Leitsatz (amtlich)

1. Zur Anwendung des Sachwertverfahrens bei Einfamilienhäusern.

2. Eine Ermäßigung des Gebäudewerts gemäß § 88 Abs. 2 BewG wegen wirtschaftlicher Überalterung setzt nicht voraus, daß das Gebäude in absehbarer Zeit abgebrochen werden muß.

 

Normenkette

BewG 1965 § 76 Abs. 1, 3 Nr. 1, § 88 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Hauptfeststellungszeitpunkt 1964 Eigentümer eines 1940 erbauten Einfamilienhauses mit einer erklärten Wohnfläche von 258 qm und einer Grundstücksgröße von 2 099 qm. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ermittelte den Grundstückswert im Sachwertverfahren und stellte zum 1. Januar 1964 durch Hauptfeststellung einen Einheitswert von 283 400 DM fest. Im Einspruchsverfahren ermäßigte das FA den Einheitswert auf 245 900 DM. Das Finanzgericht (FG) entschied nach Augenscheinseinnahme durch Zwischenurteil, der Einheitswert des Grundstücks sei zu Recht im Sachwertverfahren ermittelt worden. Auf die Revision des Klägers hob der erkennende Senat das Zwischenurteil durch Urteil vom 30. Mai 1975 III R 72/74 (BFHE 116, 93, BStBl II 1975, 714) auf.

Im zweiten Rechtsgang gab das FG der Klage teilweise statt und stellte den Einheitswert für das Einfamilienhaus des Klägers auf 231 100 DM fest. Die vom Kläger begehrte Ermäßigung des Gebäudesachwertes gemäß § 88 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) 1965 lehnte das FG ab.

Mit der Revision rügt der Kläger, das FG habe § 76 Abs. 3 Nr. 1 und § 88 Abs. 2 BewG 1965 unzutreffend angewandt. Nach Ansicht des Klägers liegt weder eine besondere Ausstattung noch eine besondere Gestaltung im Sinn dieser Vorschrift vor. Die Ausstattung des Hauses weise keinerlei Besonderheiten auf. Der Wert der Außenanlagen betrage lediglich etwa 3 v. H. des Einheitswertes; eine nachhaltige Einwirkung auf den Wert des Grundstücks sei daher ausgeschlossen. Eine derartige Ausstattung und Gestaltung des Einfamilienhauses rechtfertige auch in ihrem Zusammenwirken nicht die Anwendung des Sachwertverfahrens. Dieses Verfahren komme nur für luxuriös ausgestattete Häuser in Betracht. Der Kläger ist ferner der Ansicht, daß die Wertermittlung auf der Grundlage der Herstellungskosten des Jahres 1964 bei älteren Häusern zu unzutreffenden Ergebnissen führe; denn diese Häuser hätten an der Entwicklung der Bautechnik der letzten 15 Jahre vor dem maßgeblichen Stichtag nicht teilgenommen. Darüber hinaus habe das FG zu Unrecht bei der Wertermittlung einen einheitlichen cbm-Preis für sämtliche Räume angesetzt. Der Sachverständige habe aber festgestellt, daß die Wohnräume im Obergeschoß als verbaut, schlecht bewohnbar und im Sinne der heutigen Wohnansprüche in hohem Grade als überaltert zu gelten hätten. Die wirtschaftliche Überalterung des Gebäudes (§ 88 Abs. 2 BewG 1965) sei deshalb gegeben, weil es nicht noch weitere 76 Jahre im derzeitigen Zustand genutzt werden könne. Die Bauweise des Obergeschosses entspräche bereits heute nicht mehr den Wohnbedürfnissen.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einheitswert des Grundstücks zum 1. Januar 1964 im Ertragswertverfahren auf 128 600 DM, hilfsweise im Sachwertverfahren auf 193 900 DM festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Grundstück des Klägers ist zutreffend im Sachwertverfahren bewertet worden.

1. Nach § 76 Abs. 1 BewG 1965 wird der Einheitswert von Einfamilienhäusern grundsätzlich im Ertragswertverfahren ermittelt. Abweichend hiervon erfolgt die Bewertung im Sachwertverfahren (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG 1965), wenn sich das zu bewertende Objekt aufgrund besonderer Gestaltung oder Ausstattung wesentlich von den im Ertragswertverfahren zu bewertenden Einfamilienhäusern unterscheidet. Das Ertragswertverfahren stellt damit das Regelverfahren dar, nach dem die Masse der Einfamilienhäuser zu bewerten ist. Der Gesetzgeber ging dabei von der Überlegung aus, daß es sich bei diesen Häusern meist um kleine, einfach ausgestattete Wohngebäude oder serienmäßig hergestellte Siedlungshäuser handelt, für die regelmäßig Vergleichsmieten vorhanden sind (vgl. Bundestags-Drucksache IV/1488 vom 1. Oktober 1963 S. 55). Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 10. Februar 1978 III R 107/76 (BFHE 124, 370, BStBl II 1978, 294) ausgeführt hat, ist es gemeinsames Merkmal dieser Häuser, daß sie unabhängig von Änderungen der allgemeinen Wohngepflogenheit im gesamten Geltungsbereich des Bewertungsgesetzes untereinander im wesentlichen vergleichbar sind. An diesem Merkmal fehlt es, wenn das zu bewertende Einfamilienhaus in Gestaltung oder Ausstattung Besonderheiten aufweist, die es von der Masse der Einfamilienhäuser deutlich abheben mit der Folge, daß es mit diesen nicht mehr vergleichbar ist. Entgegen der Auffassung des Klägers ist bei der Abgrenzung nicht darauf abzustellen, ob das Einfamilienhaus "luxuriös" ausgestattet ist.

Die Wertermittlung im Sachwertverfahren kann sowohl durch eine besondere Gestaltung als auch durch eine besondere Ausstattung begründet sein. Die wesentliche Abweichung von den im Ertragswertverfahren zu bewertenden Einfamilienhäusern kann sich nach den zutreffenden Ausführungen des FG auch aus dem Zusammenwirken beider Faktoren ergeben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juli 1971 III R 86/69, BFHE 103, 213, BStBl II 1971, 797).

2. Nach den unangefochtenen und damit bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) Feststellungen des FG weist das 2 099 qm große Grundstück einen etwa 70 qm großen, mit Natursteinplatten belegten und von einer Pergola umgebenen Vorhof auf, über den man die Eingangstür des Hauses erreicht. Außerdem sind eine sehr große Terrasse mit Natursteinplatten und Pergola, ein beleuchtbarer Springbrunnen, ein Schwimmbecken und Natursteinplattenwege vorhanden. Das Haus selbst hat eine erklärte Wohnfläche von 258 qm. Es besitzt einen Natursteinsockel, die mit schmiedeeisernen Gittern versehenen Fenster und Türen haben Natursteineinfassungen, ein Fenster ist bis zum Fußboden versenkbar. In dem Gebäude befinden sich ferner Natursteinfußböden im Erdgeschoß, Velourfußboden in der mit einer gewölbten Decke versehenen Wohnhalle im Erdgeschoß, ein offener Marmorkamin und im Obergeschoß zwei Bäder.

Aus diesem Sachverhalt hat das FG zutreffend die rechtliche Folgerung gezogen, daß das Grundstück des Klägers eine gegenüber der Masse der Einfamilienhäuser besondere Gestaltung und Ausstattung aufweist.

a) Die besondere Gestaltung im Sinne des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG 1965 kann nicht nur allein auf der äußeren und inneren architektonischen Anlage des Hauses, wie der Größe der Wohnfläche oder der Form der Anordnung der Wohnräume beruhen. Sie kann sich vielmehr auch aus der Gestaltung des Grund und Bodens, wie z. B. aus der Größe der Grundstücksfläche oder der Anlage der umbauten Fläche ergeben (Urteil III R 86/69).

Im Streitfall hat das FG zu Recht die besondere Gestaltung des Grundstücks in dessen Größe und Anlage sowie der Wohnfläche des Hauses gesehen. Bebaute Grundstücke mit einer Größe von rd. 2 100 qm bilden in städtischen Gebieten zunehmend die Ausnahme. Der besonderen Größe des Grundstücks entspricht auch der großzügige Zuschnitt der Anlage. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Klägers im Streitfall nicht darauf an, welchen Wertanteil die Außenanlage am Einheitswert des Grundstücks besitzt. Die Gestaltung der Außenanlage ist vielmehr im Zusammenhang mit der Größe des Grundstücks und der Größe der Wohnfläche zu sehen. Auch letztere hebt sich mit ihrer Größe trotz der geänderten Wohngepflogenheiten deutlich von der der Masse der Einfamilienhäuser ab.

b) Das FG hat ferner rechtsfehlerfrei eine besondere Ausstattung des Hauses bejaht. Die vom FG festgestellten Ausstattungsmerkmale des Gebäudes heben sich jedenfalls in ihrer Gesamtheit deutlich von der der Masse der Einfamilienhäuser ab und erhöhen den Wohnwert des Hauses in besonderem Maße.

3. Das FG hat ferner zutreffend dargelegt, daß jedenfalls das Zusammenwirken der besonderen Gestaltung einerseits und der besonderen Ausstattung andererseits den Tatbestand des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG 1965 erfüllt. Damit ist nicht entscheidungserheblich, ob beide Tatbestandsmerkmale jeweils für sich allein gesehen die nach der genannten Vorschrift erforderliche wesentliche Unterscheidung begründen.

Nach der Rechtsprechung des Senates (Urteile III R 86/69 und III R 107/76) ist der Unterschied zu den im Ertragswertverfahren zu bewertenden Einfamilienhäusern dann wesentlich, wenn die besondere Gestaltung oder Ausstattung erfahrungsgemäß nach den Marktverhältnissen oder dem am Hauptfeststellungszeitpunkt geltenden Mietpreisrecht sich in der Höhe der Miete nicht ausdrückt und dadurch unter Berücksichtigung der dem Einheitswertverfahren zugrunde liegenden Erwägungen eine erhebliche Unterbewertung herbeigeführt wird. Der Senat folgt dem FG darin, daß für das Grundstück des Klägers eine im Ertragswertverfahren anzusetzende übliche Miete aus vergleichbaren vermieteten Grundstücken nicht hinreichend gesichert festgestellt werden kann. Die besondere Gestaltung und Ausstattung heben das Haus des Klägers deutlich von der Masse der Einfamilienhäuser ab; es läßt sich mit dieser nicht mehr vergleichen. Einfamilienhäuser, die eine Gestaltung und Ausstattung wie das des Klägers aufweisen, werden im allgemeinen nicht vermietet, und zwar insbesondere deshalb nicht, weil sie regelmäßig im besonderen Maße dem persönlichen Lebensstil und den persönlichen Wohnbedürfnissen des Bauherrn Rechnung tragen. Soweit ausnahmsweise eine Vermietung erfolgt, entspricht der zu erzielende Mietzins regelmäßig nicht dem besonderen Wohnwert eines solchen Hauses. Dessen besondere Gestaltung und Ausstattung können deshalb nicht in einer aus vermieteten Einfamilienhäusern abgeleiteten, regelmäßig gezahlten Miete berücksichtigt sein.

4. Auch die vom Kläger im übrigen erhobenen Einwände sind unbegründet.

Die Ermittlung des Gebäudewerts nach Maßgabe der §§ 85 ff. BewG 1965 wirkt sich nicht deshalb nachteilig auf den Wert älterer Gebäude aus, weil sie von durchschnittlichen Herstellungskosten nach den Baupreisverhältnissen des Jahres 1958 - nicht des Jahres 1964 wie der Kläger meint - ausgeht. Bei der Wertermittlung nach dem Sachwertverfahren werden nicht die im Einzelfall aufgewendeten tatsächlichen Herstellungskosten des Gebäudes ermittelt. § 85 BewG 1965 geht vielmehr einheitlich von Normalherstellungskosten aus. Der danach errechnete Gebäudenormalherstellungswert entspricht den durchschnittlichen Herstellungskosten eines neu erstellten Gebäudes. Dem Umstand, daß das Gebäude bereits eine Reihe von Jahren steht und damit einen Wertverzehr erlitten hat, trägt das Gesetz Rechnung, und zwar in der Weise, daß die Wertminderung, der Wertverlust, den das Gebäude infolge Verschleißes und Alters seit seiner Erbauung erlitten hat, bei Ermittlung des Gebäudewertes nach Maßgabe des § 86 BewG 1965 wertmindernd berücksichtigt wird. Zusätzlich schreibt das Bewertungsgesetz in § 87 vor, daß für bauliche Mängel und Schäden, die weder bei der Ermittlung des Gebäudenormalherstellungswertes noch bei der Wertminderung wegen Alters berücksichtigt worden sind, ein Abschlag zu machen ist.

Im Streitfall hat das FG sowohl die Absetzung für Abnutzung (AfA) gemäß § 86 BewG 1965 berücksichtigt als auch einen Schadensabschlag gemäß § 87 BewG 1965 in Höhe von 7 v. H. vorgenommen. Die Entscheidung des FG ist insoweit ebenfalls nicht zu beanstanden.

Da das Gesetz bei der Ermittlung des Gebäudewertes von durchschnittlichen Herstellungskosten ausgeht, kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht innerhalb eines Gebäudes kostenmäßig weiter differenziert werden, etwa nach Lage und Beschaffenheit einzelner Räume.

5. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG im Ergebnis zu Recht auch einen Abschlag gemäß § 88 Abs. 2 BewG 1965 versagt. Nach dieser Vorschrift kommt eine Ermäßigung des Gebäudesachwertes insbesondere dann in Betracht, wenn das Gebäude wegen wirtschaftlicher Überalterung in seinem Wert gemindert ist. Eine Wertminderung wegen wirtschaftlicher Überalterung ist allerdings nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil das Gebäude im Feststellungszeitpunkt schon ein bestimmtes Alter erreicht hat. Der Wertunterschied zwischen einem alten und einem neuen Gebäude wird grundsätzlich durch die Wertminderung nach § 86 BewG 1965 wegen des Alters des Gebäudes ausreichend berücksichtigt. Die Ermäßigung wegen wirtschaftlicher Überalterung kommt nur dann in Betracht, wenn feststeht, daß die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes aus objektiven, wirtschaftlich zwingenden Gründen gegenüber der gewöhnlichen (technischen) Nutzungsdauer verkürzt ist. Die Ermäßigung wegen wirtschaftlicher Überalterung führt somit zu einer Korrektur der nach der gewöhnlichen Lebensdauer berechnenden Minderung wegen Alters in dem Fall, daß der wirtschaftliche Wertverzehr größer ist als die technische Abnutzung (vgl. BFH-Urteil vom 11. März 1977 III R 11/75, BFHE 123, 360, BStBl II 1978, 3). Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn nach der bis zum Feststellungszeitpunkt eingetretenen Entwicklung mit einiger Sicherheit angenommen werden kann, daß der Zeitraum der tatsächlichen Verwendung des gesamten Gebäudes gegenüber der gewöhnlichen Lebensdauer verkürzt ist, wenn also mit einem vorzeitigen Abbruch des Gebäudes aus wirtschaftlich zwingenden objektiven Gründen zu rechnen ist. Entgegen der Auffassung des FG setzt dies aber nicht voraus, daß mit dem Abbruch des Gebäudes "in absehbarer Zeit" gerechnet werden muß. Das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 16. November 1939 III 236/39 (RStBl 1940, 492) steht dem nicht entgegen. Dieser Entscheidung liegt insofern ein anderer Sachverhalt zugrunde, als in dem damaligen Streitfall in absehbarer Zeit mit dem Abbruch des Gebäudes zu rechnen war.

Gleichwohl kann die Rüge des Klägers keinen Erfolg haben. Das Gutachten des Sachverständigen, auf das die Vorentscheidung Bezug nimmt, ergibt keine Anhaltspunkte dafür, daß mit einem vorzeitigen Abbruch des Gebäudes aus wirtschaftlich zwingenden objektiven Gründen zu rechnen ist. Der Sachverständige befürwortete eine Ermäßigung des Gebäudesachwertes gemäß § 88 Abs. 2 BewG 1965 lediglich im Hinblick darauf, daß die Wohnräume im Dachgeschoß als verbaut, schlecht bewohnbar und überaltert im Sinne der heutigen Wohngepflogenheiten gelten. Dieser bauliche Zustand eines Teiles des Hauses rechtfertigt jedoch noch nicht die Ermäßigung wegen wirtschaftlicher Überalterung des gesamten Gebäudes.

Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72815

BStBl II 1978, 523

BFHE 1979, 290

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