Leitsatz (amtlich)

Wiederkehrende, als Entgelt für die Hingabe eines Vermögensgegenstandes zu erbringende Zahlungen, die der Erwerber in jeweils gleichbleibender Höhe bis zum Tode des Veräußerers, mindestens aber für eine Laufzeit zu gewähren hat, die erheblich über der druchschnittlichen Lebenserwartung des Veräußerers liegt, sind steuerrechtlich regelmäßig als Kaufpreisraten zu behandeln.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 1; EStDV § 55 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1965 der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) - Eheleute -, ob in dem in monatlichen Raten zu zahlenden Kaufpreis für ein Grundstück als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzugsfähige Zinsen enthalten sind oder ob die laufenden Zahlungen auf einer Zeitrenten- bzw. Leibrentenverpflichtung beruhen.

Der Kläger hatte mit notariellem Kaufvertrag vom 4. November 1965 ein unbebautes Grundstück erworben, um darauf Mietwohnungen zu errichten. Nach § 2 des Kaufvertrages hat er der im Zeitpunkt des Verkaufes 63 Jahre alten Verkäuferin vom 1. November 1965 an jeweils monatlich im voraus und auf Lebenszeit, jedoch mindestens bis zum 1. Oktober 1990, einen Geldbetrag von 460 DM zu zahlen. Nach § 4 des Vertrages sollte dieser der Versorgung der Verkäuferin dienen. Zu diesem Zweck war eine Wertsicherungsklausel vereinbart worden. Der Verkehrswert des Grundstücks betrug ca. 75 000 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte den von den Klägern beantragten Abzug eines nach § 55 Abs. 2 EStDV berechneten Ertragsanteils (294,40 DM) als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung mit dem Hinweis ab, daß ein solcher Abzug erst möglich sei, wenn die Summe der laufenden Zahlungen den Wert des erworbenen Grundstücks übersteige.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage, mit der die Kläger nunmehr den Abzug eines in den laufenden Zahlungen enthaltenen, nach der Rentenformel ermittelten Zinsanteils (730 DM) begehrten, gab das FG statt. Es führte in seiner - in den EFG 1971, 69, veröffentlichten - Entscheidung im wesentlichen aus: Die laufenden Zahlungen seien nach den für Kaufpreisraten geltenden Grundsätzen zu beurteilen. Das Risiko des Klägers, über den 1. Oktober 1990 hinaus Zahlungen entrichten zu müssen, sei unbedeutend, weil die Verkäuferin bei Vertragsschluß nach der allgemeinen Sterbetafel für die Bundesrepublik Deutschland 1949/51 nur noch eine mittlere Lebenserwartung von 15 Jahren gehabt habe. Die Behandlung der laufenden Zahlungen als wiederkehrende Bezüge lehnte es mit dem Hinweis auf das Urteil des BFH vom 24. April 1970 VI R 212/69 (BFHE 99, 38, BStBl II 1970, 541) ab.

Mit seiner - vom FG zugelassenen - Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung der betrieblichen Veräußerungsrenten mangelnde Sachaufklärung (weil das FG es unterlassen habe, die Rentenempfängerin als Zeugin zur Frage der Versorgungsabsichten zu vernehmen) und Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 22 Nr. 1 EStG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die im Veranlagungszeitraum 1965 erbrachten laufenden Zahlungen sind in Höhe des in ihnen enthaltenen Zinsanteils entweder als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) abzugsfähig.

Bei den Zahlungen handelt es sich um Kaufpreisraten. Ob der vom FG bejahte Zusammenhang der Zinszahlungen mit späteren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung vorliegt, konnte der Senat dem vom FG mitgeteilten Sachverhalt nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen.

1. Die Zahlungen sind nicht nach den für Leistungen aus einem Leibrentenversprechen geltenden Grundsätzen zu beurteilen.

a) Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 in Verbindung mit dem nach § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG ermittelten Ertragsanteil (Zinsfuß 4 v. H. bei gleichmäßiger Verteilung auf die Laufzeit der Rente) als Werbungskosten oder Sonderausgaben abzugsfähige Leibrenten liegen nur vor, wenn die Laufzeit der Rente von der Lebensdauer abhängt. Als Leibrenten sieht das Gesetz zwar auch Renten an, die nicht nur mit dem Tode, sondern schon vorher, zu Lebzeiten der maßgebenden Person, mit Ablauf einer bestimmten Höchstzeit erlöschen. Aber auch der Ertragsanteil dieser sogenannten abgekürzten Leibrenten (§ 55 Abs. 2 EStDV) errechnet sich unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Lebenserwartung dieser Person. Demgegenüber enthält das Gesetz keine Regelung für die Behandlung von Renten, die erst nach einer Mindestzeit mit dem Tode der Person erlöschen, auf deren Leben sie abgestellt sind (sog. Mindestzeitrenten). Wie solche Renten nach geltendem Recht zu beurteilen sind, hat die Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bisher noch nicht entschieden (zur früheren Rechtslage vgl. z. B. BFH-Urteil vom 15. Februar 1957 VI 150/55 U, BFHE 64, 356, BStBl III 1957, 134). Die Stellungnahmen im Schrifttum sind nicht einheitlich, wie insbesondere die unterschiedlichen Begründungen und Lösungsvorschläge bei Blümich-Falk (Einkommensteuergesetz, 10. Aufl. 1972, § 22 Anm. 3e), Herrmann-Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., § 22 Anm. 55-56), Littmann (Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl. 1974, §§ 22, 23 Tz. 21) und Jansen-Wrede (Renten, Raten, Dauernde Lasten, 5. Aufl. 1974 S. 169) zeigen. Der erkennende Senat ist der Ansicht, daß eine einheitliche rechtliche Behandlung aller üblicherweise unter den Begriff der "Mindestzeitrenten" zusammengefaßten Fallgruppen nicht möglich ist. Da das Einkommensteuergesetz keine eindeutige Regelung enthält - und deshalb einer den Besonderheiten der Vertragsgestaltung im Einzelfall gerecht werdenden Auslegung zugänglich ist (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 30. Januar 1974 IV R 80/70, BFHE 111, 477, BStBl II 1974, 452) - hängt die einkommensteuerrechtliche Beurteilung davon ab, ob die vertraglich vereinbarten laufenden monatlichen Zahlungen mehr von den begrifflichen Merkmalen einer Leibrente oder mehr von denjenigen einer Zeitrente oder Rate geprägt werden. Je nachdem, zu welchem Ergebnis die Beurteilung der jeweiligen vertraglichen Regelung führt, sind die Zahlungen entweder mit dem Ertragsanteil nach den aus den Tabellen des § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG oder des § 55 Abs. 2 EStDV oder nach den für Zeitrenten geltenden Grundsätzen oder aber mit dem Zinsanteil zu versteuern, der sich bei Abzinsung der monatlichen Zahlungen ergibt, wenn diese als Ratenzahlungen anzusehen sind.

b) Die Ermittlung des Ertragsanteils der laufenden Zahlungen unter Berücksichtigung der in § 22 Nr. 1a EStG und § 55 Abs. 2 EStDV wiedergegebenen Tabellen entspricht dann den Wertungen des Gesetzgebers, wenn die Laufzeit der Rente von der voraussichtlichen - durchschnittlichen, nicht tatsächlichen - Lebenserwartung der Person abhängig ist, an deren Tod das Erlöschen der Zahlungsverpflichtung geknüpft ist. Das ist bei Mindestzeitrenten z. B. dann der Fall, wenn die vereinbarte Mindestlaufzeit kürzer ist als die Lebenserwartung. In einem solchen Fall hat die voraussichtlich kürzere Laufzeit - wie auch die Regelung der sogenannten Verbindungsrenten in § 55 Abs. 1 Nr. 3 EStDV und der abgekürzten Leibrenten in § 55 Abs. 2 EStDV zeigt - keinen bestimmenden Einfluß auf die Qualifikation der Rente. Ist aber die Mindestlaufzeit - wie im Streitfall - erheblich länger (um zehn Jahre), so tritt die voraussichtliche Laufzeit der Renten nach der Lebenserwartung - als dem nach dem Gesetz maßgeblichen Abgrenzungsmerkmal zwischen Leib- und Zeitrente - hinter die festbestimmte Mindestlaufzeit zurück. Die steuerrechtliche Beurteilung der laufenden Zahlungen bestimmt sich in diesem Fall nach den für Zeitrenten oder Ratenzahlungen geltenden Grundsätzen. Sie wird wesentlich von der Verpflichtung des Schuldners geprägt, die Zahlungen an die Erben des Berechtigten weiterzuleisten.

2. Nach Ansicht des Senats liegt auch keine Zeitrente vor. Zu der Frage, ob die laufenden Zahlungen in vollem Umfang oder - wie vom FA angenommen - erst nach ihrer Verrechnung mit dem erworbenen Gegenwert (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 28. Juni 1963 VI 321/61 U, BFHE 77, 287, BStBl III 1963, 424; vom 27. Mai 1964 I 379/61 U, BFHE 80, 1, BStBl III 1964, 475, und vom 16. September 1965 IV 67/61 S, BFHE 83, 568, BStBl III 1965, 706) als Werbungskosten oder Sonderausgaben abgezogen werden können, braucht der Senat deshalb nicht Stellung zu nehmen.

a) Gegen Entgelt gewährte laufende Zahlungen sind - wie der VI. Senat in seinem Urteil VI R 212/69 ausgeführt hat - regelmäßig als ratenweise erbrachte Kaufpreisleistungen aufzufassen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht für den Fall an, daß sich Leistung und Gegenleistung nach der Vorstellung der Vertragsparteien gleichwertig gegenüberstehen. Denn in diesem Fall sind die Zahlungen beim Veräußerer und beim Erwerber bloße Vermögensumschichtungen in der privaten Sphäre, die bei sofortiger Zahlung oder kurzfristiger unentgeltlicher Stundung weder zu einer Steuerpflicht beim Veräußerer noch zu einem Abzug als Werbungskosten oder Sonderausgaben beim Erwerber führen. Erst bei längerfristiger Stundung und bei Rentenoder Ratenzahlung enthalten die abgeflossenen Beträge neben der auf den Kaufpreis zu verrechnenden Tilgungsleistung auch einen Zinsanteil (vgl. dazu näher BFH-Urteil vom 20. August 1970 IV 143/64, BFHE 100, 97, BStBl II 1970, 807). Treten zu der zeitlich gestreckten Umschichtung keine zusätzlichen Umstände - wie z. B. Bemessung der Gegenleistung nach ins Gewicht fallenden Wagnisgesichtspunkten - hinzu, so ist nicht von Renten-, sondern von Ratenzahlungen auszugehen. Liegen Ratenzahlungen vor, so ist der in ihnen enthaltene Zinsanteil nach § 12 Abs. 3 des BewG 1965 mit jährlich 5,5 v. H. zu ermitteln, wenn die Parteien keine Zinsvereinbarungen getroffen haben. Davon ist im Streitfall auszugehen.

b) Diesem Ergebnis steht - entgegen der Ansicht des FA - die in § 4 des Kaufvertrags getroffene Vereinbarung, daß die laufenden Zahlungen der Versorgung der Verkäuferin dienen sollten sowie die Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel nicht entgegen. Zwar hat der BFH in mehreren Entscheidungen (vgl. z. B. Urteile vom 23. Januar 1964 IV 85/62 U, BFHE 79, 16, BStBl III 1964, 239, und vom 12. Juni 1968 IV 254/62, BFHE 92, 561, BStBl II 1968, 653) bei laufenden Bezügen, die als Verteilung des Veräußerungserlöses in erster Linie die Versorgung des Berechtigten über längere Zeit sicherstellen sollten, das Vorliegen einer Veräußerungszeitrente bejaht und damit auch dem subjektiven Zweck der Verteilungen des Entgelts für die Abgrenzung von Rate und Rente entscheidende Bedeutung beigemessen. Die Anerkennung von Veräußerungszeitrenten unter diesem Gesichtspunkt beschränkte sich jedoch auf den betrieblichen Bereich. Hier kann eine Milderung des Grundsatzes der sofortigen Versteuerung der durch die Veräußerung des Betriebes realisierten stillen Reserven (vgl. zuletzt BFH-Urteil IV R 80/70) geboten sein und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Besteuerung die Erfassung des Veräußerungserlöses erst im Zeitpunkt des Zuflusses als "laufende Bezüge" oder ein entsprechendes Wahlrecht notwendig machen. Ob und inwieweit hier die Besteuerung erst nach Verrechnung mit dem hingegebenen Gegenwert, dann aber in vollem Umfang als nachträgliche Einkünfte aus der jeweiligen Einkunftsart, zu erfolgen hat (vgl. z. B. BFH-Urteil IV 85/62 U) oder ob aus den jährlichen Bezügen laufend ein Zinsanteil herauszurechnen ist (so außer für Raten auch für Zeitrenten BFH-Urteil IV 143/64), kann auch von der Besonderheit des Einzelfalles abhängen. Das ist im Streitfall, der - wie das BFH-Urteil VI R 212/69 - die Besteuerung des Verpflichteten betrifft, nicht zu entscheiden. Für den Erwerber eines Betriebes oder - wie im Streitfall: eines Grundstückes - spielt es keine Rolle, ob Kaufpreisraten oder laufende Bezüge gegeben sind. Für ihn ist einkommensteuerrechtlich allein entscheidend, daß er Wirtschaftsgüter gegen Entgelt erworben hat, was in beiden Fällen zu bejahen ist. Abzugsfähig ist in diesen Fällen - von den Absetzungen für Abnutzung abgesehen - nur der die Anschaffungskosten übersteigende Zinsaufwand, und zwar - bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie bei den Sonderausgaben - im Jahre der Verausgabung (§ 11 Abs. 2 EStG).

Mit diesen Grundsätzen stimmt die Vorentscheidung im Ergebnis überein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71213

BStBl II 1975, 173

BFHE 1975, 79

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