Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der IV. Senat tritt der in dem Urteil des III. Senats III 75/54 S vom 28. August 1954 (Slg. Bd. 59 S. 248, BStBl 1954 III S. 306) vertretenen Rechtsauffassung bei, daß § 11 Abs. 2 EStDV 1951 rechtswirksam ist.

Die Berücksichtigung von Treu und Glauben bei der Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO.

EStG 1951 §§ 7 b und 7 c; EStDV 1951 § 11 Abs. 2; AO § 222 Abs. 1 Ziff. 4; StAnpG § 2 Abs. 1 und 2;

 

Normenkette

EStG §§ 7b, 7c; EStDV § 11 Abs. 2; AO § 222 Abs. 1 Nr. 4; StAnpG § 2 Abs. 1, § 2/2; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Ehefrau des Steuerpflichtigen (Stpfl.) hat von ihrem Vater im Jahre 1950 Zuschüsse zur Förderung des Wohnungsbaues im Sinne des § 7 c des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1950 in Höhe von 443.777,15 DM erhalten. Mit Hilfe der Zuschüsse ist ein Wohngebäude errichtet worden.

Der Stpfl. hat die Gewährung der Steuervergünstigung des § 7 b EStG für das Jahr 1951 beantragt und zwar in Höhe von 10 v. H. der Herstellungskosten, die er auf 430.737 DM bezifferte. Das Finanzamt hat diesem Antrag unter Hinweis auf § II Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1951 nicht entsprochen.

Das Finanzgericht hat dagegen dem Begehren des Stpfl. stattgegeben. Es ist der Auffassung, daß § II Abs. 2 EStDV 1951 die Vorschrift des § 7 b EStG unzulässig einschränke und daher rechtsunwirksam sei. Die Einschränkung wäre nur dann rechtswirksam, wenn sie durch eine besondere Ermächtigung zugelassen worden wäre. Das sei nicht der Fall.

Die Hingabe der Zuschüsse stelle eine Schenkung im bürgerlich-rechtlichen Sinne dar. Sie sei auch zur Schenkungsteuer herangezogen worden. Die Zuschüsse seien in das Vermögen der Ehefrau des Stpfl. übergegangen. Die Ehefrau habe daher das Gebäude mit eigenen Mitteln errichtet. Die Voraussetzungen des § 7 b EStG seien somit erfüllt.

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts hält daran fest, daß § II Abs. 2 EStDV 1951 rechtswirksam sei. Sie wird auch darauf gestützt, daß nach den von der Rechtsprechung aufgestellten allgemeinen Grundsätzen Baukostenzuschüsse zu den Herstellungskosten eines Bauwerks nicht gehören.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:

In dem amtlich veröffentlichten Urteil des Bundesfinanzhofs III 75/54 S vom 28. August 1954 (Slg. Bd. 59 S. 248, Bundessteuerblatt - BStBl. - III S. 306) hat der III. Senat entschieden, daß Zuwendungen zur Förderung des Wohnungsbaues, bei denen die Voraussetzungen des § 7 c EStG gegeben sind, keine Schenkungen (freigebige Zuwendungen) im Sinne des § 3 Abs. 1 Ziff. 1, 2 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) darstellen und daher auch dann nicht der Schenkungsteuer unterliegen, wenn sie an Personen der Steuerklasse I bis IV gegeben werden. Das Urteil hat daher § 18 Abs. 1 Ziff. 16 a ErbStG insoweit für gegenstandslos erklärt. Nach den Ausführungen der Entscheidung ist die Frage der Rechtsgültigkeit des § 11 Abs. 2 EStDV die schenkungsteuerliche Vorfrage, die für die Entscheidung der Schenkungsteuerpflicht der 7 c)- Zuschüsse notwendigerweise geklärt werden muß. Das Urteil geht bei der Untersuchung der Frage der Rechtsgültigkeit davon aus, daß schon in der ursprünglichen Ausgestaltung des § 7 c EStG der Gedanke stecke, daß ein Teil der zum Wohnungsbau verwandten Gelder, wenn man auf den durch die Rendite bedingten Wert der Wohnungsbauten abstelle, in diesem Wert sich nicht widerspiegele, also gewissermaßen einen verlorenen Aufwand darstelle. Dieser Gedanke komme in der späteren Beschränkung der Begünstigung von Zuschüssen und Darlehen auf 7.000 bzw. 10.000 DM für jede geförderte Wohnung (als auf einen im Durchschnitt dem verlorenen Aufwand je Wohnungseinheit Rechnung tragenden Betrag) noch deutlicher zum Ausdruck. Daraus ergebe sich für die Beurteilung der Schenkungsteuerpflicht der Zuschüsse, daß diese im Grunde genommen keinen beachtlichen Zufluß beim Empfänger, also keine Bereicherung darstellen. Nach dem Urteil wird § 7 c EStG durch § 11 Abs. 2 EStG dahin interpretiert, daß die Gewährung eines Zuschusses einen nur beim Zuschußgeber, nicht aber beim Zuschußempfänger zu berücksichtigenden Vorgang, der Zuschuß für den Empfänger also gewissermaßen einen durchlaufenden Posten darstellt. Hieraus hat das Urteil die Folgerung gezogen, daß § 11 Abs. 2 a. a. O. rechtswirksam ist. Dieser Rechtsauffassung, die bereits in dem Urteil des erkennenden Senats IV 278/53 U vom 22. Oktober 1953 (Slg. Bd. 58 S. 176, BStBl. 1953 III S. 359) zum Ausdruck kommt, tritt der erkennende Senat bei.

Es ergibt sich nunmehr die Frage, ob die Rechtslage durch die Festsetzung der Schenkungsteuer für die Zuschüsse eine änderung erfahren hat. Dies ist grundsätzlich zu verneinen. Geht man mit dem Urteil des III. Senats davon aus, daß Zuschüsse zur Förderung des Wohnungsbaues keine Schenkungen (freigebige Zuwendungen) darstellen, so verlieren sie diesen rechtlichen Charakter nicht dadurch, daß ein Finanzamt für solche Zuwendungen im Widerspruch zu ihrer Rechtsnatur Schenkungsteuer erhebt. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, rechtskräftig festgesetzte Steuerbeträge zu erstatten, wenn sich später auf Grund einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs herausstellt, daß die Steuer wegen der in dieser Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung nicht hätte erhoben werden dürfen. Im Streitfalle handelt es sich um eine Lage besonderer Art. Es ist nicht nur zu Unrecht Schenkungsteuer erhoben worden; darüber hinaus und ungeachtet der Erhebung der Schenkungsteuer wird der Stpfl. mit den Nachteilen der Vorschrift des § 11 Abs. 2 EStDV belastet. Bei der Prüfung der Frage, ob bezüglich der Schenkungsteuer von der Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 der Reichsabgabenordnung (AO) Gebrauch zu machen ist, werden die Verwaltungsbehörden zu überlegen haben, ob unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Verweigerung einer Nachprüfung gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO mit den Grundsätzen von Treu und Glauben vereinbar ist und nicht ein Verfahren gemäß Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) durch den Stpfl. ausgelöst werden kann. Auf die Ausführungen von Kühn, Reichsabgabenordnung, 3. Auflage, Anmerkung 6 b zu § 222 AO wird verwiesen.

Da nach der Einlassung des Stpfl. in dem Schriftsatz vom 17. Februar 1953 die Baukosten durch 7 c)- Zuschüsse bestritten worden sind, mindern sich also die gesamten Herstellungskosten des Wohngebäudes um diesen Betrag. Die Vorentscheidung war somit wegen Rechtsirrtums aufzuheben und die Sprungberufung gegen den Steuerbescheid des Finanzamts vom 18. Februar 1953 als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408166

BStBl III 1955, 201

BFHE 1956, 9

BFHE 61, 9

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