Leitsatz (amtlich)

Unterläuft dem Steuerpflichtigen bei Anfertigung der Umsatzsteuererklärung (§ 18 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967) ein Rechenfehler und bleibt dieser Fehler mangels Nachprüfung der vorbezeichneten Selbsterrechnungserklärung durch das Finanzamt unentdeckt, so ist das Finanzamt gemäß § 92 Abs. 2 AO (= § 129 AO 1977) zur Berichtigung der festgesetzten Steuer verpflichtet.

 

Normenkette

AO § 92 Abs. 2; AO 1977 § 129

 

Tatbestand

Dem Kläger, der eine Drogerie betreibt, ist bei Anfertigung seiner Umsatzsteuererklärung 1971 ein Rechenfehler unterlaufen. Bei der Addition der beiden Steuerbeträge, die er für die dem allgemeinen und dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Umsätze errechnet hatte, ist von ihm (als Summe) eine um 100 DM zu hohe Umsatzsteuerschuld ermittelt worden. Das Finanzamt (Beklagter) hat diesen Betrag in einen besonderen Eingabebogen zur Steuerfestsetzung vermittels EDV-Anlage übernommen, ohne den Additionsfehler des Klägers zu bemerken. Erst nach Bestandskraft des bekanntgegebenen Steuerbescheids entdeckte der Kläger den Fehler und beantragte beim beklagten Finanzamt, die Umsatzsteuer 1971 gemäß § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO a. F.) um 100 DM niedriger festzusetzen. Das Finanzamt wies den Antrag mit der Begründung zurück, ein Fehler des Finanzamts liege nicht vor, da es lediglich einen vom Kläger selbst (fehlerhaft) errechneten Betrag in die Steuerfestsetzung übernommen habe. Es sei nicht Aufgabe des Finanzamts, alle Einzelberechnungen des Steuerpflichtigen auf ihre mögliche Fehlerhaftigkeit zu überprüfen.

Der auf Herabsetzung der Steuer im Berichtigungswege gerichteten Klage hat das Finanzgericht stattgegeben. Dem beklagten Finanzamt habe nach § 205 AO a. F. die Prüfung der eingereichten Steuererklärung des Klägers oblegen. Habe der zuständige Beamte selbst gerechnet, so sei auch ihm ein Rechenfehler beim Erlaß des Steuerbescheids unterlaufen. Habe er eine rechnerische Nachprüfung unterlassen, so habe er sich den Fehler des Klägers zu eigen gemacht, weil er sich auf dessen Berechnung verlassen habe. Ohne Bedeutung für die Entscheidung sei, daß die Übernahme des als Steuerschuld errechneten Endbetrags - anstatt der in der Steuererklärung enthaltenen Einzelbeträge - in den Eingabebogen den oberbehördlichen Anweisungen zur Beschleunigung und Vereinfachung des Veranlagungsverfahrens entsprochen habe. Bei dieser Vorgangsweise würden bewußt Fehler in Kauf genommen und damit sich zu eigen gemacht.

Das Finanzgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Mit der Revision begehrt das beklagte Finanzamt die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und die Abweisung der Klage. Zwar seien Rechenfehler, die dem Finanzamt bei der Steuerfestsetzung unterliefen, berichtigungsfähig. So liege der Fall hier jedoch nicht. Maßgebend sei hier, daß der in der Steuererklärung enthaltene Rechenfehler ohne rechnerische Überprüfung durch den Veranlagungsbeamten (die hier ganz offensichtlich unterblieben sei) nicht ohne weiteres ersichtlich gewesen sei. Selbst wenn man eine Verletzung der Ermittlungspflicht annehmen wollte, würde dies keine Berichtigung rechtfertigen. Es liege keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 2 AO a. F. vor, selbst wenn das Finanzamt bei einem aus den Akten nicht ohne weiteres ersichtlichen Fehler seine Ermittlungspflicht verletze. Dies gelte selbst dann, wenn sich dem Finanzamt die Vornahme von Aufklärungsmaßnahmen hätte aufdrängen müssen. Es würde eine Überspannung der Ermittlungspflicht bedeuten, wenn man verlangen wolle, daß das Finanzamt alle Einzelberechnungen einer Steuererklärung überprüfen müsse. Es müsse sich auf stichprobenweise Überprüfungen beschränken dürfen.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision. Er schließt sich den Ausführungen des Finanzgerichts an und weist zu dem Revisionsvorbringen des Finanzamts darauf hin, daß im vorliegenden Fall eine offenbare Unrichtigkeit gegeben sei, weil es hier nur um die Addition von zwei Beträgen gegangen sei. Eine Verwaltungsanweisung, nur stichprobenweise Überprüfungen vorzunehmen, würde bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des beklagten Finanzamts zu einer unzulässigen Einengung des Anwendungsbereichs des § 92 Abs. 2 AO a. F. führen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Finanzamts ist unbegründet.

Gemäß § 92 Abs. 2 AO a. F. (= § 129 der Abgabenordnung - AO 1977 -) können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten nach Bekanntgabe des Steuerbescheids, auch wenn er bestandskräftig geworden ist, berichtigt werden. Diese Berichtigungsmöglichkeit erfaßt nur sogenannte mechanische Versehen, die der Behörde beim Erlaß des Verwaltungsakts unterlaufen sind (vgl. zuletzt Urteile vom 31. Juli 1975 V R 121/73, BFHE 116, 462, BStBl II 1975, 868, und vom 1. April 1977 VI R 153/76, BFHE 123, 1, BStBl II 1977, 853). Auch im Steuerfestsetzungsverfahren auf Grund einer in § 18 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967) vorgeschriebenen Selbsterrechnungserklärung im Sinne des § 166 AO a. F. kommt es zum Erlaß eines Verwaltungsakts, der mit einem mechanischen Fehler im Sinne des § 92 Abs. 2 AO a. F. behaftet sein kann. Die nach amtlichem Vordruck abzugebende Selbsterrechnungserklärung des Steuerpflichtigen gibt zwar dem Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen, ihre rechtliche Einordnung (nach steuerbaren, steuerfreien bzw. ermäßigten Umsätzen, abziehbaren Vorsteuern usw.) und die Berechnung der Steuerschuld an die Hand, entbindet das Finanzamt jedoch grundsätzlich nicht von einer sachlichen Prüfung und einer nachfolgenden Festsetzung der geschuldeten Steuer (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG 1967, § 210 AO a. F.); lediglich von der Bekanntgabe letzterer kann unter bestimmten Umständen abgesehen werden (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG 1967).

Mit der Steuerfestsetzung auf Grund der Selbsterrechnungserklärung macht das Finanzamt den Inhalt dieser Erklärung zum Gegenstand seiner eigenen, ihm nach dem Gesetz obliegenden Berechnung der Steuer und ihrer Festsetzung. Die Selbsterrechnungserklärung ist gewissermaßen der Entwurf einer Steuerberechnung, den der Steuerpflichtige auf Grund der gesetzlich abgedeckten Aufgabenverlagerung dem Finanzamt zu liefern hat. Dieses kann sich auf die Prüfung dieses Entwurfs beschränken und sich bei einem positiven Abschluß dieser Prüfung auf die Feststellung der Richtigkeit (in Form förmlicher Festsetzung der Steuer) beschränken. Bei dieser Vorgangsweise wirkt ein mechanischer Fehler, der dem Steuerpflichtigen bei Anfertigung der Selbsterrechnungserklärung unterläuft und den das Finanzamt nicht erkennt, in die Steuerfestsetzung des Finanzamts laut Selbsterrechnungserklärung hinein. Der Fehler des Steuerpflichtigen ist zu einem Fehler des Finanzamts geworden; es hat den Fehler zu seinem eigenen gemacht (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 92 AO Anm. 3; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 129 AO 1977 Anm. 6).

Aus diesen Gründen liegt hier nicht nur ein Versehen des Steuerpflichtigen vor, welches einer Berichtigung nach § 92 Abs. 2 AO a. F. nicht zugänglich ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 1. Juli 1954 IV 444/53 U, BFHE 59, 146, BStBl III 1954, 265), sondern auch ein Fehler des Finanzamts (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., mit weiteren Nachweisen, sowie Urteile des Bundesfinanzhofs vom 17. April 1969 V R 21/66, BFHE 95, 484, BStBl II 1969, 474, und vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550, deren Ausführungen zu diesem Punkte allerdings nicht entscheidungserheblich waren). Es ist nicht nur dem Steuerpflichtigen bei Anfertigung der Selbsterrechnungserklärung, sondern dem Finanzamt bei deren Überprüfung ein mechanisches Versehen unterlaufen, das die förmliche Steuerfestsetzung fehlerhaft belastet.

Nach Auffassung des beklagten Finanzamts kann dieser Umstand eine Berichtigung nach § 92 Abs. 2 AO a. F. nicht rechtfertigen. Das Finanzamt will eine solche Berichtigungsmöglichkeit nur für einen ohne weiteres ersichtlichen Fehler in der Steuererklärung zulassen, da andernfalls die Ermittlungspflicht des Finanzamts überspannt werde. Offensichtlich will das Finanzamt damit dartun, daß der mit dem Selbsterrechnungsverfahren verbundene Erleichterungseffekt für die Verwaltungsarbeit verlorengehe, wenn man das Finanzamt mit einer Nachprüfungspflicht der Selbsterrechnungserklärung belaste.

Die dem Steuerpflichtigen gemäß § 18 Abs. 1 UStG 1967 auferlegten Pflichten zur Anfertigung einer Steuerselbstberechnung entbinden das Finanzamt nicht von den sich aus §§ 204 ff. AO a. F. ergebenden Pflichten, nach deren Abschluß die Steuer festzusetzen ist (§ 210 AO a. F.). Ferner bedarf keiner näheren Erläuterung, daß die Steuerfestsetzung auch rechnerisch richtig sein muß, mithin auch eine Selbsterrechnungserklärung auf ihre rechnerische Richtigkeit überprüft werden muß. Von diesem Verständnis geht auch der für die Umsatzsteuerveranlagung 1971 des Klägers verwendete Vordruck USt 2 A aus, der als Erklärungsvordruck und Eingabewertbogen gestaltet ist. Er enthält nämlich zu jeder vom Steuerpflichtigen auszufüllenden Zeile ein rotumrandetes Feld mit einer Kennziffer; in dieses soll der geprüfte Betrag zwecks Datenverarbeitung übertragen werden. Hiervon hat das beklagte Finanzamt keinen Gebrauch gemacht, so daß eine (auch) rechnerische Kontrolle des Zahlenwerks durch die EDV-Anlage unterblieb. Das Finanzamt hat vielmehr nur die vom Kläger errechnete Steuerschuld in einen besonderen Eingabebogen (Vordruck USt 272 - Elektr.) übertragen und damit den Einsatz der EDV-Anlage auf einen bloßen Ausdruck eines Steuerbescheids, der neben den Personalangaben lediglich die festgesetzte Steuerschuld enthält, beschränkt. Das Finanzamt hat damit auf die Kontrollmöglichkeiten der EDV-Anlage verzichtet und zwar auf Kosten der sicheren Aufdeckung des Rechenfehlers. Es hat sich durch diese Vorgangsweise neben den Erleichterungen, die die Selbsterrechnung der Steuer durch den Kläger brachte. weitere Erleichterungen durch den Verzicht auf die im Vordruck USt 2 A vorgesehene Datenübertragung verschafft. Darüber hinaus hat es eingeräumt, daß eine rechnerische Überprüfung der Selbsterrechnungserklärung durch den zuständigen Veranlagungssachbearbeiter mit ziemlicher Sicherheit nicht vorgenommen worden ist.

Danach bleibt festzuhalten, daß sich das beklagte Finanzamt - jedenfalls im vorliegenden Fall - Arbeitserleichterungen verschafft hat, die weit über das mit dem Verfahren der Selbsterrechnung von Steuern beabsichtigte Maß hinausgehen. Dieses Verfahren forderte eine sachliche und rechnerische Überprüfung der Selbsterrechnungserklärung, die das Finanzamt unterlassen hat. Der Interessenausgleich kann nur durch die Auffassung herbeigeführt werden, daß das Finanzamt mit der Übernahme des Rechenwerks des Steuerpflichtigen darin enthaltene offensichtliche Rechenfehler zu seinen eigenen gemacht hat. Ob dieses Ergebnis auf ein vermeidbares Fehlverhalten des Finanzamts zurückzuführen ist oder nicht, kann dahinstehen. Denn eine Verschuldensfrage stellt sich bei Anwendung des § 92 Abs. 2 AO a. F. nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73341

BStBl II 1980, 18

BFHE 1979, 334

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