Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderabschreibungen Berlin auch auf Anschaffungskosten eines teilfertigen Gebäudes

 

Leitsatz (NV)

Erwirbt ein Unternehmer ein halbfertiges Gebäude in Berlin (West) und vollendet er das Bauwerk unter Aufwendung erheblicher weiterer Kosten, so können ihm - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 14 BHG - die Sonderabschreibungen nach dieser Vorschrift auch auf den Teil der Kosten gewährt werden, die ihm durch den Erwerb des halbfertigen Gebäudes erwachsen sind (Anschluß an BFH-Urteil vom 19. Juli 1979 IV R 235/75 BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3).

 

Normenkette

BHG § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG in Liquidation. Sie erwarb 1967 ein teilfertiges Gebäude in Berlin (West) für . . . DM. Sie stellte das Gebäude bis 1971 fertig. Dafür wendete sie weitere . . . DM auf. Das Finanzamt (- FA -) gewährte der Klägerin für das Gebäude erhöhte Absetzungen nach § 14 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 29. Oktober 1970 (BGBl I 1970, 1481) - vom Finanzgericht (FG) als Sonderabschreibungen nach § 14 des Berlinhilfegesetzes (BHG) bezeichnet -. Als Bemessungsgrundlage ging das FA im Laufe des Einspruchsverfahrens von den von der Klägerin aufgewendeten Herstellungskosten aus. Die von der Klägerin aufgewendeten Anschaffungskosten wurden nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen.

Das FG gab der Klage statt. Zwar heißt es in der Urteilsbegründung ,,Die Klage ist nicht begründet". Dabei handelt es sich aber offensichtlich um einen Schreibfehler; denn aus dem Urteilstenor und der weiteren Urteilsbegründung ist unzweideutig erkennbar, daß die Klage Erfolg hatte.

Das FA macht mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BHG konnten Steuerpflichtige unter bestimmten Voraussetzungen bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens einer in Berlin (West) belegenen Betriebsstätte im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren an Stelle der nach § 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu bemessenden Absetzungen für Abnutzung (AfA) erhöhte Absetzungen bis zur Höhe von insgesamt 75 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten vornehmen. Bei Gebäuden war die Vornahme dieser erhöhten Absetzungen nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 BHG u. a. nur zulässig, wenn sie ,,in Berlin (West) errichtet werden".

2. Die Vorschrift des § 14 BHG war bereits mit dem hier entscheidungserheblichen Regelungsinhalt in dem Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) i. d. F. vom 26. Juli 1962 (BHG 1962) als § 16 und in dem BHG vom 19. August 1964 (BGBl I 1964, 674, BStBl I 1964, 509) - BHG 1964 - als § 14 enthalten.

Der Bundesfinanzhof - BFH - (Urteil vom 21. April 1966 IV 278/65, BFHE 86, 24, BStBl III 1966, 354) hatte aus der in allen drei Bestimmungen verwendeten Formulierung ,,in Berlin (West) errichtet werden" hergeleitet, daß bei Gebäuden nur der Hersteller die erhöhten Absetzungen in Anspruch nehmen könne.

3. Diese sehr enge Auslegung ist in dem zu § 14 BHG 1964 ergangenen BFH-Urteil vom 19. Juli 1979 IV R 235/75 (BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3) dadurch abgemildert worden, daß der Erwerber eines teilfertigen Gebäudes in Berlin, der das Bauwerk unter Aufwendung erheblicher weiterer Kosten fertigstellt, die erhöhten Absetzungen nach § 14 BHG 1964 (§ 14 BerlinFG) nicht nur nach den von ihm für die Fertigstellung des Gebäudes, sondern auch nach den für die Anschaffung des teilfertigen Gebäudes aufgewendeten Kosten bemessen kann.

4. Der IV. Senat hat in seinem Urteil in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3 die Einbeziehung der Anschaffungskosten für das teilfertige Gebäude u. a. auch damit begründet, daß die Herstellung eines Wirtschaftsguts in vielen Fällen die ,,Anschaffung" von Material und dergleichen voraussetze und daß die hierfür entstehenden Kosten zu den ,,Herstellungskosten" gehörten. Bei Gebäuden - so die Begründung des IV. Senats weiter - gelte dies auch für die Anschaffung eines teilfertigen Gebäudes.

5. Zwar steht diese Begründung mit der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht in Einklang; denn der erkennende Senat hat in seinen Urteilen vom 15. März 1973 VIII R 58/69 (BFHE 109, 185, BStBl II 1973, 559); vom 19. Februar 1974 VIII R 114/69 (BFHE 112, 131, BStBl II 1974, 704) und vom 22. April 1980 VIII R 149/75 (BFHE 130, 391, BStBl II 1980, 441) in einem anderen Zusammenhang als mit § 14 BHG entschieden, daß die Anschaffungskosten, die der Erwerber eines teilfertigen Gebäudes erwirbt, nicht zu den Herstellungskosten gehören.

6. Der Senat braucht jedoch nicht zu entscheiden, ob im Hinblick auf den Beschluß des Großen Senats vom 4. Juli 1990 GrS 1/89 (BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830), wonach der Herstellungskostenbegriff des § 255 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) für das Steuerrecht maßgebend ist, an dieser Senatsauffassung noch festgehalten werden kann; denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, schließt sich der VIII. Senat für den Anwendungsbereich des § 14 BHG aus folgenden Gründen der Ansicht des IV. Senats an.

a) § 16 BHG 1962, § 14 BHG 1964 und § 14 BHG in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung erwähnen den Ausschluß der Gebäudeanschaffungskosten von der Abschreibungsvergünstigung nicht ausdrücklich.

b) Die von der Rechtsprechung durch Auslegung der Worte ,,in Berlin (West) errichtet werden" erreichte Beschränkung der Abschreibungsvergünstigung auf Gebäudeherstellungskosten ist durch Art. 2 Nr. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa des Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes und anderer Gesetze vom 30. Oktober 1978 (BGBl I 1978, 1693) dadurch beseitigt worden, daß in § 14 Abs. 2 BerlinFG das Wort ,,errichtet" durch das Wort ,,belegen" ersetzt worden ist. Dadurch sind auch Gebäudeanschaffungskosten begünstigt.

c) Der IV. Senat hat in seinem Urteil in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3 die Einbeziehung der Anschaffungskosten für ein teilfertiges Gebäude auch mit der besonderen Zielsetzung des § 14 BHG gerechtfertigt.

d) Insbesondere deshalb, weil es sich bei § 14 BHG in der hier maßgebenden Fassung um ausgelaufenes Recht handelt, gebietet es das Erfordernis der Konstanz der Rechtsprechung, an der Auffassung des IV. Senats festzuhalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417719

BFH/NV 1991, 810

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge