Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Außergewöhnliche Belastung bei auswärtigem Studium mehrerer Kinder.

Bei der Höhe der nach § 33 EStG zu gewährenden Steuerermäßigung ist unter Beachtung der steuerlichen Gleichmäßigkeit und sozialen Gerechtigkeit sowie der gesamten Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu prüfen, ob die Aufwendungen im einzelnen Falle notwendig und angemessen sind.

 

Normenkette

EStG § 33

 

Tatbestand

Streitig ist nur noch die Höhe der nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für das auswärtige Studium der beiden Töchter A (geb. 13. Mai 1918) und L. (geb. 10. April 1924) zu gewährenden Steuerermäßigung.

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist für II/1948 nach einem Einkommen von 9.082 DM und 1949 nach einem solchen von 14.327 DM veranlagt. Er hat vorgetragen, wegen seiner jüdischen Abstammung sei er bis Kriegsende verfolgt worden. Er habe seinen gesamten Besitz verloren; seine Töchter hätten die Schulausbildung nicht beenden können. Sie konnten erst nach 1945 die Reifeprüfung ablegen und das Studium aufnehmen, dessen Beginn sich auf diese Weise bei der älteren Tochter um acht, bei der jüngeren um vier Jahre verzögert habe. In den streitigen Steuerabschnitten habe er für beide Töchter, von denen die eine in K., die andere in D. studiert habe, im II/1948 : 3.600 DM und im Jahre 1949 : 5.400 DM aufgewendet.

Das Finanzamt gewährte für die Tochter L. im II/1948 Kinderermäßigung und erkannte im übrigen unter Berufung auf Abschn. 209 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) II/1948 und 1949 für die Tochter A. für II/1948: 350 DM und für 1949 für jede Tochter 600 DM als überbelastungsbetrag an.

Das Finanzgericht hat nach ausführlichen Darlegungen über die Anwendung des § 33 EStG und die sogenannte Typisierungslehre dem Grunde nach die Voraussetzungen der bezeichneten Vorschrift bejaht, bezüglich der Höhe der zu gewährenden Steuerermäßigung eine Bindung an die Richtlinien abgelehnt und für II/1948 für die Tochter L. 400 DM, für die ältere Tochter 1.590 DM, insgesamt 1.990 DM, für 1949 für die letztere 3.180, für die Tochter L. 1.590 DM, insgesamt 4.770 DM, für abzugsfähig angesehen und nach Abzug der Mehrbelastung eine entsprechende änderung des Einkommensteuerbescheides vorgenommen.

 

Entscheidungsgründe

Der Vorsteher des Finanzamts begehrt Wiederherstellung des Steuerbescheides; er bemängelt besonders den für II/1948 über die Kinderermäßigung hinaus zugebilligten Betrag von 400 DM für die Tochter L. und verneint damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 33 EStG überhaupt. Diese Auffassung würde zutreffen, wenn es sich nur um das Studium einer Tochter handeln würde. In solchen Fällen wird in der Regel von außergewöhnlichen Aufwendungen nicht gesprochen werden können. Liegt jedoch eine Häufung von Belastungen vor, dann kann eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG auch dann nicht versagt werden, wenn zugleich Kinderermäßigung gewährt wird. So liegt es hier. Der Bf. hat nicht nur zwei Töchter zugleich studieren lassen - von denen die eine Tochter (A.) bereits eine vor 1940 begonnene Ausbildung hat aufgeben müssen -, der Bf. ist zusätzlich noch mit den Auswirkungen belastet, die durch die infolge seiner Abstammung stattgefundenen Verfolgung entstanden sind. Es sind deshalb auch für die Tochter L. für den Steuerabschnitt II/1948 dem Grunde nach die Voraussetzungen des § 33 EStG gegeben, die von den Vorinstanzen für die Tochter A. sowohl für II/1948 wie für beide Töchter für 1949 zutreffend als vorliegend bejaht worden sind (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 148/51 vom 20. März 1952, Bundessteuerblatt - BStBl - 1952 III S. 124).

Dagegen muß dem Finanzamt zugegeben werden, daß die Vorentscheidung in der Höhe der zugebilligten Steuerermäßigung zu weit gegangen ist. Es ist allerdings in der Rechtsprechung (siehe Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs IV 52/50 vom 4. Juli 1950, Steuerrechtskartei - StRK -, EStG § 33 Rechtsspr. 3, Finanz-Rundschau 1950 S. 271 Rechtsspr. 176) zum Ausdruck gebracht, daß die Höhe der im einzelnen Falle zu gewährenden Steuerermäßigung nicht vom Ermessen der Finanzbehörde abhänge, und daß sich bei Anerkennung einer zwangsläufigen außergewöhnlichen Belastung die überbelastung und Höhe der Steuerermäßigung rein rechnerisch von selbst ergeben. Gleichwohl hat aber diese Entscheidung eine Einschränkung vorgenommen, indem sie auch an die Höhe der gemachten Aufwendungen den Maßstab des Außergewöhnlichen angelegt hat und aus diesem Grunde zur Anerkennung der in den Richtlinien aufgestellten Höchstsätze gelangt ist. Würde man beim Vorliegen einer zwangsläufigen außergewöhnlichen Belastung die Höhe nur noch rechnerisch festzustellen haben, so würde das dazu führen, daß alle tatsächlichen Aufwendungen (nach Abzug der Mehrbelastung) bei der Steuerermäßigung zu berücksichtigen wären. Das entspricht aber keineswegs dem Sinn und Zweck des § 33 EStG, der eine Milderung im Rahmen der steuerlichen Leistungsfähigkeit herbeiführen will, deren Abzug das Einkommensteuergesetz sonst verbietet. Eine ohne Rücksicht auf Angemessenheit und Notwendigkeit geforderte Berücksichtigung der aufgewendeten Beträge entspricht ebensowenig dem Gesetz wie die Forderung nach ausschließlicher Zugrundelegung der in den Richtlinien aufgestellten Höchstsätze. Der erkennende Senat hat deshalb bereits in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil IV 335/51 vom 27. März 1952 entschieden, daß er der früheren Rechtsprechung, die bei geschiedenen Ehefrauen die durch Gerichtsurteil festgesetzten Beträge als zwangsläufig ansah, nicht folgen könne. In Fortführung des in dem Urteil IV 52/50 ausgesprochenen Gedankens kann eine der steuerlichen Gleichmäßigkeit und sozialen Gerechtigkeit entsprechende Auslegung der Gesetzesbestimmung nur dahin stattfinden, daß in jedem Falle zu prüfen ist, ob nicht nur dem Grunde nach die Voraussetzungen des § 33 EStG gegeben sind, sondern ob auch die Aufwendungen selbst dem Gebot des Außergewöhnlichen und Zwangsläufigen entsprechen, d. h. ob sie in dem einzelnen Falle notwendig und angemessen sind. Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß bei der Anwendung der bezeichneten Vorschrift grundsätzlich Verallgemeinerungen nicht am Platze sind, es muß sowohl bei der Beurteilung dem Grunde wie der Höhe nach den individuellen Verhältnissen des einzelnen Falles Rechnung getragen werden. Die Richtlinien, die als Verwaltungsanweisungen für die Gerichte ohnehin nicht bindend sind, mögen in einer großen Zahl von Fällen zu befriedigenden Ergebnissen führen und dadurch ihren Zweck der Verwaltung die Entscheidung in diesen Fällen zu erleichtern, erfüllen; es kann aber der Auffassung des Finanzamtsvorstehers nicht gefolgt werden, daß bei Ausbildungskosten über den Betrag der Kinderermäßigung hinaus eine Steuerermäßigung nicht zugebilligt werden dürfe. Daß bei Inanspruchnahme einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG für Kinder über 25 Jahre Erwägungen über die Höhe der Kinderermäßigung auszuscheiden haben, hat zudem der Senat in der bereits erwähnten Entscheidung IV 148/51 betont, d. h. der in § 32 EStG getroffenen Regelung kann keine entscheidende Bedeutung in bezug auf die Höhe der Steuerermäßigung beigemessen werden. Bei der Abwägung, in welcher Höhe Aufwendungen als notwendig anzuerkennen sind, müssen die gesamten Lebensverhältnisse, insbesondere die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, soweit ein Einblick in diese billigerweise erlangt werden kann oder freiwillig gewährt wird, im Rahmen der steuerlichen Leistungsfähigkeit gewürdigt werden. Dabei muß der Ursache für die Aufwendungen ebenso Rechnung getragen werden wie die Tatsache, daß Lebenshaltungskosten nicht abzugsfähig sind, und daß jede Steuerermäßigung im Ergebnis zu Lasten der Allgemeinheit geht. Der hiernach zu berücksichtigende Betrag kann letzten Endes nur im Wege einer alle Umstände berücksichtigenden Schätzung gefunden werden. Soweit in dem Urteil IV 278/50 vom 2. Februar 1951 (BStBl 1951 III S. 85, StRK, EStG § 33 Rechtsspr. 4 § 41 Rechtsspr. 7) eine abweichende Auffassung vertreten ist, wird sie nicht aufrechterhalten.

Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze darf bei dem Bf. seine durch die Abstammung bedingte Verfolgung und deren Auswirkungen, die durch Zahlung einer Restitutionssumme von 20.000 DM zwar gemildert sind, ebensowenig unbeachtet bleiben wie das gleichzeitige Studium der beiden Töchter in einem sonst nicht üblichen Alter, sowie die Tatsache, daß die Tochter A. noch zusätzlich Nachhilfestunden in Latein hat nehmen müssen. Andererseits erscheinen aber die vom Bf. angesetzten Beträge, z. B. für Taschengeld, Kleidung, Erholungsurlaub reichlich hoch. In gewissem Umfange muß bei Abwägung der zumutbaren steuerlichen Leistungsfähigkeit ein Teil der an sich nicht abzugsfähigen Beträge bei der Bemessung der Ermäßigung ausscheiden. Es wird ferner der Hinweis nicht unterlassen werden dürfen, daß dem Bf. für die Jahre 1946 und 1947 die von ihm geltend gemachten Beträge in voller Höhe bei der Ermäßigung nach § 33 EStG angesetzt worden sind. Im Zuge seiner inzwischen fortgeschrittenen Besserung der wirtschaftlichen Lage kann es nicht als unbillig erscheinen, wenn auch der Bf. zu den Ausbildungskosten einen gewissen Teil ohne steuerliche Erleichterung beiträgt.

Der Senat hält in Würdigung aller dieser besonderen Umstände folgende Beträge für angemessen:

für II/1948 insgesamt 1.100 DM (A. 800 DM; L. 300 DM), für 1949 insgesamt 2.200 DM (A. 1.600 DM; L. 600 DM).

Nach Abzug der Mehrbelastung von 364 DM für II/1948 und 800 DM für 1949 verbleiben hiernach als überbelastungsbetrag für II/1948 736 DM und für 1949 1.340 DM. Die auf Sprungberufung ergangene Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. In Abänderung des Steuerbescheides vom 23. April 1951 war die Einkommensteuerschuld (ohne Anrechnung der Steuerabzugsbeträge) für II/1948 auf 2.863 DM und für 1949 auf 4.500 DM festzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407437

BStBl III 1952, 188

BFHE 1953, 486

BFHE 56, 486

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