Leitsatz (amtlich)

Gewinnabhängige Ansprüche auf Tantiemen, Gratifikationen usw. entstehen dem Grunde nach nicht erst im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung, sondern schon am Ende des Geschäftsjahres des Unternehmens. Das gilt in aller Regel auch für den Anspruch eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft auf Gratifikation, deren Höhe der Aufsichtsrat unter Beachtung des § 77 AktG 1937 nach eigenem Ermessen jährlich neu festsetzt.

 

Normenkette

BewG 1965 §§ 4, 12, 110 Abs. 1 Nr. 1; AktG §§ 77, 125 Abs. 3, §§ 126, 86 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger ist Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft. Er erhält nach § 4 seines Anstellungsvertrages "nach Vorliegen des jeweiligen Jahresabschlußergebnisses eine Gratifikation, deren Höhe der Aufsichtsrat unter Beachtung des § 77 AktG (a. F.) ... festsetzt". In seiner Vermögenserklärung auf den 1. Januar 1966 hat der Kläger einen Tantiemeanspruch für 1965 nur mit dem um die auf diesen Anspruch entfallende Lohnsteuer gekürzten Betrag angesetzt. Das FA hat dagegen bei der Vermögensteuer-Veranlagung des Klägers zum 1. Januar 1966 diesen Anspruch mit dem Nennbetrag bewertet. Der Einspruch, mit dem der Kläger in erster Linie begehrte, den Anspruch wegen seines aufschiebend bedingten Charakters ganz außer Ansatz zu lassen und nur hilfsweise die Bewertung unter Berücksichtigung der Lohnsteuer beantragte, hatte keinen Erfolg. Auch die Klage blieb erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus: Der Anspruch auf eine Gratifikation sei eine Kapitalforderung im Sinne des § 110 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965. Bestehe ein vertraglich zugesicherter Anspruch auf eine Gratifikation, so sei dieser Anspruch dem Grunde nach am Jahresende für das zurückliegende Jahr entstanden. Die Entstehung des Anspruchs sei in einem solchen Fall weder bedingt noch unbestimmt befristet. Der Kläger habe einen vertraglichen Anspruch auf eine jährliche Gratifikation, deren Höhe vom Aufsichtsrat festgesetzt werde. Die Fassung des Vertrages, der Kläger erhalte die Gratifikation "nach Vorliegen des jeweiligen Jahresergebnisses", berühre das Entstehen des Anspruchs am Jahresende nur dann, wenn auf Grund eines ungünstigen Jahresergebnisses mit der Gewährung einer Gratifikation nicht zu rechnen und dies am Bewertungsstichtag erkennbar sei. Beides sei hier nicht der Fall. Das Urteil des BFH III R 112/67 vom 10. Mai 1968 (BFH 93, 11, BStBl II 1968, 703) behandle einen anderen Sachverhalt. Die Kapitalforderung sei mit dem Nennwert anzusetzen, der notfalls geschätzt werden müsse. Der Umstand, daß noch Lohnsteuer von der Gratifikation einzubehalten sei, rechtfertige nach dem BFH-Urteil III 225/64 vom 15. Dezember 1967 (BFH 91, 423, BStBl II 1968, 338) keine niedrigere Bewertung. Dem Kläger sei allerdings zuzugeben, daß die Höhe seiner Gratifikation auch von dem Beschluß des Aufsichtsrats abhänge. Das FG habe keine Bedenken, den Beschluß des Aufsichtsrats vom März 1966 über die Gratifikation der Schätzung zugrunde zu legen.

Mit der Revision, die der Senat auf die Zulassungsbeschwerde des Klägers durch Beschluß III B 5/69 vom 13. Juni 1969 zugelassen hat, beantragt der Kläger, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Vermögensteuerbescheid 1966 dahin abzuändern, daß eine Bewertung der Tantiemeforderung unterbleibt. Es wird Nichtanwendung der §§ 4 BewG, 172 AktG und die unrichtige Anwendung des § 12 VStG gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger erhalte nach § 4 seines Anstellungsvertrages "nach Vorliegen des jeweiligen Jahresabschlußergebnisses eine Gratifikation, deren Höhe der Aufsichtsrat unter Beachtung des § 77 AktG (a. F.) nach eigenem Ermessen alljährlich neu festsetzt". Danach setze der Tantiemeanspruch des Klägers für das Geschäftsjahr 1965 die Festsetzung des Jahresabschlusses durch Vorstand und Aufsichtsrat voraus (§ 172 AktG). Schon diese Voraussetzung sei am 1. Januar 1966 nicht gegeben gewesen. Zum anderen sei der Tantiemeanspruch des Klägers davon abhängig, daß er durch den Aufsichtsrat unter Beachtung der Vorschriften der §§ 77, 78 AktG 1937 festgesetzt werde. Die Gewinnabhängigkeit des Tantiemeanspruchs sei damit offenkundig.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Der Senat hat in dem Urteil III R 112/67 (a. a. O.) entschieden, daß ein Tantimeanspruch, der nicht nur gewinnabhängig ist, sondern auch davon abhängt, daß der Gewinn ganz oder teilweise oder in bestimmter Mindesthöhe ausgeschüttet wird, am Bewertungsstichtag, an dem der Beschluß der Hauptversammlung über die Gewinnverteilung (Gewinnverwendung) noch nicht vorliegt, aufschiebend bedingt und deshalb nach § 4 BewG nicht anzusetzen sei. Wie sich aus der Begründung dieses Urteils ergibt, hat der Senat einen solchen Tantiemeanspruch als in zweifacher Hinsicht aufschiebend bedingt angesehen. Die erste aufschiebende Bedingung sei die Erzielung von Gewinn, die zweite die Ausschüttung einer Dividende, ggf. in bestimmter Mindesthöhe. Der Senat hat es in dem Urteil ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob die erste Bedingung, d. h. die Gewinnerzielung, bereits am Stichtag eingetreten war. Er konnte das deswegen tun, weil er die zweite Bedingung, die Ausschüttung der Dividende, solange als noch nicht eingetreten ansah, als ein Beschluß der Hauptversammlung über die Gewinnverteilung (Gewinnverwendung) nicht vorlag. Im Streitfall ist die Tantieme des Klägers allein von der Erzielung eines ausreichenden Gewinns abhängig. Das FG ist also nicht von dem Urteil III R 112/67 (a. a. O.) abgewichen, wenn es die dort ausdrücklich offengelassene Frage, ob diese Bedingung bereits am Stichtag eingetreten war, bejaht. Der Senat ist der Auffassung, daß das FG diese Frage auch im Ergebnis zu Recht bejaht hat.

Wie der Senat bereits in dem Urteil III R 112/67 (a. a. O.) ausgeführt hat, hat der RFH in einer Reihe von Urteilen entschieden, daß ein Anspruch, der von der Erzielung von Gewinnen abhängig ist, zwar aufschiebend bedingt sei, daß aber die Ungewißheit über den Eintritt der Bedingung, nämlich die Ungewißheit darüber, ob ein Gewinn erzielt sei, bereits am Schluß des Wirtschaftsjahrs beseitigt sei. Der Umstand, daß die Höhe des Gewinns noch nicht festgestellt sei, ändere daran nichts, weil die Feststellung des Gewinns nur noch deklaratorische Bedeutung habe. Dieser Auffassung hat sich der Senat in dem Urteil III 246/64 vom 11. Oktober 1968 (BFH 94, 261, BStBl II 1969, 123) hinsichtlich der Frage, wann der Anspruch des stillen Gesellschafters auf seinen Anteil am Gewinn entstanden ist, ausdrücklich angeschlossen. Er hat dort ausgeführt, daß der Gewinn das Ergebnis der Tätigkeit eines bestimmten Zeitraums, nämlich des Geschäftsjahrs, sei. Nach § 337 Abs. 1 HGB werde der Gewinn oder Verlust, an dem der stille Gesellschafter beteiligt sei, "am Schluß" jedes Geschäftsjahrs ermittelt. Dieser Wortlaut sei ungenau; denn die Berechnung sei nicht "am Schluß", sondern "für den Schluß des Geschäftsjahrs" aufzustellen. Das bedeute, daß durch die Bilanz die Verhältnisse festgestellt würden, wie sie sich am Ende des Geschäftsjahrs darstellten. Die Feststellung des Jahresergebnisses begründe somit nicht den Gewinn oder Verlust, sondern sie habe nur die Bedeutung einer förmlichen Aussage darüber, ob im Laufe des Geschäftsjahrs ein Gewinn oder Verlust erwirtschaftet wurde. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Sie gilt grundsätzlich auch für gewinnabhängige Ansprüche auf Tantiemen, Gratifikationen usw. Im Streitfall handelt es sich allerdings um die Gratifikation des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft. Dabei ist zu beachten, daß sich nach der am hier maßgebenden Stichtag noch gültigen Vorschrift des § 77 Abs. 2 AktG 1937 der Anteil, der einem Vorstandsmitglied am Gesamtgewinn gewährt wird, nach dem Reingewinn berechnet, der sich nach Vornahme von Abschreibungen, Wertberichtigungen sowie nach Bildung von Rücklagen und Rückstellungen ergibt. Der Umstand, daß danach die Höhe der Gratifikation des Vorstandsmitglieds auch davon abhängig ist, ob und in welcher Höhe Rücklagen gebildet werden, könnte zu der Annahme führen, daß der Anspruch erst dann entsteht, wenn die Höhe der Rücklagen feststeht. Das wäre erst im Zeitpunkt des Beschlusses der Hauptversammlung über die Gewinnverteilung der Fall, weil nach § 126 Abs. 3 Satz 2 AktG 1937 die Hauptversammlung auch dann, wenn der Jahresabschluß nach § 125 Abs. 3 AktG 1937 mit seiner Billigung durch den Aufsichtsrat festgestellt ist, den Reingewinn ganz oder teilweise von der Verteilung ausschließen kann. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß die Abhängigkeit des Tantiemeanspruchs der Vorstandsmitglieder von der Höhe der Rücklagen nur auf die Höhe dieses Anspruchs von Bedeutung ist, nicht aber die Entstehung des Anspruchs dem Grunde nach berührt. Er folgert das insbesondere daraus, daß der Aufsichtsrat nach § 77 Abs. 2 letzter Satz AktG 1937 für das einzelne Geschäftsjahr zulassen kann, daß, wenn es die Billigkeit verlangt, der Teil des Gewinns, der zur Bildung freier Rücklagen verwendet werden soll, bei der Berechnung der Tantieme der Vorstandsmitglieder nicht abgezogen wird. Nach Auffassung des Senats würde es in aller Regel nicht der Billigkeit entsprechen, daß die Tantieme eines Vorstandsmitglieds, auf dessen erfolgreiche Tätigkeit der im Geschäftsjahr erzielte Gewinn zurückzuführen ist, durch zu hohe Rücklagenbildung in vollem Umfang wegfällt. Es würde sich deshalb eine Festsetzung der Tantieme durch den Aufsichtsrat nach der Ausnahmeregelung des § 77 Abs. 2 AktG 1937 auch dann rechtfertigen, wenn die Hauptversammlung den Gewinn in voller Höhe zur Bildung freier Rücklagen verwenden würde. Es ist zu vermuten, daß diese Überlegung mit dazu geführt hat, daß nach § 86 Abs. 2 AktG 1965 der Anteil der Vorstandsmitglieder am Jahresgewinn nur noch um die Beträge vermindert wird, die "nach Gesetz oder Satzung" aus dem Jahresüberschuß in offene Rücklagen einzustellen sind, nicht aber mehr um freiwillig gebildete weitere Rücklagen. Das FG hat danach den Anspruch des Klägers zu Recht als am 1. Januar 1966 entstanden angesehen. Es hat auch mit zutreffender Begründung dargelegt, daß der Anspruch in der Höhe anzusetzen ist, in der er vom Aufsichtsrat später festgesetzt worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69112

BStBl II 1970, 735

BFHE 1970, 547

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