Leitsatz (amtlich)

Die rückwirkende Inkraftsetzung der VO über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 durch Art. 3 § 1 Abs. 1 StÄndG 1968 vom 20. Februar 1969 ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

 

Normenkette

EStG 1951 § 15 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist bei den Einkommensteuer-Veranlagungen 1951 bis 1954, ob die Begünstigung der freien Erfinder nach dem Erlaß des RdF vom 11. September 1944 (RStBl 1944, 586) zu gewähren ist (§ 15 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist Fabrikant. Er hatte mehrere Erfindungen gemacht, die er im eigenen Betriebe verwertete. Das FA versagte ihm bei den Einkommensteuer-Veranlagungen 1951 bis 1954 die unter Berufung auf den RdF-Erlaß vom 11. September 1944 beantragte Tarifvergünstigung für Einkünfte aus freier Erfindertätigkeit, da nur die Verordnung (VO) über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 (BGBl I 1951, 387, BStBl I 1951, 181) als Rechtsgrundlage in Betracht komme und nach §§ 4 Nr. 3, 5 der VO der begünstigte Steuersatz nicht für Einkünfte aus Erfindungen gelte, die im eigenen Betriebe verwertet worden seien. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.

Das FG gab den Berufungen des Steuerpflichtigen im wesentlichen statt. Es führte aus, in Übereinstimmung mit dem amtlich nicht veröffentlichten Urteil des BFH IV 227/56 vom 16. Juli 1959, das die Einkommensteuer des Steuerpflichtigen für den Veranlagungszeitraum 1950 betreffe, sei es der Auffassung, daß der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 als Milderungserlaß im Sinne des § 13 AO a. F. anzusehen und damit als Rechtsnorm und fortgeltendes Recht im Sinne des Art. 123 Abs. 1 GG zu behandeln sei.

In seinen Revisionen, mit denen es Verletzung des materiellen Rechts rügt, beantragt das FA, die Vorentscheidungen aufzuheben und die Klagen (bisher Berufungen) abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revisionen führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Wiederherstellung der Einspruchsentscheidungen des FA.

Der erkennende Senat entschied im Urteil IV R 110/68 vom 5. Dezember 1968 (BFH 94, 246, BStBl II 1969, 136), daß der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 kein Milderungserlaß im Sinne des § 13 AO a. F. war und daher von den Steuergerichten nicht anzuwenden ist. Er führte aus, daß er an seiner im Urteil IV 227/56 vertretenen Meinung über die Rechtsnormqualität des Erlasses nicht mehr festhalte. Wegen der Einzelheiten wird auf die eingehenden Darlegungen in der Entscheidung IV R 110/68 Bezug genommen. Für die Zeit bis zum Inkrafttreten der VO vom 30. Mai 1951 kommt deshalb eine Tarifbegünstigung auf Grund des RdF-Erlasses nicht in Betracht.

Durch Art. 3 § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 20. Februar 1969 - Steueränderungsgesetz 1968 = Gesetz zur Überleitung steuerrechtlicher Vorschriften für Erfinder (BGBl I 1969, 141, BStBl I 1969, 116) - erhielt die VO über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 mit Wirkung vom Tage nach ihrer Verkündung Gesetzeskraft. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die rückwirkende Inkraftsetzung der Vorschriften der auf einer formungültigen Ermächtigung beruhenden VO bestehen nicht, zumal das rückwirkende Gesetz im Vergleich zu der ohne es bestehenden Gesetzeslage nur Vergünstigungen schuf (vgl. BVerfGE 7, 89 [94]; 22, 330 [347 f.]). Andererseits wurden, da der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 kein fortgeltendes Recht im Sinne des Art. 123 Abs. 1 GG darstellte, die Bezieher von Einkünften aus im eigenen Betrieb verwerteten Erfindungen durch die Rückwirkung nicht benachteiligt. Nach § 4 Nr. 3, § 5 der VO ist die Tarifbegünstigung für Einkünfte aus freier Erfindertätigkeit (halber Steuersatz) nur anzuwenden, wenn die Erfindung nicht im eigenen gewerblichen Betrieb verwertet wurde. Daher besteht für die beantragte Tarifvergünstigung auch für den auf die Zeit nach dem Inkrafttreten der VO vom 30. Mai 1951 entfallenden Teil des Streitjahres keine Rechtsgrundlage.

Die Beschränkung der Tarifbegünstigung auf Einkünfte aus Erfindungen, die nicht im eigenen gewerblichen Betrieb verwertet werden, ist mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar. Die vom Verordnungsgeber im Jahre 1951 vorgenommene, durch des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1968 vom 20. Februar 1969 inhaltlich bestätigte Differenzierung ist nicht willkürlich. Es bestehen vielfach beträchtliche Unterschiede in der Verwertung von Erfindungen, je nachdem, ob die Nutzung durch Lizenzvergabe oder im eigenen Betrieb stattfindet. Vor allem lassen sich bei eigengewerblicher Verwertung die Betriebseinnahmen und -ausgaben, aus denen sich die Erfindereinkünfte zusammensetzen, in der Regel kaum oder gar nicht von den übrigen Betriebseinnahmen und -ausgaben abgrenzen (vgl. Bundesrats-Drucksache Nr. 136/51 S. 3 ff.).

Für die Anwendung des RdF-Erlasses ist auch unter dem vom Steuerpflichtigen angeführten Gesichtspunkt von Treu und Glauben kein Raum. Der Steuerpflichtige kann sich nicht darauf berufen, daß er die VO vom 30. Mai 1951 schon damals für ungültig und den RdFErlaß für weiterhin anwendbar gehalten habe. Denn nach der eindeutigen, inhaltlich nicht zu beanstandenden Regelung der VO konnte der Steuerpflichtige in den Streitjahren nicht mehr damit rechnen, daß die Einkünfte aus eigengewerblicher Verwertung von Erfindungen tarifbegünstigt sein würden. Davon ging auch das BFH-Urteil IV 227/56 aus. Der Beschluß des BVerfG vom 30. Januar 1968 betraf nur die Ermächtigungsgrundlage der VO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412941

BStBl II 1970, 419

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