, EFG 1985, 28; des FG Baden-Württemberg vom 31.Oktober 1984 II (III) K 231/82, Deutsche Steuer-Zeitung E 1985, 45, und des FG des Saarlandes vom 6.Februar 1985 I 132/84, EFG 1985, 356 einerseits, sowie die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 23.März 1972 III C 132.70, BVerwGE 40, 25; vom 26.April 1974 VII C 30.72, BStBl II 1975, 317 andererseits). Denn durch die Einführung des Änderungsbescheids vom 20.Juni 1980 in den Prozeß war eine neue Prozeßlage entstanden, die die Klägerin berechtigte, ihren neuen Klageantrag ohne Rücksicht auf den bisherigen Antrag zu stellen.

Durch die Einbeziehung eines Änderungsbescheides in einen anhängigen Prozeß nach § 68 FGO soll lediglich die Anfechtung des Änderungsbescheides (durch einen Verzicht auf ein außergerichtliches Vorverfahren) erleichtert werden. Nicht aber sollen dadurch die Anfechtungsmöglichkeiten hinsichtlich dieses Änderungsbescheides begrenzt werden. Dies bedeutet, daß ein in den Prozeß eingeführter Änderungsbescheid auch nach der Einführung insoweit angegriffen werden darf, wie dies ohne den Antrag nach § 68 FGO außerhalb des anhängigen Prozesses möglich gewesen wäre. Für einen Änderungsbescheid, der u.a. den Nachprüfungsvorbehalt aufhob, folgt daraus, daß er in vollem Umfang angefochten werden durfte, und zwar auch dann, wenn in dem anhängigen Prozeß gegen den Vorbehaltsbescheid eine Klageerweiterung nicht mehr möglich gewesen sein sollte (vgl. § 164 Abs.3 Satz 2 AO 1977).

Die Möglichkeit, die Klage nochmals zu erweitern, wurde durch den (neuen) Klageantrag vom 10.September 1980 nicht ausgeschlossen (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 264 Nr.2 der Zivilprozeßordnung --ZPO--). Dies gilt auch dann, wenn man der umstrittenen Auffassung des VII.Senats (BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358) folgt. Denn seine Entscheidung stützt sich entscheidend auf das Bestehen einer Klagefrist für die Anfechtungsklage. Eine solche Frist aber besteht für den Antrag nach § 68 FGO nicht (vgl. den Beschluß des Großen Senats vom 8.November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219).

Zulässig war danach auch die Klageerweiterung durch den Schriftsatz vom 1.Oktober 1982, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Änderungsbescheid vom 9.Juni 1982 isoliert hätte angefochten werden dürfen.

Einer Anrufung des Großen Senats bedarf es unter diesen Umständen nicht. Der erkennende Senat entscheidet über einen nicht vergleichbaren Fall.

2. Die Klage ist auch insoweit unbegründet, als das FG ihr stattgegeben hat.

a) Der von der Klägerin begehrte zusätzliche Abzug eines Mehrbetrages wegen der Verbindlichkeiten auf Grund der Urlaubsansprüche ihrer Arbeitnehmer ist nicht gerechtfertigt. Zwar entsteht der Anspruch auf bezahlten Urlaub, soweit die Wartezeit erfüllt ist, mit Beginn des mit dem Kalenderjahr übereinstimmenden Urlaubsjahres (Bundesarbeitsgericht --BAG-- in Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts - Arbeitsrechtliche Praxis - Nr.1 zu § 4 des Bundesurlaubsgesetzes und Nr.2 zu § 59 der Konkursordnung --KO--), ggf. unter der auflösenden Bedingung des § 5 Abs.1 Buchst.c des Bundesurlaubsgesetzes bzw. eines abweichenden Tarifvertrages. Hieraus folgt aber nicht, daß die am jeweiligen Bilanzstichtag noch offenen Verpflichtungen auf Gewährung bezahlten Urlaubs in voller Höhe als Schuld i.S. des § 103 BewG abzuziehen sind.

Zu berücksichtigen ist, daß der Urlaubsanspruch zwar nach herrschender Auffassung aus der allgemeinen Fürsorgepflicht abgeleitet wird, daß er aber in das Arbeitsverhältnis eingebunden ist. Das zeigen schon die Bestimmungen über den Teilurlaub und die eventuelle Rückzahlung eines Urlaubsentgeltes (vgl. § 5 des Bundesurlaubsgesetzes sowie etwa abweichende Tarifverträge). Auch wenn grundsätzlich von einer Einheit des Anspruchs auf Urlaub und des Anspruchs auf Weiterzahlung des Entgeltes auszugehen ist, so ist doch das weiterzuzahlende Entgelt Vergütung i.S. des § 611 Abs.1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bzw. Arbeitseinkommen i.S. des § 850 ZPO (vgl. BAG in Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1966, 222, BGHZ 59, 109, 154). Auch das Urlaubsgeld, das über das Urlaubsentgelt hinaus gezahlt wird, ist Arbeitslohn (vgl. BAG in Betriebs-Berater --BB-- 1967, 629), auch wenn das Urlaubsgeld gemäß § 850a Nr.2 ZPO unpfändbar ist.

Aus dem Arbeitslohncharakter des Urlaubsentgeltes und des Urlaubsgeldes folgt, daß diese Vergütungen im Zusammenhang gesehen werden müssen mit den Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer "verdient" diese Urlaubsvergütungen dadurch, daß er seine Dienstleistungspflicht erfüllt. Zu Beginn des Kalenderjahres sind die beiderseitigen Leistungsverpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis ausgeglichen. Wegen dieser Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung kommt ein Abzug der Verpflichtung zur Zahlung eines Urlaubsentgeltes (und eines Urlaubsgeldes) nicht in Betracht. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz, daß beiderseits nichterfüllte schwebende Geschäfte bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nicht berücksichtigt werden. Dieser Grundsatz berücksichtigt letztlich, daß rechtliche Verpflichtungen nur dann abgezogen werden dürfen, wenn sie am Stichtag eine ernsthafte wirtschaftliche Last darstellen (vgl. das BFH-Urteil vom 11.April 1975 III R 93/72, BFHE 116, 43, 48, BStBl II 1975, 657). Dies ist insoweit nicht der Fall, als die Arbeitsleistungen, durch die der Arbeitnehmer seine Urlaubsansprüche verdient, noch ausstehen.

Die Urlaubsansprüche werden erfahrungsgemäß während des Urlaubsjahres, soweit keine Werksferien eingeführt sind, zu verschiedenen Zeitpunkten geltend gemacht. Der IV.Senat hat hieraus Folgerungen nur insoweit gezogen, als am Bilanzstichtag noch Urlaubsansprüche offen sind (vgl. sein Urteil vom 26.Juni 1980 IV R 35/74, BFHE 130, 533, BStBl II 1980, 506). Insoweit hat er eine Rückstellung zugelassen, als die Urlaubsverpflichtungen bereits "verdient" waren. Er hat aber erkennbar keine Schlußfolgerung insoweit gezogen, als die Urlaubsvergütungen am Stichtag bereits gezahlt waren, sie aber teilweise noch während des restlichen Kalenderjahres "verdient" werden mußten. Der erkennende Senat braucht dieser Frage und der weiteren Frage nicht nachzugehen, ob die Arbeitsverhältnisse nicht als einheitlich schwebende Verträge anzusehen sind, die sich insgesamt stets im Gleichgewicht befinden, so daß nur bei drohenden Verlusten eine Rückstellung in Betracht käme (vgl. hierzu auch Mathiak in Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1981, 77, 79 unter 3.). Denn dem Senat wäre eine Verböserung verwehrt. Dem IV.Senat ist aber für das Bewertungsrecht jedenfalls insoweit zu folgen, als die noch mit dem Urlaub zusammenhängenden finanziellen Verpflichtungen bei einem abweichenden Wirtschaftsjahr allenfalls anteilig (entsprechend dem bereits abgelaufenen Teil des Urlaubsjahres) als Verpflichtungen abgezogen werden dürfen.

Ob und inwieweit eine Anpassung der zum Weihnachtsgeld im BFH-Urteil vom 16.Juni 1972 III R 94/71 (BFHE 106, 460, BStBl II 1972, 821) vertretenen Auffassung an die nunmehr getroffene Entscheidung erforderlich ist, kann hier nicht erörtert werden.

b) Als Schulden abzuziehen sind auch nicht die Kosten des Jahresabschlusses, des Geschäftsberichts und der Abschlußprüfung. Der erkennende Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des III.Senates (vgl. die Urteile vom 22.Mai 1964 III 49/60 U, BFHE 79, 463, BStBl III 1964, 402, und vom 25.November 1983 III R 25/82, BFHE 139, 422, BStBl II 1984, 51). Auch das zum Bilanzsteuerrecht ergangene Urteil vom 20.März 1980 IV R 89/79 (BFHE 130, 165, BStBl II 1980, 297) gibt keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung, wie der III.Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 139, 422, BStBl II 1984, 51 zu den Abschlußkosten entschieden hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61216

BStBl II 1986, 664

BFHE 146, 564

BFHE 1986, 564

BB 1986, 1559-1560 (ST)

DB 1986, 2315-2316 (ST)

DStR 1987, 46-46 (ST)

HFR 1986, 637-638 (ST)

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