Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückforderung von Ausfuhrerstattungen; Widerlegung der Vermutung des § 17 Abs. 1 und 2 ZG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Rückforderung von Ausfuhrerstattungen.

2. Die Vermutungen des § 17 Abs.1 und 2 ZG gelten im Ausfuhrerstattungsrecht sinngemäß. Sie sind aber bereits dann als widerlegt anzusehen, wenn im Einzelfall die ernstliche Möglichkeit der Unrichtigkeit der Vermutungen nachgewiesen wird.

 

Orientierungssatz

Die Vorschriften des § 19 (Änderung oder Zurücknahme des Erstattungsbescheides) und § 20 Abs. 2 (Rückforderung) VO AusfErst EWG 1980 sind rechtsgültig und werden vom VwVfG nicht berührt (vgl. BFH-Urteil vom 3.12.1985 VII R 124-125/82, das zu § 14 VO AusfErst EWG 1974 ergangen ist, der dem § 19 VO AusfErst EWG 1980 entspricht). Die Regelung des § 20 Abs. 1 VO AusfErst EWG 1980 (Beweislastverteilung) ist gültig und verstößt nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes.

 

Normenkette

AusfErstEWGV 1980 § 3 Abs. 4, §§ 19, 20 Abs. 1; ZG § 17 Abs. 1-3; AusfErstEWGV 1980 § 20 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte am 6.März 1981 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt ―HZA―) die Gewährung von Ausfuhrerstattung als Vorschuß für die Ausfuhr bestimmter Mengen von Weizenmehl mit einem Aschegehalt von 0 bis 520 mg/100 g. Das HZA setzte mit den Bescheiden vom 24.März 1981 die Ausfuhrerstattung als Vorschuß entsprechend fest. Mit den Bescheiden vom 7. und 11.Januar 1982 forderte das HZA von der Klägerin die gewährte Ausfuhrerstattung teilweise, d.h. in Höhe von insgesamt 10 338,63 DM, wieder zurück. Es vertrat im Anschluß an Ermittlungen eines Zollfahndungsamtes die Auffassung, daß ausschließlich Exportmehl mit einem Aschegehalt von mehr als 520 mg/100 g produziert und ausgeführt worden sei; das Untersuchungsergebnis hinsichtlich der eingereichten Zollprobe (Aschegehalt unter 520 mg/100 g) habe sich auf eine manipulierte Probe gegründet.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das HZA hat von der Klägerin zu Recht die streitigen Beträge an Ausfuhrerstattung zurückgefordert.

1. Wie das FG zutreffend entschieden hat, sind § 19 und § 20 Abs.2 der Verordnung Ausfuhrerstattung EWG vom 19.März 1980 ―VO AusfErst EWG 1980― (BGBl I 1980, 323; Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung ―VSF― M 3560) eine ausreichende Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide. Danach haben die HZÄ Erstattungsbescheide zurückzunehmen oder zu ändern, soweit die Voraussetzungen für die Gewährung der Erstattung nicht vorgelegen haben oder entfallen sind; zu Unrecht empfangene Beträge sind zurückzuzahlen. Diese Vorschriften sind rechtsgültig und werden vom VwVfG nicht berührt. Zur Begründung verweist der Senat auf die Gründe seines Urteils vom 3.Dezember 1985 VII R 124-125/82 (BFHE 145, 465, 468), das zu § 14 VO AusfErst EWG 1974 ergangen ist, der dem § 19 VO AusfErst EWG 1980 entspricht.

2. Der Tatbestand des § 19 Abs.1 VO AusfErst EWG 1980 ist erfüllt. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Ausfuhrerstattung im beantragten und zunächst gewährten Umfang haben nicht vorgelegen, weil nach den Feststellungen des FG davon auszugehen ist, daß die Klägerin Weizenmehl mit einem Aschegehalt von mehr als 520 mg/100 g ausgeführt hat.

a) Nach § 15 Abs.1 VO AusfErst EWG 1980 war die Klägerin als Antragstellerin verpflichtet, die Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch darzutun und die notwendigen Beweise ―auch hinsichtlich der Beschaffenheit der ausgeführten Waren― zu erbringen. Daraus ergibt sich, daß die Klägerin grundsätzlich die Beweislast (Feststellungslast) hinsichtlich der Beschaffenheit der Waren zu tragen hatte. Diese Feststellungslast ging nicht dadurch auf das HZA über, daß dieses die beantragte Erstattung zunächst vorschußweise gewährt und mit den angefochtenen Bescheiden zurückgefordert hatte. Zwar hat grundsätzlich die Behörde die Beweislast für die Tatsachen, die die Rechtmäßigkeit des die Gewährung einer Ausfuhrerstattung widerrufenden Bescheids begründen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 26.März 1980 VII R 97/76, BFHE 130, 209, 213). Ob dieser Grundsatz ohne weiteres auch dann gilt, wenn es sich wie hier um den Widerruf einer vorschußweise gewährten Erstattung handelt, kann unentschieden bleiben. Denn jedenfalls erleidet dieser Grundsatz dann eine Ausnahme, wenn die Unbeweisbarkeit auf einem im Verantwortungsbereich des Begünstigten liegenden Umstand beruht (vgl. das zuletzt zitierte Urteil des Senats mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Diese Auffassung hat Eingang gefunden in den § 20 Abs.1 VO AusfErst EWG 1980.

Die Regelung des § 20 Abs.1 VO AusfErst EWG 1980 ist gültig. Es gibt keine dieser Vorschrift vorgehende höherrangige Regelung für die Verteilung der Feststellungslast im Falle der Rücknahme oder Änderung eines Ausfuhrerstattungsbescheides (vgl. zur Regelung der Beweislast im allgemeinen auch das Senatsurteil vom 7.Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, 528, BStBl II 1983, 760). Die Regelung verstößt nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Bei der Entscheidung der Frage, wann das Vertrauen des Bürgers schutzwürdig ist, steht dem Normgeber bei der Bildung von Fallgruppen ein rechtlicher Spielraum zu (vgl. Herzog in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art.20 Abschn.VII Rdnr. 64). Daß die Autoren der VO AusfErst EWG 1980 diesen Spielraum nicht eingehalten haben, ist nicht ersichtlich. Auf § 48 VwVfG beruft sich die Klägerin zu Unrecht; aus der dortigen Entscheidung des Gesetzgebers für die Zulässigkeit der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts ergibt sich nicht, daß es dem Gesetzgeber oder Verordnungsgeber untersagt wäre, in Spezialfällen wie dem der Ausfuhrerstattungen nach Gemeinschaftsrecht abweichende Regelungen zu treffen. Bestätigt wird diese Auffassung dadurch, daß der Gesetzgeber in § 11 des Marktordnungsgesetzes 1986, das auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar ist, die Regelung des § 20 VO AusfErst EWG 1980 übernommen hat unter Verlängerung der Frist auf 4 Jahre.

Daß das Gemeinschaftsrecht keine der Beweislastverteilung des § 20 Abs.1 VO AusfErst EWG 1980 widersprechende Regelung enthält, ergibt sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 21.September 1983 Rs.205-215/82 (EuGHE 1983, 2633, 2673); danach richtete sich die Rückforderung von Beträgen, die aufgrund einer Gemeinschaftsregelung zu Unrecht als Beihilfen gezahlt wurden, durch die nationalen Behörden beim im Zeitpunkt des Urteils bestehenden Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts nach den Vorschriften und Modalitäten des nationalen Rechts. Das gilt nach diesem Urteil zwar nur "vorbehaltlich der Grenzen, die das Gemeinschaftsrecht einer solchen Anwendung des nationalen Rechts setzt". Es gibt aber keine innerstaatlichen Subventionen, die mit den gemeinschaftsrechtlichen Ausfuhrvergünstigungen vergleichbar wären und den Einwand der Klägerin rechtfertigten, die Regelung des § 20 VO AusfErst EWG 1980 führe bei der Rückforderung von Ausfuhrerstattungen zu diskriminierend schlechteren Ergebnissen als bei Rückforderung "gleichartiger Subventionen des nationalen Rechts". Es ist auch keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ersichtlich, die der Verteilung der Feststellungslast, wie sie in § 20 Abs.1 VO AusfErst EWG 1980 getroffen worden ist, entgegensteht. Es spricht vielmehr vieles dafür, daß eine andere Regelung der Feststellungslast die Grenzen des Gemeinschaftsrechts überschritte.

Die Voraussetzungen des § 20 Abs.1 VO AusfErst EWG 1980 sind, wie das FG entschieden hat, im vorliegenden Fall erfüllt. Diese Auffassung des FG ist rechtlich unangreifbar und im Tatsächlichen für den Senat bindend (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG ist davon ausgegangen, daß "eine unerklärliche Diskrepanz zwischen den Zollproben und den Feststellungen über die Beschaffenheit der ausgeführten Waren besteht, wie sie auch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 22.7.1987 eingeräumt hat" (S.13/14 der Vorentscheidung). Daß diese Umstände zum Verantwortungsbereich der Klägerin zählen, hat das FG ohne Rechtsfehler angenommen. Es hat auch festgestellt, daß die von der Klägerin behauptete Beschaffenheit des ausgeführten Weizenmehls nicht erweislich ist. Auch an diese Feststellung ist der Senat gebunden, da in bezug auf sie Revisionsrügen nicht vorgetragen worden sind (§ 118 Abs.2 FGO).

b) Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die Regelung des § 3 Abs.4 VO AusfErst EWG 1980 i.V.m. § 17 des Zollgesetzes (ZG).

Nach § 3 Abs.4 VO AusfErst EWG 1980 gelten für die zollamtliche Behandlung der Ausfuhrsendungen die Zollvorschriften u.a. über die Zollbehandlung sinngemäß. § 17 ZG gehört systematisch zum Zweiten Teil des ZG (Zollbehandlung). Diese Vorschrift gilt also "sinngemäß" im Ausfuhrerstattungsrecht, d.h. nur dann, wenn sie dem Sinn und Zweck dieses Rechts nicht widerspricht (vgl. auch Urteil des Senats vom 12.September 1989 VII R 24/87, BFHE 158, 185). Der Senat braucht nicht darauf einzugehen, inwieweit die Vermutungen des § 17 Abs.1 und 2 ZG im Ausfuhrerstattungsrecht sinngemäß anwendbar sind. Denn jedenfalls widerspricht die Anwendung der Regelung des § 17 Abs.3 ZG in der Auslegung des Senats ―danach sind die Vermutungen der beiden ersten Absätze nur widerlegt, wenn bewiesen ist, daß jede Möglichkeit des gesetzlichen Schlusses wegfällt (Senatsurteil vom 9.Dezember 1986 VII R 170/82, BFHE 148, 388, 394, mit Hinweisen)― dem Sinn und Zweck des Ausfuhrerstattungsrechts.

Streitet die Vermutung des § 17 Abs.1 oder 2 ZG zugunsten des Erstattungsberechtigten, so bedeutete die uneingeschränkte Anwendung des § 17 Abs.3 ZG in der Auslegung des Senats, daß die Behörde die Vermutung nur widerlegen könnte, wenn sie ihrerseits den vollen Beweis der anderen Beschaffenheit der ausgeführten Ware zu erbringen in der Lage wäre. Sie hätte diese Last, obwohl allein der Erstattungsberechtigte kraft seiner Sachnähe über die Art und Weise der Herstellung der ausgeführten Ware Bescheid weiß oder wenigstens Bescheid wissen müßte (vgl. auch Senatsurteil vom 26.Mai 1988 VII R 130/85, BFHE 154, 282, 284). Mit dem Sinn und Zweck der Ausfuhrerstattungsregelung ist es nicht vereinbar, so hohe Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung zu stellen, weil sonst in den nicht seltenen Fällen, in denen nachträglich Anhaltspunkte für die Unrechtmäßigkeit der gewährten Erstattung auftauchen, eine Rückforderung oft ausgeschlossen wäre; das gefährdete die Wirksamkeit der Erstattungsregelung oder zwänge wenigstens zu einer Verschärfung behördlicher Kontrollen mit erheblichen Nachteilen für alle potentiellen Erstattungsempfänger. Mit dem FG ist der Senat daher der Auffassung, daß es zur Widerlegung genügen muß, daß die Behörde im Einzelfall die ernstliche Möglichkeit der Unrichtigkeit der Vermutungen des § 17 Abs.1 und 2 ZG nachweist. Das führt für den sorgfältigen Erstattungsberechtigten nicht zu unzumutbaren Ergebnissen, weil er wegen seiner Beweisnähe in der Lage sein sollte, die Annahme der Behörde zu widerlegen, wenn sie nicht zutrifft (vgl. auch BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760).

Der Senat läßt es dahinstehen, ob seine Auffassung von der eingeschränkten Anwendbarkeit des § 17 Abs.3 ZG im Ausfuhrerstattungsrecht von seinen Urteilen vom 16.August 1978 VII R 128/75 (BFHE 126, 336) und vom 13.Februar 1979 VII R 84/75 (BFHE 127, 450) abweicht. Der Senat hatte in diesen Urteilen keinen Anlaß, die Frage ausdrücklich zu entscheiden, unter welchen Umständen von einer Widerlegung der Vermutungen des § 17 Abs.1 und 2 ZG im Ausfuhrerstattungsrecht die Rede sein kann. Im Urteil in BFHE 127, 450, 452 hat er ausgeführt, es sei für die Entscheidung des Falles unerheblich, unter welchen Voraussetzungen die Vermutung des § 17 Abs.1 Satz 2 ZG als nach § 17 Abs.3 ZG widerlegt angesehen werden kann. Sollte aus den beiden Entscheidungen oder aus nicht veröffentlichten Entscheidungen des Senats mittelbar etwas anderes herausgelesen werden können, so hält der Senat jedenfalls daran nicht fest.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63377

BFH/NV 1990, 78

BFHE 161, 221

BFHE 1991, 221

BB 1990, 1968 (L)

HFR 1990, 666 (LT)

StE 1990, 367 (K)

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