Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn ein Schriftsatz des Finanzamts in der mündlichen Verhandlung überreicht wird, ist in der Regel das Erfordernis der Mitteilung nach § 269 Abs. 2 AO erfüllt. Im übrigen ist in einem Verstoß gegen § 269 Abs. 2 AO nur dann ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinn des § 288 Ziff. 2 AO zu sehen, wenn der Schriftsatz neues Vorbringen enthält.

Bei der Berechnung der Absetzung für Abnutzung für ein Lichtspielhaus ist von der wirtschaftlichen Nutzungsdauer auszugehen. Die Besorgnis einer möglichen künftigen Beeinträchtigung des Lichtspielwesens durch die Entwicklung des Fernsehens berechtigt nicht zu erhöhter Abschreibung.

 

Normenkette

AO § 269 Abs. 2, § 288 Nr. 2; EStG § 7

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Absetzungen für ein Lichtspielhaus. Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Eigentümer von drei Lichtspieltheatern. Er hat in den Jahresbilanzen 1952 und 1953 für das im Jahre 1952 errichtete Lichtspieltheater eine jährliche Absetzung von 5% (15 770,23 DM bzw. 16 618,99 DM) der Herstellungskosten begehrt. Das Gebäude sei zweckgebunden; wegen der Entwicklung der Fernsehtechnik könne trotz einer längeren technischen Nutzungsdauer für die Berechnung der Absetzung für Abnutzung (AfA) nur ein wirtschaftliche Nutzungsdauer von 20 Jahren zugrunde gelegt werden.

Das Finanzamt setzte bei den Veranlagungen 1952 und 1953 nur eine AfA von 1% ein, da die derzeitige Entwicklung des Fernsehens keine Rückschlüsse auf eine künftige Unrentabilität der Kinobetriebe zulasse. Im Einspruchsverfahren hielt der Steuerausschuß diesen Standpunkt grundsätzlich aufrecht, wobei er auf die seit dem Jahre 1951 steigenden Umsätze des Bf. ( 1951: 594 512 DM; 1953: 1 145 115 DM) und auf die Neuerrichtung eines dritten Kinos durch ihn im Jahre 1953 hinwies. Mit Rücksicht auf die erhebliche Abnutzung des Gebäudes durch die Kinobesucher erhöhte der Steuerausschuß jedoch den jährlichen Abschreibungssatz auf 2%.

Im Berufungsverfahren wies der Bf. erneut darauf hin, daß nach der Ansicht von Fachleuten unter Berücksichtigung amerikanischer Verhältnisse die Filmtheater wegen der Weiterentwicklung des Fernsehens bereits in fünf Jahren nicht mehr wirtschaftlich sein dürften, so daß die begehrte AfA nach einer wirtschaftlichen Nutzungsdauer von 20 Jahren keinesfalls übersetzt sei.

Das Finanzgericht hält auf Grund eines Baugutachtens eine technische Standdauer des Gebäudes von 50 Jahren für gegeben. Da es sich um einen reinen Zweckbau handle, sei bei der Bemessung der AfA jedoch von der wirtschaftlichen Nutzungsdauer auszugehen. Aus statistischen Angaben über die Umsatz- und Besucherzahlen der Filmtheater in der Bundesrepublik und aus der Umsatzsteigerung des Bf., auch in den Jahren 1954 und 1955, sei zu folgern, daß die Filmwirtschaft trotz des Fernsehens für absehbare Zeit in der Bundesrepublik ihre Position zum mindesten halten werden.

Die Filmtechnik habe jedoch in letzten Jahren neue Verfahren entwickelt, deren weiteres Ausmaß nicht absehbar sei. Der Bf. habe im Jahre 1955 das Filmtheater neu umbauen lassen, daß er die Filme der z. Zt. bestehenden Systeme vorführen könne. Ein zentral gelegenes Kino der Landeshauptstadt müsse allerdings auch weiterhin durch ständige Umbauten und Erneuerungen dem Geschmack des Publikums Rechnung tragen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sie die wirtschaftliche Nutzungsdauer des Lichtspieltheaters auf 40 Jahre zu schätzen und somit die jährliche AfA mit 2,5% anzusetzen.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt der Bf.

als Verfahrensmangel die überreichung eines Schreibens des Finanzamts an das Finanzgericht in der mündlichen Verhandlung,

unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts sowie einen Verstoß gegen den Akteninhalt.

Der Schriftsatz des Finanzamts vom 9. Juli 1955 sei ihm nebst einem Zeitungsauszug erst in der mündlichen Verhandlung beim Finanzgericht übergeben worden. Die darin enthaltenen Ausführungen des Finanzamts, er könne in seinem Kino nach dem Umbau sämtliche Filmsysteme spielen, seien unzutreffend, da sein Theater zur Einführung der Cinerama- und Cine-Miracle-Verfahren nicht geeignet ist. Das Finanzgericht habe bei Beurteilung der Nutzungsdauer nicht die Erfahrung berücksichtigt, die sich aus den schon weiter entwickelten Verhältnissen in anderen Ländern, insbesondere in Amerika, ergeben hätten, und die auch für Deutschland Gültigkeit erlangen würden. Durch die Entwicklung der Fernsehtechnik werde das Lichtspielgewerbe in wenigen Jahren vollkommen überholt sein, es sei denn, daß ganz neue Filmverfahren entwickelt würden; über diese Frage möge ein Gutachten eingeholt werden.

Das Finanzamt hält die Verfahrensrüge für unbeachtlich, und die gegen das Berufungsurteil gerichteten Ausführungen über die wirtschaftliche Nutzungsdauer des Kinos für unzutreffend. Cinerama- und die Cine-Miracle-Verfahren seien erst im Jahre 1955 aufgekommen und daher in jedem Falle für die Bilanzstichtage zum 31. Dezember 1951 und 1953 ohne Bedeutung.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Die Geltendmachung des Verfahrensmangels im Sinne des § 288 Ziff. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) ist unbegründet. Sie stützt sich darauf, daß der Schriftsatz des Finanzamts vom 9. Juli 1955 nebst Anlage ( Zeitungsauszug vom 9. / 10. Juli 1955) dem Bf. erst in der mündlichen Verhandlung beim Finanzgericht überreicht worden sei und stellt inhaltlich die Rüge mangelnden rechtlichen Gehörs dar. Der Schriftsatz ist dem Bf. und seinem Steuerberater unstreitig in der mündlichen Verhandlung überreicht worden, so daß das Erfordernis des § 269 Abs. 2 AO formell erfüllt ist. Es stand beim Bf. frei, Vertagung der mündlichen Verhandlung zu beantragen, wenn er eine Gegenäußerung für erforderlich hielt. Darüber hinaus enthält der Schriftsatz gegenüber dem bisherigen Vorbringen nichts wesentlich Neues; die Anlage hierzu ist ein Zeitungsauszug, der entweder vom Bf. selbst verfaßt oder auf Grund der von ihm erteilten Information offenbar in seinem geschäftlichen Interesse von einem Dritten geschrieben ist. Da ein Verstoß gegen § 269 AO nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt, wenn die Nichtmitteilung des gegnerischen Schriftsatzes einen wesentlichen Verfahrensverstoß im Sinne des § 288 Ziff. 2 AO darstellt, entfällt diese Folge, wenn der Schriftsatz sachlich nichts Neues enthält (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs III A 519/31 vom 28. Juli 1932, Reichssteuerblatt - RStBl - 1932 S. 870; Kühn AO, § 269 Anm. 2; Hübschmann-Hepp-Spitaler, AO, § 269 Anm. 2).

In materieller Hinsicht beanstandet der Bf. die Höhe der AfA für das Lichtspielhaus. Nach § 7 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist bei der Bemessung der Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes nicht nur die technische, sondern auch die wirtschaftliche Abnutzung zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs liegt bei Hotels, Kurhäusern oder großstädtischen Kaffeehäusern, die im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit großen Wert auf Repräsentation legen müssen, die wirtschaftliche Lebensdauer erheblich unter der technischen (Urteile des Reichsfinanzhofs VI 784-785/38 vom 21. Dezember 1938, RStBl 1939 S. 309; VI 757/38 vom 15. März 1939, RStBl 1939 S. 758; IV 10/41 vom 8. Mai 1941, RStBl 1941 S. 548). Eine derartige wirtschaftliche Abnutzung kommt auch, wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, bei dem großstädtischen Lichtspieltheater des Bf., das der Fortentwicklung der Technik und der änderung des Publikumsgeschmacks unterliegt, zur Anwendung.

Wenn allerdings der Bf. die erhöhte Absetzung von 5% für die Jahre 1952 und 1953 damit begründet, daß bereits damals die Kinos infolge der zu erwartenden Entwicklung des Fernsehens keine wirtschaftliche Zukunft gehabt hätten, so hat das Finanzgericht zutreffend eine derartige Begründung für die Annahme einer zu zwanzigjährigen wirtschaftlichen Lebensdauer in eingehender tatsächlicher und rechtlicher Würdigung verneint. Wenn der Bf. darüber hinaus im Rechtsmittelverfahren auf äußerungen der Filmwirtschaft hinweist, wonach sogar bereits in fünf Jahren das Fernsehen die Filmtheater verdrängt haben werde, so beweist allein schon die Entwicklung seit dem Erscheinen dieser Zeitungsartikel die Unrichtigkeit der Ausführungen. Lediglich unbestimmte Zukunftsentwicklungen genügen nicht, um eine von der technischen Lebensdauer abweichende wirtschaftliche Nutzungsdauer anzunehmen (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 91/35 vom 12. Dezember 1935, RStBl 1936, S. 414, und Littmann, Das Einkommensteuerrecht 1956, § 7 Anm. 34, 35). Schließlich ergibt sich aus dem Verhalten des Bf. selbst, der im Jahre 1952 das hier umstrittene Lichtspieltheater und im Jahre 1953 ein weiteres Kino mit erheblichem Kostenaufwand erbaute, wie wenig er offenbar selbst an sein Vorbringen in dieser Hinsicht geglaubt hat.

Dagegen hat das Finanzgericht zutreffend aus der allgemeinen technischen Fortentwicklung des Filmwesens und aus der Notwendigkeit der modernen Gestaltung eines großstädtischen Lichtspieltheaters eine von der technischen Lebensdauer abweichende, kürzere wirtschaftliche Lebensdauer für das Gebäude hergeleitet. Die Festlegung auf eine bestimmte Zeitdauer im einzelnen ist eine Schätzung und beruht auf einer tatsächlichen Beurteilung. Die Festlegung auf 40 Jahre läßt weder einen Verstoß gegen den Akteninhalt noch gegen die Denkgesetze erkennen. Mit Recht weist das Finanzgericht insbesondere auf die statistisch erfaßte Vermehrung der Filmtheater und die allgemeine Steigerung der Besucherzahlen in den Jahren 1946 bis 1953 hin, denen die fortlaufende Erhöhung der Umsätze des Bf. entspricht. Die vom Finanzgericht angenommene wirtschaftliche Lebensdauer des Filmtheaters von 40 Jahren und der daraus hergeleitete Abschreibungssatz von jährlich 2,5% für die Jahre 1952 und 1953 sind daher nicht zu beanstanden (Hinweis auf die §§ 288, 296 AO). Die vom Bf. beantragte Einholung eines Gutachtens verspricht keine Aussicht auf eine weitere objektive Klärung der Streitfrage. Ob später für die Vorführung der im Jahre 1955 bekanntgemachten Dreifilmverfahren, nämlich das Cinerama- und das Cine-Miracle-Verfahren das Gebäude nicht ausreicht ist für die in Frage stehenden Jahre 1952 und 1953 ohne Bedeutung, zumal sich nicht übersehen läßt, ob und in welchem Umfang sich diese Verfahren überhaupt durchsetzen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408800

BStBl III 1957, 301

BFHE 1958, 175

BFHE 65, 175

BB 1957, 881

DB 1957, 810

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