Leitsatz (amtlich)

Ein Billigkeitserlaß von Sonderumsatzsteuer nach § 131 AO kann nicht allein aus dem Gesichtspunkt gewährt werden, daß der Unternehmer bei Ausfuhrlieferungen nach dem 23. Dezember 1968, die aufgrund sog. Altverträge bewirkt wurden, kein kostendeckendes Entgelt erzielt hat.

 

Normenkette

AbsichG § 9 Abs. 3; AO § 131

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die in ihrem Unternehmen auch Glühlampen herstellt, bewirkte im Frühjahr 1969 mehrere Ausfuhrlieferungen mit Glühlampen aufgrund von Verträgen, die sie mit den ausländischen Abnehmern bereits vor dem 23. November 1968 (sog. Altverträgen) abgeschlossen hatte. Das Finanzamt (Beklagter) zog diese Umsätze in Anwendung von § 2 des Gesetzes über Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung gemäß § 4 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 29. November 1968 (BGBl I 1968, 1255, BStBl I 1968, 1203) - AbsichG - zur Sonderumsatzsteuer heran und setzte die Steuer auf 861,31 DM fest. Die Klägerin beantragte den Erlaß dieser Steuer im wesentlichen mit der Begründung, die in Frage stehenden Exportgeschäfte hätten sich wegen der bereits seit Mitte 1968 feststehenden und mit den Abnehmern vereinbarten Preise als nicht kostendeckend erwiesen. Das Finanzamt lehnte das zunächst nur auf § 9 Abs. 3 AbsichG gestützte Erlaßbegehren ab; die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Auch ein weiterer, nunmehr auf § 131 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützter Erlaßantrag wurde vom Finanzamt abgelehnt und auch in diesem Falle die Beschwerde von der Oberfinanzdirektion zurückgewiesen.

Der Klage gegen die ablehnenden Verwaltungsentscheidungen mit dem Antrag, die Sonderumsatzsteuer zu erlassen, hat das Finanzgericht im Umfang von 747,31 DM stattgegeben. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung seines Ausspruchs über den Erlaß hat es ausgeführt: Die besonderen Voraussetzungen für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 9 Abs. 3 AbsichG lägen zwar nicht vor, da die Klägerin im Veranlagungszeitraum keinen Verlust erlitten, sondern einen Bilanzgewinn von ... DM erzielt habe. Die Erhebung der Sonderumsatzsteuer in Höhe von 747,31 DM wäre jedoch unbillig im Sinne von § 131 AO, weil die Steuer in dieser Höhe auf Ausfuhrlieferungen beruhe, die aufgrund von sog. Altverträgen erbracht worden seien, die unbestritten nicht kostendeckend gewesen seien. Die Sonderumsatzsteuer sei daher insoweit zu erlassen, da eine anderweitige Ausübung des Ermessens nicht sachgerecht sei.

Mit der Revision, die der erkennende Senat mit Beschluß vom 14. März 1974 V B 68/73 zugelassen hat, rügt das Finanzamt die unrichtige Anwendung des § 131 AO. Der Auffassung des Finanzgerichts, daß die Einziehung von Sonderumsatzsteuer wegen des bei den in Rede stehenden Ausfuhrlieferungen eingetretenen Verlustes sachlich unbillig sei, könne nicht gefolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Beschluß vom 9. März 1971 2 BvR 326/69 (BStBl II 1971, 433) das Absicherungsgesetz auch bei Lieferungen aufgrund von sog. Altverträgen für verfassungskonform erklärt und bei etwa auftretenden Härten auf die in § 9 Abs. 3 AbsichG vorgesehene Möglichkeit eines Erlasses der Sonderumsatzsteuer verwiesen. Die Voraussetzungen für eine solche Billigkeitsmaßnahme habe der Bundesminister der Finanzen aufgrund der ihm in § 9 Abs. 3 AbsichG eingeräumten Ermächtigung in dem Erlaß vom 22. Juli 1969 (BStBl I 1969, 383) abschließend festgelegt, wobei er bewußt in Kauf genommen habe, daß eine Reihe von Härtefällen verblieben, denen durch Billigkeitsmaßnahmen nicht abgeholfen werden könne. Um einen solchen Fall handele es sich hier. Der Umstand allein, daß sich bestimmte Ausfuhrlieferungen als nicht kostendeckend erwiesen hätten, reiche für die Annahme einer sachlichen Härte nach § 131 AO nicht aus. Eine persönliche Härte sei nicht dargetan, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt keine Billigkeitsmaßnahme geboten sei. Insoweit, als das Finanzgericht von sich aus die Sonderumsatzsteuer erlassen habe, habe es gegen § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen.

Das Finanzamt beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das Finanzgericht hat die Anwendung des § 9 Abs. 3 AbsichG mit zutreffender Begründung abgelehnt. Denn den begehrten Erlaß hätte die Klägerin nach dieser Vorschrift nur durch den Nachweis erreichen können, daß sie durch Entrichtung der vollen Steuer aufgrund von bereits am 23. November 1968 bestehenden Verträgen (sog. Altverträgen) bei den in Betracht kommenden Einkunftsarten im gesamten Veranlagungszeitraum einen Verlust erlitten hat. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts fehlt es aber an dieser Voraussetzung.

Rechtsirrig hat das Finanzgericht aber die angefochtene Ablehnung des Steuererlasses als einen Verstoß gegen § 131 AO beurteilt. Nach dieser Vorschrift können - soweit hier einschlägig - Steuern nur erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. In der Person des Klägers liegende Billigkeitsgründe sind nicht geltend gemacht. Sachliche Billigkeitsgründe liegen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur vor, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist, also den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen hat, rechtfertigen einen Erlaß aus Billigkeitsgründen nicht. Als sachliche Billigkeitsgründe kommen demnach nur solche Umstände in Betracht, die bei der Steuerfestsetzung durch Auslegung des Steuertatbestandes nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers nicht berücksichtigt werden können, die aber die Besteuerung als mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar erscheinen lassen, so daß ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers gegeben ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727, mit weiteren Nachweisen).

Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist zu berücksichtigen, daß die Anwendung der durch Verordnung vom 28. Oktober 1969 (BGBl I 1969, 2045, BStBl I 1969, 674) aufgehobenen §§ 1 und 2 AbsichG als vorwiegend wirtschaftslenkende Maßnahme in erster Linie die deutschen Exporte vermindern sollte, um das damals gestörte außenwirtschaftliche Gleichgewicht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Handelspartnern wiederherzustellen (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 5. Wahlperiode, 197. Sitzung, Stenographischer Bericht Bd. 68 S. 10631 B, C). Dabei hat der Gesetzgeber die Einbeziehung der aufgrund von Altverträgen bewirkten Ausfuhren in die Regelung des Absicherungsgesetzes zur Erreichung des Gesetzeszwecks dem Grundsatz nach für erforderlich gehalten. Dieser Gesetzesinhalt hat sogar im Mittelpunkt der parlamentarischen Auseinandersetzungen gestanden (vgl. Weiß, Umsatzsteuer-Rundschau 1969 S. 15). Die Einbeziehung der Altverträge hat nur im Rahmen der Billigkeitsregelung des § 9 Abs. 3 AbsichG eine gewisse Einschränkung erfahren. Der Gesetzgeber hat daher auch die Fälle in die Besteuerung nach § 2 AbsichG einbeziehen wollen, in denen - wie im vorliegenden Falle - die Ausfuhrlieferungen - ohne im gesamten Veranlagungszeitraum in den in Betracht kommenden Einkunftsarten zu Verlusten geführt zu haben - nicht kostendeckend waren. Ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers ist daher im Bereich des Klagebegehrens nicht feststellbar.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Absicherungsgesetz in seinem Beschluß vom 9. März 1971 2 BvR 326/69 ff. (BStBl II 1971, 433) in eingehender Würdigung seiner Zielsetzung mit der Begründung für verfassungskonform erklärt, daß der Gesetzgeber bei der Besteuerung der aufgrund von Altverträgen bewirkten Ausfuhren die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten habe. Gegen den gesetzlichen Tatbestand des § 2 AbsichG, durch den auch Lieferungen nicht kostendeckender Art aus Altverträgen grundsätzlich in die Besteuerung einbezogen wurden, bestehen deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Da die grundsätzliche Besteuerung der aufgrund von Altverträgen bewirkten, nicht kostendeckenden Ausfuhren den Wertungen des Gesetzgebers entspricht und somit nicht als Überhang des Gesetzes über diese Wertungen angesehen werden kann, muß die Billigkeitsregelung des § 9 Abs. 3 AbsichG bei solchen Ausfuhren als abschließende Sonderregelung für den Erlaß der Sonderumsatzsteuer angesehen werden. Ihre Anwendung hat zur Voraussetzung den Nachweis eines Verlustes bei den in Betracht kommenden Einkunftsarten im gesamten Veranlagungszeitraum. Die Regelung läßt keinen Raum für die Anerkennung eines sachlichen Billigkeitsgrundes im Sinne des § 131 AO wegen nicht erreichter Kostendeckung der Ausfuhren und schließt insoweit eine Ermessensausübung unter Abwägung sachbezogener Umstände aus. Der anderweitigen Auffassung des Finanzgerichts kann der erkennende Senat nicht folgen.

Da die Klägerin bei der in Betracht kommenden Einkunftsart nach den insoweit maßgebenden einkommensteuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. August 1976 V R 76/73, BFHE 120, 297, BStBl II 1977, 108) im Veranlagungszeitraum 1969 einen Bilanzgewinn von 12 610 DM erzielt hat, sind die Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 AbsichG nicht erfüllt, so daß die Ablehnung der begehrten Erlaßmaßnahme durch die Verwaltung rechtlich nicht zu beanstanden ist. Gesichtspunkte, die im Streitfall einen Steuererlaß aus persönlichen Gründen rechtfertigen könnten, sind weder dargetan noch erkennbar.

Das Urteil des Finanzgerichts war daher im Umfang des Revisionsbegehrens aufzuheben; die Klage war auch insoweit abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73168

BStBl II 1979, 539

BFHE 1979, 556

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