Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis auf Grund der §§ 7 und 8 des Kündigungsschutzgesetzes sind nach § 3 Ziff. 9 EStG (bzw. § 6 Ziff. 7 LStDV 1959) in der ab 1. Januar 1958 gültigen Fassung selbst dann steuerfrei, wenn sie in einem außergerichtlichen Vergleich festgelegt sind.

 

Normenkette

EStG § 3 Ziff. 9; LStDV § 6 Ziff. 7

 

Tatbestand

Die Bfin. war als Angestellte seit 1954 beschäftigt. Mit Schreiben vom 28. März 1961 kündigte die Arbeitgeberin ihr fristgemäß zum 30. Juni 1961, weil die häufigen und lang andauernden Erkrankungen der Bfin. zu unliebsamen Störungen im Betriebsablauf geführt hätten. Die Bfin. ließ durch ihren Vertreter sofort der Kündigung widersprechen, die sie für sozial ungerechtfertigt hielt, und es kam am 4. April 1961 zwischen der Bfin. und der Arbeitgeberin zu einem außergerichtlichen Vergleich, wonach es bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 1961 blieb, die Bfin. aber eine Abfindung gemäß §§ 7 und 8 des Kündigungsschutzgesetzes in Höhe von vier Monatsgehältern erhielt. Diese Abfindung von 2.196 DM, von der die Arbeitgeberin 439,20 DM Lohnsteuer einbehielt und abführte, wurde der Bfin. im April 1961 ausgezahlt.

Der Antrag der Bfin. auf Erstattung der einbehaltenen Lohnsteuer, der damit begründet wurde, daß es sich hier um einen Abfindungsbetrag nach § 3 Ziff. 9 EStG 1958 bzw. § 6 Ziff. 7 LStDV 1959 handele, wurde vom Finanzamt abgelehnt.

Einspruch und Berufung blieben vergeblich. Das Finanzgericht kam zu dem Ergebnis, daß nur solche Abfindungen im Sinne der §§ 7 und 8 des Kündigungsschutzgesetzes Steuerfreiheit genießen, die durch Urteil des Arbeitsgerichts oder in einem gerichtlichen Vergleich festgesetzt würden. Eine Ausdehnung auf außergerichtliche Vergleiche sei nicht statthaft, denn in der seit 1. Januar 1958 geltenden Fassung des § 3 Ziff. 9 EStG bzw. § 6 Ziff. 7 LStDV 1959 seien nur gerichtliche Vergleiche genannt. Somit sei die Lohnsteuer zu Recht abgeführt und könne nicht erstattet werden.

Dagegen richtet sich die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Rb., mit der, wie bisher, der Standpunkt vertreten wird, daß hier eine steuerfreie Abfindung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes vorliege, somit die Lohnsteuer zu Unrecht abgeführt und daher zu erstatten sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Der § 3 Ziff. 9 EStG 1958 und die gleichlautende Bestimmung des § 6 Ziff. 7 LStDV 1959 schließen aus dem Kreis der lohnsteuerpflichtigen Bezüge aus: Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis auf Grund der §§ 7 und 8 des Kündigungsschutzgesetzes. Während die maßgebende Vorschrift bis zum 31. Dezember 1957 dahin lautete: "Steuerfrei sind Entschädigungen auf Grund arbeitsrechtlicher Vorschriften wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis" (vgl. § 3 Ziff. 9 EStG 1957), hat diese Vorschrift im EStG 1958 die Fassung gefunden: "Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis auf Grund der §§ 7 und 8 des Kündigungsschutzgesetzes oder des § 74 des Betriebsverfassungsgesetzes; das gleiche gilt für Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis, die in einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht vereinbart sind".

Das Finanzgericht schließt aus der gegenüber 1957 geänderten Fassung der Vorschrift, daß ab 1. Januar 1958 grundsätzlich alle Abfindungen, die nicht durch Urteile des Arbeitsgerichtes oder einen vor dem Gericht geschlossenen Vergleich festgesetzt sind, von der Steuerfreiheit ausgeschlossen seien. Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar ist im Wortlaut der geänderten Fassung von gerichtlichen Vergleichen die Rede. Eine Beschränkung auf Urteile und gerichtliche Vergleiche ist aber nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen. Das würde ja zur Folge haben, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer stets zu gerichtlichen Auseinandersetzungen gezwungen würden. Vielmehr sollte nur die bisherige allgemeine Fassung des § 3 Ziff. 9 (vorher Ziff. 8) EStG 1957, die nur von Entschädigungen auf Grund arbeitsrechtlicher Vorschriften wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis sprach, im Interesse der Rechtssicherheit klarer gefaßt werden. Eine änderung in der steuerlichen Behandlung von Entlassungsentschädigungen tritt dadurch im Ergebnis nicht ein (vgl. Blümich-Falk, 8. Aufl. § 3 Anm. 8 b S. 184; Hartmann-Böttcher, § 3 Ziff. 8 b). Demgemäß sind auch außergerichtliche Vergleiche anzuerkennen, wenn von den Beteiligten glaubhaft gemacht ist, daß die Kündigung sozial ungerechtfertigt und die Höhe der Abfindung angemessen ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Die Arbeitgeberin hatte der Bfin. das bestehende Arbeitsverhältnis gekündigt, weil die Bfin. häufig krank war und ausfiel. Dieser Kündigung hatte die Bfin. sofort widersprochen, und die Arbeitgeberin sah sich der Gefahr eines arbeitsgerichtlichen Prozesses gegenüber. Zumal auch der Betriebsrat in der Kündigung eine Sozialwidrigkeit erblickte und zu einer vergleichsweisen Regelung riet, erschien es der Arbeitgeberin angezeigt, eine Vergleichslösung zu finden, die der Arbeitnehmerin in etwa gerecht wurde, andererseits aber auch den betrieblichen Belangen der Arbeitgeberin Rechnung trug. So sind die Parteien zu der Lösung gekommen, daß die Bfin. zum 30. Juni 1961 aus dem Dienstverhältnis ausschied. Beide Vertragspartner gingen dabei davon aus, daß die Kündigung - so sehr sie betrieblich auch erforderlich war - doch vom Gericht als sozialwidrig bezeichnet werden würde, und sie einigten sich so auf eine Abfindung, wie sie nach den Vorstellungen des Arbeitgebers und der Arbeitnehmerin gemäß §§ 7 und 8 des Kündigungsschutzgesetzes vom Arbeitsgericht im Falle eines gerichtlichen Verfahrens durch Urteil gefunden worden wäre. Die Abmachung stellt sich somit nicht als eine freiwillige Lösung des Dienstverhältnisses dar, die nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs IV 512/54 U vom 22. Dezember 1955 (BStBl 1956 III S. 50, Slg. Bd. 62 S. 133) und VI 155/59 vom 21. Oktober 1960 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 S. 230) der Steuerfreiheit entgegenstehen würde. Hier ist von der Bfin. genügend glaubhaft gemacht, daß der erhaltene Abfindungsbetrag in Höhe von vier Monatsgehältern eine Abfindung im Sinne und Rahmen der §§ 7 und 8 des Kündigungsschutzgesetzes darstellt. Der erhaltene Betrag ist damit steuerfrei. Die einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer ist der Bfin. zu erstatten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410960

BStBl III 1963, 514

BFHE 1964, 532

BFHE 77, 532

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